Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtliche Kontrolle einer dienstlichen Beurteilung
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die eingeschränkte gerichtliche Kontrolle einer dienstlichen Beurteilung.
1. Der Beschwerdeführer ist zuletzt am 1. Februar 1993 im Alter von 37 Jahren zum Oberregierungsrat befördert worden. Zum Stichtag 30. September 1993 erfolgte seine Regelbeurteilung, die mit der Gesamtwertung „entspricht den Anforderungen” (= e.d.A.) abschloss. Trotz verschiedener Einwendungen des Beschwerdeführers lehnte es der beklagte Dienstherr mit Bescheid vom 2. Februar 1994 ab, die Regelbeurteilung in „tritt hervor” abzuändern, unter anderem mit dem Hinweis, acht Monate nach seiner Beförderung zum Oberregierungsrat habe er sich im Vergleich zu anderen Beamten noch nicht in einem solchen Maße qualifiziert, dass er bereits mit der nächst höheren Stufe und damit geeignet für die Beförderung zum Regierungsdirektor hätte beurteilt werden können. Der Präsident der Oberfinanzdirektion fügte hinzu: „Die Zusammenarbeit mit ihm im Beurteilungszeitraum war auch in anderen Punkten nicht immer beanstandungsfrei”.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens forderte der Beschwerdeführer vergeblich eine Konkretisierung des zuletzt genannten Satzes und die Abänderung der Beurteilung.
2. Das Verwaltungsgericht verpflichtete den beklagten Dienstherrn, unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Februar 1994 und des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 1994 über den Antrag des Beschwerdeführers auf Abänderung der dienstlichen Beurteilung vom 3. Dezember 1993 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Die fehlende Erläuterung der pauschalen Bewertung: „Die Zusammenarbeit mit ihm im Beurteilungszeitraum war auch in anderen Punkten nicht immer beanstandungsfrei” sah das Verwaltungsgericht als wesentlichen Mangel des Beurteilungsverfahrens an.
Den Hauptantrag des Beschwerdeführers, den beklagten Dienstherrn zu verpflichten, die dienstliche Beurteilung vom 3. Dezember 1993 durch eine Beurteilung mit der Gesamtwertung „tritt hervor” zu ersetzen, wies das Verwaltungsgericht ab. Die dienstliche Beurteilung sei ein Akt wertender Erkenntnis, für den dem Beurteiler ein Beurteilungsspielraum eingeräumt sei. Dafür, dass ausnahmsweise der Beurteilungsspielraum auf Null reduziert und dem Beschwerdeführer die von ihm gewünschte Gesamtwertung „tritt hervor” zu erteilen sei, spreche nichts.
3. Den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung lehnte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom 10. März 1999 ab.
4. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, Verwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof hätten – insbesondere wenn man die Grundsätze der Entscheidung BVerfGE 84, 34 zur Kontrolldichte bei berufsbezogenen Prüfungen zugrunde lege – in den angegriffenen Entscheidungen gegen das Gebot des effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit dem Anspruch auf Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach den Grundsätzen der Bestenauslese gemäß Art. 33 Abs. 2 GG verstoßen. Das Verwaltungsgericht hätte angesichts der besonderen Umstände des Falles den beklagten Dienstherrn dazu verpflichten bzw. ihm eindeutig vorgeben müssen, dass die dienstliche Beurteilung in „tritt hervor” abzuändern sei. Gerügt werden ferner eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, des Anspruchs auf ein faires Verfahren sowie Verstöße gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) und das Rechtsstaatsgebot gemäß Art. 20 Abs. 3 GG.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor (vgl. BVerfGE 90, 22).
a) Die Verfassungsbeschwerde spricht zwar mit der Forderung, die Kontrolldichte bei dienstlichen Beurteilungen sei zu verstärken, eine verfassungsrechtliche Frage von über den Einzelfall hinaus weisender Bedeutung an. Diese lässt sich jedoch anhand der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beantworten.
aa) Dienstliche Beurteilungen von Beamten sind nach der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte nur beschränkt überprüfbar. Die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich nur darauf zu erstrecken, ob die Verwaltung gegen Verfahrensvorschriften verstoßen, anzuwendende Begriffe oder den rechtlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeine Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat (vgl. BVerwGE 60, 245 m.w.N.).
Auch nach Ergehen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Kontrolldichte bei berufsbezogenen Prüfungen (BVerfGE 84, 34) hat das Bundesverwaltungsgericht an seinem Standpunkt festgehalten und eine Übernahme der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur weiter gehenden Kontrolle bei berufsbezogenen Prüfungen auf die gerichtliche Kontrolle von dienstlichen Beurteilungen unter Hinweis auf die Andersartigkeit des Kontrollgegenstandes grundsätzlich abgelehnt (vgl. dazu Beschluss vom 17. März 1993, DVBl 1993, S. 956; BVerwGE 97, 128 f.; Beschluss vom 17. Juli 1998, Buchholz 232.1 § 40 BLV Nr. 19).
bb) Dies hält einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand.
Auch im Rahmen der eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle erstreckt sich diese voll auf den Sachverhalt, soweit Einzelvorkommnisse in der dienstlichen Beurteilung konkret benannt werden (vgl. BVerwGE 97, 128 ≪129≫ und schon BVerwGE 60, 245 ≪246≫). Wird die Beurteilung auf allgemein gehaltene Tatsachenbehauptungen oder auf allgemeine oder pauschal formulierte Werturteile gestützt, hat der Dienstherr diese auf Verlangen des Beamten im Beurteilungsverfahren zu konkretisieren bzw. plausibel zu machen (so BVerwGE 60, 245 ≪251≫ m.w.N.). Im nachfolgenden Verwaltungsgerichtsprozess kann das Gericht auch insoweit voll kontrollieren, ob der Dienstherr von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist (so z.B. BVerwGE 21, 127 ≪130≫; 97, 128 ≪129≫; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10. Februar 2000 – 2 A 10.98 –, ZBR 2000, S. 303 ≪304≫). Soweit eine dienstliche Beurteilung auf reine Werturteile gestützt wird, kann das Verwaltungsgericht jedoch nicht die Darlegung und den Nachweis der einzelnen „Tatsachen” verlangen, die dem Werturteil untrennbar miteinander verschmolzen zugrunde liegen; diese Werturteile selbst sind einer beweismäßigen Prüfung nicht zugänglich (BVerwGE 60, 245 ≪249 f.≫). Insoweit eröffnet Art. 33 Abs. 2 GG selbst mit den Begriffen „Eignung, Befähigung und fachliche Leistung” einen Beurteilungsspielraum des Dienstherrn, der nur eingeschränkter Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte unterliegt. Für dienstliche Beurteilungen mit Prognosecharakter besteht schon von Verfassungs wegen nur eine begrenzte verwaltungsgerichtliche Kontrollbefugnis (vgl. BVerfGE 39, 334 ≪354≫).
Art. 19 Abs. 4 GG begründet zwar für jeden Bürger den Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 35, 382 ≪401≫). Daraus folgt grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen. Andererseits können unbestimmte Gesetzesbegriffe wegen hoher Komplexität oder besonderer Dynamik der geregelten Materie so vage und ihre Konkretisierung im Nachvollzug der Verwaltungsentscheidung so schwierig sein, dass die gerichtliche Kontrolle an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stößt (vgl. BVerfGE 84, 34 ≪50≫). Der Behörde kann in solchen Fällen ohne Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze ein begrenzter Entscheidungsfreiraum zuzubilligen sein (vgl. BVerfGE 54, 173 ≪197≫; 61, 82 ≪114≫; 83, 130 ≪148≫). Die gegenwärtige, allgemeine Verwaltungspraxis im Beurteilungswesen (Bekanntgabe der Beurteilung; Besprechung derselben; Möglichkeit, Änderungen oder Konkretisierungen von pauschalen Tatsachen und zu pauschalen Werturteilen zu verlangen sowie das Widerspruchsverfahren) gewährleistet generell ausreichenden Grundrechtsschutz im Verfahren (vgl. dazu BVerwGE 60, 245 ≪251, 252≫; Schnellenbach, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter, 3. Aufl., 2001, Rn. 319 ff., 325 ff., 330 ff.; Schröder/Lemhöfer/Krafft, Das Laufbahnrecht der Bundesbeamten, Kommentar zur BLV, 2001, § 41 Rn. 34 f.).
