Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 30.05.2002; Aktenzeichen 1 K 7/00) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. Mai 2002 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.
Die Verfahrensrügen bleiben ohne Erfolg.
Das Normenkontrollgericht hat nicht dadurch gegen § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen, dass es den Sachverhalt nicht durch die Einholung eines zusätzlichen Sachverständigengutachtens weiter aufgeklärt hat. Der Antragsteller macht selbst nicht geltend, einen entsprechenden Beweisantrag gestellt zu haben. Ebenso wenig legt er dar, weshalb sich der Vorinstanz auch ohne einen solchen Antrag Ermittlungen in der von ihm bezeichneten Richtung von Amts wegen hätten aufdrängen müssen. Ist ein Gutachten erstattet worden, so besteht nur dann Anlass, einen weiteren Sachverständigen einzuschalten, wenn die gutachtliche Stellungnahme, die dem Tatrichter vorliegt, Mängel aufweist oder sonst wie zu Zweifeln berechtigt. Der Antragsteller zeigt keine Umstände auf, die geeignet sind, die Sachkunde der Sachverständigen Dr. H.…, auf die sich das Normenkontrollgericht stützt, in Frage zu stellen. Die von ihm zitierte gutachtliche Äußerung vom 17. Mai 2000 lässt in dieser Hinsicht nicht die negativen Schlüsse zu, die er zieht. Soweit darin die Auswirkungen des Jungviehstalles abgeschätzt werden, geht die Sachverständige nicht, wie er ihr unterstellt, fälschlich von einem Tierbestand von 7,14 GV, sondern von einer geruchsäquivalenten Tiermasse von 7,14 aus.
Das Normenkontrollgericht hat § 108 Abs. 1 VwGO nicht dadurch verletzt, dass es der dem Antragsteller erteilten Baugenehmigung für den Bau eines Jungviehstalles im Rahmen der nach § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB gebotenen Kausalitätsprüfung Bedeutung beigemessen hat. Ob es sich bei seiner Überzeugungsbildung von der in diesem Punkt angestellten Erwägung leiten lassen durfte oder nicht, ist eine Frage der Anwendung des materiellen Rechts und nicht der Beachtung prozessrechtlicher Vorgaben. Gleiches gilt für die vom Antragsteller beanstandete Aussage, dass der Schutzstatus eines Baugebietes mit dem Abstand von der Immissionsquelle zunimmt.
Die Rechtssache hat auch nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Antragsteller beimisst.
Die Frage, ob nach der “Mittelwert”-Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine “Abstufung innerhalb eines Baugebietes zulässig ist und ob bei reinen Wohngebieten die Abweichung vom Mittelwert in den der Emissionsquelle zugewandten Teilen des Baugebietes soweit angenommen werden kann, dass der Schutzcharakter bis auf den Schutzcharakter eines Dorfgebiets heruntergeht”, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision.
Das Normenkontrollgericht sieht die Schutzwürdigkeit des im angegriffenen Bebauungsplan festgesetzten reinen Wohngebietes im Hinblick auf die durch landwirtschaftliche Betriebe geprägte Umgebung, in die die Antragsgegnerin hineingeplant hat, so weit gemindert an, dass sie im westlichen Teil mit der eines Dorfgebietes identisch ist und allenfalls ganz im Osten der eines Wohngebietes nahe kommt.
