Beteiligte
Rechtsanwalt Werner Kaiser |
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen seine strafgerichtliche Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, Vergewaltigung und sexueller Nötigung (§§ 176 Abs. 1, 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB n.F., §§ 177 Abs. 2 a.F., 178 StGB a.F., 53 StGB) zu einer Freiheitsstrafe. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, inwieweit Art. 103 Abs. 2 GG oder sonstiges Verfassungsrecht dem durch den Gesetzgeber in § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB bei Straftaten nach den §§ 176 bis 179 StGB angeordneten Ruhen der Verfolgungsverjährung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers entgegensteht.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, weil ein Annahmegrund im Sinne des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, da die entscheidungserheblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden worden sind. Dies gilt für den Maßstab, der bei der Nachprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen im Allgemeinen von Verfassungs wegen anzulegen ist (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫), ebenso wie für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Frage, inwieweit Art. 103 Abs. 2 GG oder sonstiges Verfassungsrecht einem durch den Gesetzgeber angeordneten Ruhen der Verfolgungsverjährung und einer damit bewirkten rückwirkenden Verlängerung von Verjährungsfristen entgegensteht (vgl. insbesondere BVerfGE 25, 269 ≪286 ff.≫; ferner bereits BVerfGE 1, 418 ≪423≫ und 50, 42 ≪47 f.≫; Kammerbeschluss vom 30. Mai 1994 - 2 BvR 746/94 - = NJW 1995, S. 1145).
Die Annahme zur Entscheidung ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat in der Sache keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers waren die ihm vorgeworfenen Taten im Zeitpunkt des Inkrafttretens des 30. StRÄndG am 30. Juni 1994 noch nicht verjährt. Vielmehr ist das Landgericht mit zutreffender Begründung davon ausgegangen, dass die für die verfahrensgegenständlichen Tatvorwürfe zehnjährige Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB) bis zum 18. Geburtstag der Geschädigten am 19. Dezember 1988 ruhte, wobei es sich bei der in den Urteilsgründen genannten Datumsangabe („19.12.1998”) um ein offensichtliches Schreibversehen handelt.
Die vom Beschwerdeführer mittelbar angegriffene Bestimmung des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
Art. 103 Abs. 2 GG verbietet sowohl die rückwirkende Strafbegründung wie die rückwirkende Strafverschärfung. Art. 103 Abs. 2 GG besagt dagegen nichts über die Dauer des Zeitraums, während dessen eine in verfassungsmäßiger Weise für strafbar erklärte Tat verfolgt und durch Verhängung der angedrohten Strafe geahndet werden darf. Er verhält sich vielmehr nur über das „von wann an”, nicht aber über das „wie lange” der Strafverfolgung. Weil Verjährungsvorschriften lediglich die Verfolgbarkeit betreffen, die Strafbarkeit jedoch unberührt lassen, fallen sie aus dem Geltungsbereich des Art. 103 Abs. 2 GG heraus; eine Verlängerung oder Aufhebung von Verjährungsfristen kann deshalb nicht gegen den in Art. 103 Abs. 2 GG enthaltenen Gewährleistungsgehalt verstoßen (vgl. BVerfG a.a.O., jeweils m.w.N.).
Nichts anderes gilt, wenn – wie hier – das Ruhen der Verjährung auch für Taten angeordnet wird, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes begangen worden sind, sofern ihre Verfolgung zu diesem Zeitpunkt nicht bereits verjährt gewesen ist (Art. 2 30. StRÄndG; vgl. neben BVerfGE 72, 200 ≪241 f.≫ die – soweit ersichtlich – einhellige Auffassung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs: BGHR StGB § 78b Abs. 1 Ruhen 3 und 5; BGH, Urt. vom 4. Februar 1997 - 5 StR 606/96 - und zuletzt BGH, Urt. vom 7. Dezember 1999 - 1 StR 565/99 -; im Ergebnis zustimmend auch Fischer in Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl. 1999, § 78b Rn. 3 f.).
Der Beschwerdeführer kann auch nicht aus anderen verfassungsrechtlichen Grundsätzen einen Anspruch darauf ableiten, in seinem Vertrauen auf den Fortbestand der für ihn günstigeren Verjährungsregelung geschützt zu werden. Der den Gesetzesmaterialien eindeutig zu entnehmende Wille des Gesetzgebers, für so genannte Altfälle komme eine Anrechnung schon abgelaufener Zeiträume auf die Verjährungsfrist nicht in Frage mit der Folge, dass ein vor Inkrafttreten der Neuregelung des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB verstrichener Zeitraum gewissermaßen im Nachhinein wieder entfällt, berührt keine von Verfassungs wegen geschützte Vertrauensposition des Beschwerdeführers.
Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Hassemer, Broß
Fundstellen
Haufe-Index 543509 |
NJW 2000, 1554 |
NStZ 2000, 251 |
NStZ 2001, 81 |
www.judicialis.de 2000 |