Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Beschluss vom 06.06.2005; Aktenzeichen 9 WF 46/05) |
Tenor
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 6. Juni 2005 – 9 UF 39/05 und 9 WF 46/05 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit er die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beweisbeschluss des Amtsgerichts Viersen vom 7. März 2005 – 14 F 167/04 – über die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zur Beurteilung seiner Prozessfähigkeit zurückweist. In diesem Umfang wird er aufgehoben.
Der Beweisbeschluss des Amtsgerichts Viersen vom 7. März 2005 – 14 F 167/04 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes; er wird aufgehoben.
- Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer zwei Drittel seiner notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu ersetzen.
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich dagegen, dass auf seinen Antrag auf Abänderung einer umgangsrechtlichen Entscheidung hin ein Beweisbeschluss über die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens über seine Prozessfähigkeit verfügt worden ist.
1. Der Beschwerdeführer ist Vater einer minderjährigen Tochter, die aus der mittlerweile geschiedenen Ehe des Beschwerdeführers mit der Kindesmutter hervorgegangen ist. Ausgangspunkt für das hier gegenständliche Verfahren bildet eine Entscheidung des Amtsgerichts Viersen vom 23. Dezember 2003, nach der beiden Kindeseltern die elterliche Sorge entzogen und auf das Jugendamt übertragen wurde. Gleichzeitig regelte dieser Beschluss auch das Umgangsrecht des Beschwerdeführers mit seiner Tochter.
2. Auf den Antrag des Beschwerdeführers hin, die vorgenannte Umgangsregelung vorläufig zu erweitern, verfügte das Amtsgericht ohne vorherige Anhörung des Beschwerdeführers mit unbegründetem Beweisbeschluss vom 7. März 2005, es solle über die Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers durch Einholung eines schriftlichen psychiatrischen Gutachtens Beweis eingeholt werden.
Mit Beschluss ebenfalls vom 7. März 2005 verweigerte das Amtsgericht dem Beschwerdeführer für ein beabsichtigtes parallel geführtes sorgerechtliches Abänderungsverfahren die von ihm beantragte Prozesskostenhilfe. Die Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Erfolgsaussicht. Der Beschwerdeführer sei nach wie vor erziehungsunfähig. Nachdem die Kindeseltern im Jahr 2003 eine Vielzahl von Verfahren angestrengt hätten, seien nunmehr seit etwa Mai/Juni 2004 erneut vier Verfahren im Bereich des Sorge- und Umgangsrechts anhängig. Der näher dargestellte Verfahrensablauf nebst seinen Begleitumständen wie auch die Verfahrensabläufe betreffend die Vorverfahren ließen erkennen, dass der Hintergrund des seitens des Beschwerdeführers angebrachten Antrags auf Alleinsorge nebst Eilantrag wie im Übrigen auch der anderen anhängig gemachten Anträge im Kern querulatorischer Natur sei. Die zahlreichen maßlosen und die Grenzen strafbaren Verhaltens überschreitenden Vorwürfe des Beschwerdeführers gegen das Gericht, gegen das Jugendamt wie Willkür, Rechtsmissbrauch, Rechtsbeugung, provokative Missachtung der Rechte usw. wie die zahlreichen schweren Anschuldigungen gegenüber dem Gericht, dem Jugendamt und dem Kinderarzt wie schwere Körperverletzung, Kindesmisshandlung, Prozessbetrug, Urkundendelikt ließen erkennen, dass der Beschwerdeführer die sachliche Ebene betreffend die elterliche Sorge längst verlassen habe.
3. Die gegen den Beweisbeschluss des Amtsgerichts vom 7. März 2005 und andere amtsgerichtliche Beschlüsse gerichtete Beschwerde wies das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 6. Juni 2005 zurück. Zum angegriffenen Beweisbeschluss führte das Oberlandesgericht aus, aufgrund des Prozessverhaltens des Beschwerdeführers bestünden Zweifel an der Geschäfts- und Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers, welche die Einholung eines Sachverständigengutachtens geböten. Geschäfts- und Prozessunfähigkeit könnten auch bei ausgeprägtem Querulantenwahn zu bejahen sein. Der Beschwerdeführer rüge zu Unrecht, dass das Amtsgericht es versäumt habe, ihn persönlich anzuhören. Ob das Amtsgericht verpflichtet gewesen sei, die angeordnete Einholung eines Sachverständigengutachtens zu begründen, könne dahinstehen, da das Amtsgericht in dem im sorgerechtlichen Parallelverfahren gefassten Beschluss vom 7. März 2005 zur Zurückweisung eines Prozesskostenhilfeantrags des Beschwerdeführers ausführlich auch zu Zweifeln an dessen Prozess- und Geschäftsfähigkeit Stellung nehme.
4. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG. Sinngemäß rügt der Beschwerdeführer in seinem umfangreichen Verfassungsbeschwerdeschriftsatz vor allem, er hätte vor dem Erlass des angegriffenen Beweisbeschlusses persönlich angehört werden müssen, was unterblieben sei. Überdies sei der Beweisbeschluss nicht begründet worden.
