Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtannahmebeschluss: Dauer des fachgerichtlichen Eilverfahrens (betreffend die Fortschreibung eines Vollzugsplans im Strafvollzug) von über 20 Monaten begegnet erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. nicht nachvollziehbare Billigkeitsentscheidung nach § 121 Abs 2 S 2 StVollzG. Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde aufgrund fehlender Vorlage der fachgerichtlichen Schriftsätze, des angegriffenen Vollzugsplans sowie der Stellungnahme der JVA
Normenkette
GG Art 3 Abs. 1; GG Art 19 Abs. 4; GG Art 20 Abs. 3; BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2, § 92; StVollzG § 120 Abs. 2, § 121 Abs. 2 S. 2; ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Offenburg (Beschluss vom 16.01.2020; Aktenzeichen 7 StVK 349/18) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Rz. 1
1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Anforderungen an ihre Begründung genügt (vgl. BVerfGE 112, 304 ≪314 f.≫; 129, 269 ≪278≫). Der Beschwerdeführer hat es versäumt, seine fachgerichtlichen Schriftsätze, den angegriffenen Vollzugsplan sowie die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt vorzulegen oder inhaltlich wiederzugeben. Ohne Kenntnis des Inhalts dieser Unterlagen ist eine verantwortbare verfassungsrechtliche Überprüfung nicht möglich.
Rz. 2
2. a) Deshalb konnte eine Verletzung von Grundrechten des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden, obwohl die Dauer des mit Beschluss des Landgerichts Offenburg vom 16. Januar 2020 abgeschlossenen Eilrechtsschutzverfahrens erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern gibt dem Rechtsschutzsuchenden Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 35, 382 ≪401 f.≫; 37, 150 ≪153≫; 101, 397 ≪407≫; stRspr). Wirksam ist nur ein Rechtsschutz, der innerhalb angemessener Zeit gewährt wird. Insbesondere der vorläufige Rechtsschutz im Eilverfahren hat so weit wie möglich der Schaffung vollendeter Tatsachen zuvorzukommen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können, wenn sich eine Maßnahme bei endgültiger richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist (vgl. BVerfGE 37, 150 ≪153≫; 65, 1 ≪70≫). Hieraus ergeben sich für die Gerichte Anforderungen an die Auslegung und Anwendung der jeweiligen Gesetzesbestimmungen über den Eilrechtsschutz (vgl. BVerfGE 49, 220 ≪226≫; 77, 275 ≪284≫; 93, 1 ≪13 f.≫; stRspr). Wo die Dringlichkeit eines Eilantrages es erfordert, muss das angerufene Gericht, wenn es eine Stellungnahme der Gegenseite einholt, die für eine rechtzeitige Entscheidung erforderliche Zügigkeit der Kommunikation sicherstellen, indem es etwa für Übermittlungen per Fax sorgt, kurze Fristen setzt und benötigte Akten zeitnah beizieht (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 3. August 2011 - 2 BvR 1739/10 -, Rn. 28 f.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 5. September 2013 - 1 BvR 2447/11 -, Rn. 10).
Rz. 3
b) Das Landgericht Offenburg hat diesen Anforderungen nicht genügt, indem es den vom Beschwerdeführer am 22. Mai 2018 gestellten Eilrechtsschutzantrag zunächst nicht beschieden hat, sondern die - vom Beschwerdeführer im einstweiligen Rechtsschutzverfahren begehrte - Fortschreibung des Vollzugsplans am 13. Juli 2018 sowie die Entlassung des Beschwerdeführers aus dem Strafvollzug im November 2018 abgewartet und schließlich erst am 16. Januar 2020 - nachdem der Eilrechtsschutzantrag des Beschwerdeführers fast 20 Monate anhängig war - eine Entscheidung über diesen zusammen mit der Hauptsacheentscheidung getroffen hat.
Rz. 4
3. a) Ferner muss dahinstehen, dass die Entscheidung des Landgerichts Offenburg über den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts ebenfalls verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG keine vollständige Gleichstellung Unbemittelter mit Bemittelten, sondern nur eine weitgehende Angleichung. Verfassungsrechtlich unbedenklich ist es danach, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten darf jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfGE 81, 347 ≪357≫). Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Dies bedeutet zugleich, dass Prozesskostenhilfe nur verweigert werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber lediglich eine entfernte ist (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Mai 2016 - 2 BvR 1267/15 -, Rn. 10 mit Verweis auf BVerfGE 81, 347 ≪357 f.≫; stRspr). Die Auslegung und Anwendung des § 120 Abs. 2 StVollzG in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Das Bundesverfassungsgericht kann daher nur eingreifen, wenn die Entscheidungen der Fachgerichte Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der verfassungsrechtlich verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen (BVerfGE 81, 347 ≪357 f.≫; BVerfGK 2, 279 ≪281≫). Änderungen in der Beurteilung der Erfolgsaussichten, die nach der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags eintreten, sind ebenso wie dem entscheidenden Gericht zuzurechnende Verzögerungen bei der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag nicht zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Dezember 2018 - 2 BvR 2257/17 -, Rn. 15 und vom 12. Mai 2020 - 2 BvR 2151/17 -, Rn. 20, jeweils m.w.N.).
Rz. 5
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist es nicht nachvollziehbar, dass das Landgericht Offenburg einerseits im Rahmen seiner Billigkeitsentscheidung nach § 121 Abs. 2 Satz 2 StVollzG darauf abgestellt hat, dass die Kosten des Verfahrens aufgrund der nicht abschließenden Klärbarkeit des Verfahrensausgangs mit Ausnahme der Auslagen des Beschwerdeführers der Staatskasse aufzuerlegen seien, andererseits ohne nähere Erläuterung und Auseinandersetzung mit dem Zeitpunkt der Bewilligungsreife ausgeführt hat, dass der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts mangels Erfolgsaussichten in der Sache abzulehnen sei.
Rz. 6
4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Rz. 7
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen
Dokument-Index HI14042566 |