Entscheidungsstichwort (Thema)
Ärztliche Aussagen. dauernde Erkrankung. Dienstunfähigkeit. Entlassung. Ermessen. Probebeamter. Prognose. Statusdienstzeit. Überschreiten des 27. Lebensjahres. ungebührliche Verzögerung. Versetzung in den Ruhestand. Zweifel an gesundheitlicher Eignung
Leitsatz (amtlich)
Der Dienstherr kann einen dienstunfähigen Probebeamten auch nach Ablauf der Probezeit und nach Erreichen des 27. Lebensjahres entlassen, wenn Zweifel an seiner gesundheitlichen Eignung während der fünfjährigen Statusdienstzeit nicht ausgeräumt werden konnten. Hat der Dienstherr die Klärung der Dienstfähigkeit nicht ungebührlich verzögert, so ist sein Ermessen nicht eingeschränkt, den Beamten entweder zu entlassen oder in den Ruhestand zu versetzen.
Normenkette
BBG § 9 Abs. 1-2, § 31 Abs. 1 Nr. 3, § 46 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Entscheidung vom 12.12.2000; Aktenzeichen 5 L 3285/00) |
VG Hannover (Entscheidung vom 28.05.1999; Aktenzeichen 13 A 2270/98) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 12. Dezember 2000 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 902,24 DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Der Sache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch beruht die angegriffene Entscheidung des Berufungsgerichts auf einer Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) oder eines Oberverwaltungsgerichts (§ 127 Nr. 1 BRRG).
1. Die Klägerin hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, in welchem Umfang dem Dienstherrn bei der Entscheidung, ob er einen dienstunfähigen Probebeamten entlässt oder gemäß § 46 Abs. 2 BBG in den Ruhestand versetzt, ein Prognosespielraum zusteht und wann er diesen überschreitet. Weiter möchte die Klägerin wissen, in welchem Umfang der Dienstherr im Rahmen seiner Fürsorgepflicht auf ärztliche Aussagen vertrauen darf und inwieweit ärztliche Aussagen bestimmter Art weitere Handlungspflichten des Dienstherrn auslösen. Von grundsätzlicher Bedeutung sei insbesondere, inwieweit der Dienstherr unter Beachtung der einschlägigen Vorschriften gehalten sei, eine Entscheidung zu treffen, inwieweit in diesem Kontext eine noch jenseits der gesetzlichen Regelung liegende Grenze vorhanden sei und definiert werden könne und welche Kriterien hierfür vorliegen müssten. Konkret sei zu klären, unter welchen Voraussetzungen eine jenseits der gesetzlichen Regelung liegende und in der Dauer „offene” Verschiebung (der Entscheidung über die Entlassung des Beamten auf Probe) nach hinten möglich sei.
Keine dieser Fragen ist grundsätzlich klärungsbedürftig. Sie lassen sich vielmehr, soweit sie nicht ohnehin die Bewertung von Tatsachen betreffen oder nur im Hinblick auf die besonderen Umstände des Einzelfalls verständlich sind, ohne weiteres aus dem Gesetz und der hierzu vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten.
Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage nach dem Bestehen eines Prognosespielraums bezieht sich auf die Feststellung der Dienstunfähigkeit, die Voraussetzung für die Entlassung eines Probebeamten ist (§ 31 Abs. 1 Nr. 3 BBG). Diese Frage ist schon deshalb nicht klärungsbedürftig, weil zwischen den Parteien unstreitig ist, dass die Klägerin dienstunfähig ist; auf eine Prognose kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (zur Beurteilungsermächtigung und Prognose vgl. Urteil vom 25. Februar 1993 – BVerwG 2 C 27.90 – BVerwGE 92, 147 ≪149≫). Wenn sich die Frage auf den Beurteilungszeitpunkt 8. September 1992 bezöge, würde sie in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht beantwortet werden. Nach § 42 Abs. 1 Satz 2 BBG kann der Beamte auch dann als dienstunfähig angesehen werden, wenn er infolge Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat und keine Aussicht besteht, dass er innerhalb weiterer sechs Monate wieder voll dienstfähig wird. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin die Voraussetzungen dieser Vorschrift in zeitlicher Hinsicht erfüllt. Einer Prognose, wie in der Beschwerde angesprochen wird, bedurfte es nicht.
Die Frage zielt im Weiteren ersichtlich darauf, ob der Dienstherr in einem solchen Falle verpflichtet ist, den Beamten in den Ruhestand zu versetzen (statt – wie es im Falle der Klägerin geschehen ist – den Beamten zu entlassen).
§ 46 Abs. 2 BBG stellt es in das pflichtgemäße Ermessen des Dienstherrn, den in der Probezeit dienstunfähig gewordenen Beamten in den Ruhestand zu versetzen, anstatt ihn, wie es nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 BBG vorgesehen ist, zu entlassen. Die Beschwerde will offenbar wissen, ob dieses Ermessen zugunsten einer Entscheidung im Sinne der Versetzung in den Ruhestand eingeschränkt ist, wenn die Feststellung der Dienstunfähigkeit längere Zeit in Anspruch nimmt und – wie hier – in einen Zeitpunkt fällt, in dem der Probebeamte bereits das 27. Lebensalter vollendet und damit eine der nach § 9 Abs. 1 BBG zwingenden Voraussetzungen für die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit erfüllt hat.
Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich, dass das Beamtenverhältnis auf Probe auch dann fortbesteht, wenn die Entscheidung über die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit sich über den in § 9 Abs. 2 Satz 1 BBG genannten Zeitpunkt hinauszieht. Allerdings darf die Entscheidung über die Umwandlung des Beamtenverhältnisses auf Probe in ein solches auf Lebenszeit nicht ungebührlich lange hinausgeschoben werden; der Dienstherr muss hierüber vielmehr in angemessener Zeit befinden, und zwar sowohl im eigenen Interesse als auch im Interesse des Schutzes des Beamten. § 9 Abs. 2 Satz 1 BBG bestimmt daher, dass das Beamtenverhältnis auf Probe spätestens nach fünf Jahren in ein solches auf Lebenszeit umzuwandeln ist (Statusdienstzeit). Mit dieser Pflicht des Dienstherrn korrespondiert ein Anspruch des Beamten auf Probe auf Umwandlung seines Beamtenverhältnisses. Diese Pflicht und dieser Anspruch bestehen jedoch nicht uneingeschränkt, und sie sind nicht nur von der Ableistung der fünfjährigen Dienstzeit als Beamter auf Probe abhängig. Sie bestehen nach § 9 Abs. 1 BBG nur, wenn auch die übrigen beamtenrechtlichen Voraussetzungen für die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit erfüllt sind. Zu diesen Voraussetzungen gehört jedenfalls, dass der Beamte nicht dauernd dienstunfähig ist. Liegt Dienstunfähigkeit vor, so ist das Dienstverhältnis zu beenden, und zwar auch dann, wenn die fünfjährige Statusdienstzeit bereits abgelaufen ist. Eine Einschränkung des Ermessens, ob diese Beendigung im Wege der Entlassung oder der Versetzung in den Ruhestand herbeizuführen ist, kann sich daraus ergeben, dass der Dienstherr die Entscheidung über eine Entlassung vor Ablauf der fünfjährigen Statusdienstzeit trotz Entscheidungsreife nicht getroffen hat. Entscheidungsreife ist nicht gegeben, wenn die Frage der dauernden Dienstunfähigkeit bis zum Ablauf der Statusdienstzeit nicht abschließend geklärt werden kann. In einem solchen Falle wird nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung der Ablauf der fünfjährigen Frist gehemmt und die Pflicht des Dienstherrn zur Entscheidung des Sachverhalts hinausgeschoben. Der Dienstherr darf allerdings die Aufklärung nicht ungebührlich verzögern; nur insoweit wird seine Entscheidungspflicht aufgeschoben. Er hat die anstehende Entscheidung vielmehr unverzüglich, also ohne schuldhafte Verzögerung nach Ablauf der Probezeit zu treffen. Ist aber der Dienstherr in diesen Fällen nicht verpflichtet, die Entscheidung spätestens bis zum Ablauf der fünfjährigen Statusdienstzeit zu treffen, so wird insoweit auch nicht sein Ermessen, den dienstunfähigen Beamten auf Probe entweder zu entlassen oder in den Ruhestand zu versetzen, durch den Ablauf der fünfjährigen Statusdienstzeit eingeschränkt (vgl. Urteile vom 29. Oktober 1964 – BVerwG 2 C 219.62 – BVerwGE 19, 344 ≪348≫; vom 23. Februar 1967 – BVerwG 2 C 29.65 – BVerwGE 26, 228 ≪232≫; vom 24. Oktober 1972 – BVerwG 6 C 43.70 – ≪BVerwGE 41, 75, 78 ff.≫; vom 31. Mai 1990 – BVerwG 2 C 35.88 – BVerwGE 85, 177 ≪183≫ und vom 25. Februar 1993 – BVerwG 2 C 27.90 – BVerwGE 92, 147 ≪148 ff.≫).
Nach dieser Rechtsprechung ist nicht zweifelhaft, dass das Ermessen der Beklagten, die dienstunfähige Klägerin zu entlassen oder in den Ruhestand zu versetzen, im Zeitpunkt der getroffenen Entscheidung noch ausgeübt werden konnte. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass in dem Zeitpunkt, in dem die Ernennung der Klägerin zur Beamtin auf Lebenszeit frühestens möglich war, nämlich bei der Vollendung ihres 27. Lebensjahres am 9. September 1992, Zweifel an ihrer gesundheitlichen Eignung noch nicht ausgeräumt waren. Es liegt kein schuldhaftes Zögern darin, dass die Beklagte der Anregung des Postbetriebsarztes folgte und eine weitere Untersuchung 24 Monate später abwartete; sie war nicht gehalten, sofort die Entlassung der Klägerin zu verfügen, solange noch eine von ärztlicher Seite genährte Hoffnung bestand, die Klägerin werde die bestehenden Zweifel an ihrer gesundheitlichen Eignung ausräumen. Weitere Verzögerungen der Entscheidung bis zum Februar 1998 sind ausschließlich darin begründet, dass die Klägerin nach Feststellung ihrer dauernden Nichteignung im Juni 1994 wegen einer bestehenden Schwangerschaft und danach wegen der Gewährung von Erziehungsurlaub nicht entlassen werden konnte.
2. Die angegriffene Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auch nicht auf einer Abweichung von den bereits zitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Oktober 1972 (a.a.O.), vom 21. Mai 1990 (a.a.O.) und vom 25. Februar 1993 (a.a.O.). Das Berufungsgericht hat sich auf diese Entscheidungen vielmehr ausdrücklich berufen. Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht von einem Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen ist. Die von der Beschwerde beanstandete fehlerhafte Anwendung eines solchen Rechtssatzes stellt keine Abweichung in diesem Sinne dar. Dasselbe gilt von der behaupteten Abweichung im Sinne des § 127 Nr. 1 BRRG von dem Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 4. Oktober 1989 – 2 A 31/89 – (DÖD 1990, 96). Soweit die Beschwerde sich darauf stützt, das angefochtene Urteil weiche bei „ungebührlicher Verzögerung” der Entscheidung über die Ernennung des Probebeamten zum Beamten auf Lebenszeit von den genannten Urteilen ab, übersieht sie, dass das Berufungsgericht eine derartige ungebührliche Verzögerung gerade nicht festgestellt hat.
Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 13 Abs. 4 Satz 1 Buchst. a und Satz 2 GKG.
Unterschriften
Dawin, Dr. Kugele, Groepper
Fundstellen
Haufe-Index 650193 |
ZAP 2002, 10 |
ZBR 2002, 400 |
ZfPR 2002, 50 |
DVBl. 2002, 211 |
NPA 2002, 0 |