Dieser rechtliche Ansatz mag zweifelhaft erscheinen. Ein Bebauungsplan, dessen Verwirklichung auf unabsehbare Zeit an unüberwindlichen Hindernissen scheitert, ist mangels Erforderlichkeit nach § 1 Abs. 3 BauGB unwirksam. Als rechtliches Hindernis können sich u.a. die Anforderungen des Immissionsschutzrechts erweisen, die zwar unmittelbar erst auf der Zulassungsebene zum Tragen kommen, auf der Planungsstufe aber nicht gänzlich ausgeblendet werden dürfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. August 1999 – BVerwG 4 CN 4.98 – BVerwGE 109, 246). Die Gemeinde darf nicht so planen, dass im Plangebiet schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG vorprogrammiert sind. Wo die Grenze des immissionsschutzrechtlich noch Hinnehmbaren verläuft, hängt nach der Gebietseinteilung der Baunutzungsverordnung, an die das Immissionsschutzrecht anknüpft, nicht zuletzt von der jeweiligen Gebietsart ab. Der zulässige Störungsgrad variiert je nach der Schutzwürdigkeit des Gebietstyps. Hierfür Maßstäbe bereitzustellen, ist nach der Systematik des Bundes-Immissionsschutzgesetzes untergesetzlicher Konkretisierung vorbehalten. Die insoweit in den einschlägigen Regelwerken bezeichneten Erheblichkeitsschwellen haben durchweg Richtwertcharakter. Sie lassen innerhalb einer gewissen Bandbreite Raum für Abweichungen. Diese Offenheit schlägt sich in der “Mittelwert”-Rechtsprechung des Senats nieder, die auf der Annahme beruht, dass Gebiete von unterschiedlicher Qualität und Schutzwürdigkeit zusammentreffen dürfen, auch wenn dies zwangsläufig zur Folge hat, dass sich das regelhaft vorgegebene Zumutbarkeitsmaß in dem einen Gebiet erhöht und in dem anderen vermindert (vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Dezember 1975 – BVerwG 4 C 71.73 – BVerwGE 50, 49, vom 18. Mai 1995 – BVerwG 4 C 20.94 – BVerwGE 98, 235 und vom 23. September 1999 – BVerwG 4 C 6.98 – BVerwGE 109, 314; Beschlüsse vom 5. März 1984 – BVerwG 4 B 171.83 – Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 98, vom 18. Dezember 1990 – BVerwG 4 N 6.88 – Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 50 und vom 28. September 1993 – BVerwG 4 B 151.93 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 119). Die Mittelwertbildung darf indes nicht mit einer bloßen rechnerischen Interpolation verwechselt werden. Sie bietet keine Handhabe dafür, die immissionsschutzrechtlich maßgebliche Gebietseigenart vollständig umzuformen. Wird in einem Bebauungsplan ein nach seiner allgemeinen Charakteristik gegen Störungen weitgehend abgeschirmtes Baugebiet festgesetzt, in dem sich faktisch allenfalls ein Schutzniveau wahren lässt, das einem weniger gegen Störungen geschützten Gebiet gerecht wird, so lässt sich ein Widerspruch zu den Wertungen, die dem gebietsbezogenen Richtwertsystem zugrunde liegen, nicht von der Hand weisen. Anders als bei einer durch ein bereits vorhandenes Nebeneinander konfliktträchtiger Nutzungen geprägten Gemengelage darf die Gemeinde nicht ohne zwingenden Grund selbst die Voraussetzungen für die Berücksichtigung von Vorbelastungen dadurch schaffen, dass sie in einen durch ein erhöhtes Immissionspotential gekennzeichneten Bereich ein störempfindliches Wohngebiet hineinplant und damit – wie hier vom Oberverwaltungsgericht offenbar für zulässig gehalten – aus einem reinen Wohngebiet (oder wesentlichen Teilen desselben) in immissionsschutzrechtlicher Hinsicht in Wahrheit ein Dorf- oder Mischgebiet macht.
Der Senat hätte indes keinen Anlass, sich mit dieser Problematik in dem erstrebten Revisionsverfahren näher auseinander zu setzen. Denn für den Ausgang des Rechtsstreites kommt es auf die vom Antragsteller hierzu aufgeworfene Frage nicht an. Nach den Feststellungen der Vorinstanz ist auf der Grundlage der gutachtlichen Äußerungen der Sachverständigen Dr. H.… davon auszugehen, dass sich “auch bei Berücksichtigung sämtlicher Emissionsquellen einschließlich der Emissionen des Jungviehstalles” die für ein reines Wohngebiet maßgeblichen Werte einhalten lassen (UA S. 16). Der Antragsteller hält diese Einschätzung zwar für beanstandungswürdig. Die insoweit erhobene Verfahrensrüge greift jedoch, wie dargelegt, nicht durch. Auf die in der Nachbarschaft vorhandenen landwirtschaftlichen Betriebe, die vom Normenkontrollgericht als Schutzminderungselement gewertet werden, kommt es bei dieser Sachlage nicht an.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 und 3 und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Paetow, Halama, Gatz
Fundstellen