Soweit der Beschwerdeführer aus dem Prüfungsentscheidungen betreffenden Beschluss in BVerfGE 84, 34 ff. die Forderung nach verstärkter gerichtlicher Kontrolle auch von dienstlichen Beurteilungen ableiten will, ergibt sich auch hieraus keine entscheidungserhebliche Frage von grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung. Ob der in dieser Entscheidung aufgestellte Grundsatz, wonach fachliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Prüfer und Prüfling der gerichtlichen Kontrolle nicht generell entzogen werden dürfen (a.a.O., S. 34 f.), überhaupt auf dienstliche Beurteilungen übertragen werden kann, kann offen bleiben, weil die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht erkennen lässt, inwiefern die Entscheidung von der Beantwortung dieser Frage abhängt und auch im Übrigen keinen grundrechtlich erheblichen Fehler in den angegriffenen Entscheidungen aufzeigt.
b) Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫).
Der Beschwerdeführer macht unter Berufung auf den Grundsatz des fairen Verfahrens geltend, das Verwaltungsgericht hätte die Beurteilung (Gesamtnotenbildung) selbst vornehmen müssen, weil der Dienstherr dem Konkretisierungsverlangen nicht in angemessener Zeit bzw. bis zur mündlichen Verhandlung nachgekommen und nach fünf Jahren ohnehin kaum mehr in der Lage gewesen sei, die pauschalen Vorwürfe noch zu konkretisieren. Hierfür ist aber der genannte Grundsatz, wonach der Richter u.a. nicht aus ihm zuzurechnenden Verfahrensversäumnissen Verfahrensnachteile für den dadurch Betroffenen ableiten darf (vgl. BVerfGE 78, 123 ≪126≫ m.w.N.), nicht einschlägig.
Die Annahme des Verwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs, dass im Fall des Beschwerdeführers eine Reduzierung des Beurteilungsspielraums auf Null nicht vorliege, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Angesichts der eingeschränkten Kontrolldichte bei der gerichtlichen Überprüfung dienstlicher Beurteilungen kommt eine Abänderung der Gesamtbewertung durch ein Gericht im Wege eines Verpflichtungsurteils (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) – wenn überhaupt – nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht. Die hierfür erforderliche Spruchreife wurde von den angegriffenen Entscheidungen nachvollziehbar abgelehnt. Insbesondere haben die Gerichte aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens ohne Verfassungsverstoß den Schluss gezogen, dass es sich bei dem Vorbringen des Beschwerdeführers, seine Beurteilung zum 30. September 1993 als erst acht Monate zuvor beförderter Oberregierungsrat habe sich unbestrittenermaßen bereits am oberen Rand der Bandbreite einer Gesamtbewertung mit „e.d.A.” bewegt, um eine „Selbsteinschätzung” handele, die in den Bescheiden des Dienstherrn keine Stütze finde.
2. Hinsichtlich der weiteren Rügen des Beschwerdeführers wird von einer Begründung gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Sommer, Di Fabio, Lübbe-Wolff
Fundstellen
Haufe-Index 771839 |
NJW 2003, 127 |
NVwZ 2002, 1368 |
ZTR 2002, 451 |
DÖD 2003, 82 |
DVP 2004, 516 |
PersV 2002, 470 |
RDV 2002, 236 |
BayVBl. 2002, 697 |
DVBl. 2002, 1203 |
FSt 2003, 373 |
www.judicialis.de 2002 |