5. Auf den Antrag des Beschwerdeführers hin hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 8. August 2005 die Vollziehung des angegriffenen Beweisbeschlusses im Wege der einstweiligen Anordnung ausgesetzt. Dabei hat es in Ansehung der besonderen Umstände des Einzelfalles darauf hingewiesen, dass es dem Beschwerdeführer nicht zuzumuten gewesen ist, noch einmal bei dem Oberlandesgericht die Verletzungen seines Anspruchs auf rechtliches Gehör mit der Anhörungsrüge geltend zu machen (vgl. Beschluss der Kammer vom 8. August 2005 – 1 BvR 1542/05 –, S. 6).
Das Bundesverfassungsgericht hat der Landesregierung Nordrhein-Westfalen und dem Jugendamt Viersen gemäß §§ 94 Abs. 3 und Abs. 4, 77 BVerfGG Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist im tenorierten Umfang zur Entscheidung anzunehmen, weil ihre Annahme zur Durchsetzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt ist (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
1. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe a, § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen zum Anspruch auf rechtliches Gehör sind vom Bundesverfassungsgericht bereits beantwortet worden (vgl. BVerfGE 107, 395 ≪408 ff.≫). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist in dem tenorierten Umfang allerdings zur Durchsetzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör angezeigt (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist nur zulässig, soweit sie sich gegen den Beweisbeschluss des Amtsgerichts über die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens über die Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers und die Bestätigung dieses Beschlusses durch das Oberlandesgericht bezieht. In diesem Umfang ist sie auch begründet.
Insoweit verletzen die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.
Zwar sind die Gerichte grundsätzlich befugt, von Amts wegen etwaige Mängel der Prozessfähigkeit von Verfahrensbeteiligten zu ermitteln. Auch ist die Einschätzung der Gerichte, dass die Vielzahl und Art der Vorwürfe und Anträge des Beschwerdeführers gegenüber den gerichtlichen Entscheidungsträgern und Behörden Zweifel an einer uneingeschränkten Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers begründen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es verletzt jedoch den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG, dass er vor dem Erlass des Beweisbeschlusses über die Erstellung eines Gutachtens zur Klärung seiner Prozessfähigkeit nicht persönlich angehört worden ist.
Das Grundgesetz sichert rechtliches Gehör im gerichtlichen Verfahren durch das Verfahrensgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG. Garantiert ist den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten im Prozess eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können. Der Einzelne soll nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen (vgl. BVerfGE 107, 395 ≪409≫; stRspr). Die Maßgeblichkeit der Rechtsschutzgarantie entfällt nicht allein deshalb, weil die Partei schon die Möglichkeit gehabt hat, sich zur Sache zu äußern. Art. 103 Abs. 1 GG enthält weiter gehende Garantien als die, sich irgendwie zur Sache einlassen zu können, zum Beispiel den Schutz vor einer Überraschungsentscheidung (vgl. BVerfGE 107, 395 ≪410≫; stRspr).
Diesem Maßstab sind die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht geworden. Zwar hat das Amtsgericht in der Entscheidung vom 23. Dezember 2003 bereits sinngemäß darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer den Blick für die Realität verloren habe und seine Anträge im Kern querulatorischen Charakter trügen, und hat den Beschwerdeführer als erziehungsunfähig bezeichnet, weil er “zu einer realitätsgerechten Einschätzung der mit den Fragen des Umgangs- und Sorgerechts zusammenhängenden Dinge nicht in der Lage” sei. Diese Erwägungen rechtfertigen jedoch nicht die Annahme, dass der Beschwerdeführer ohne einen entsprechenden richterlichen Hinweis damit hat rechnen müssen, das Amtsgericht werde seinen jetzigen sorgerechtlichen Abänderungsantrag zum Anlass nehmen, seine Prozessfähigkeit in Frage zu stellen. Insofern hätte dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben werden müssen, in einer persönlichen Anhörung zu der beabsichtigten Beweiserhebung über seine Prozessfähigkeit Stellung nehmen zu können. Demgegenüber hat das Amtsgericht vor dem Erlass des Beweisbeschlusses dem Beschwerdeführer noch nicht einmal die Gelegenheit zu einer schriftlichen Stellungnahme gegeben.
3. Den Antrag des Beschwerdeführers auf Zurückverweisung an ein anderes Oberlandesgericht respektive an einen anderen Senat des Oberlandesgerichts Düsseldorf war abzulehnen. Nach § 95 Abs. 2 BVerfGG kommt eine Zurückverweisung an ein anderes zuständiges Gericht nur in Betracht, wenn dies zur Wahrung der materiellen Einzelfallgerechtigkeit erforderlich ist, um sachfremden Einflüssen auf das Verfahren vorzubeugen (vgl. BVerfGE 20, 336 ≪344≫; BVerfGE 107, 104 ≪133≫). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist nicht zu befürchten, dass die Fachgerichte künftig in ihren Entscheidungen dem Beschwerdeführer voreingenommen gegenübertreten.
4. Soweit die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wird, wird von einer Begründung abgesehen (vgl. § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen