Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungsverfahren. Berufungsbegründung. Monatsfrist. Termin zur mündlichen Verhandlung vor Eingang eines Berufungsbegründungsschriftsatzes. Erklärung der Berufungsbegründung zu Protokoll des Berufungsgerichts. Beweiskraft des Protokolls über die mündliche Verhandlung. Beweiskraft des Urteilstatbestandes. Verletzung des rechtlichen Gehörs
Leitsatz (amtlich)
Wird die Berufungsbegründung in einem Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht, der vor Ablauf der einmonatigen Berufungsbegründungsfrist des § 124 a Abs. 3 Satz 1 VwGO stattfindet, durch den Prozeßbevollmächtigten des Berufungsführers zu richterlichem Protokoll erklärt, so ist diese Erklärung der Einreichung eines Berufungsbegründungsschriftsatzes gleichzusetzen.
Normenkette
VwGO §§ 105, 124a Abs. 3, § 173; ZPO §§ 165, 295 Abs. 1, § 314 S. 1, §§ 160-164, 159
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Entscheidung vom 02.07.1999; Aktenzeichen 3 S 1393/99) |
VG Karlsruhe (Entscheidung vom 24.03.1999; Aktenzeichen 3 K 1617/97) |
Tenor
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2. Juli 1999 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Der Kläger wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Beklagten zur Errichtung einer Stellplatzanlage mit 13 Stellplätzen und Wendehammer. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Auf Antrag des Klägers ließ das Berufungsgericht die Berufung mit Beschluß vom 11. Juni 1999 zu. Mit Verfügung vom selben Tage bestimmte es Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 30. Juni 1999. Alle Beteiligten waren im Termin erschienen. Ausweislich des Sitzungsprotokolls beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung, unter Änderung des erstinstanzlichen Urteils die Baugenehmigung (nebst Widerspruchsbescheid) aufzuheben, und begründete diesen Antrag. Eine schriftliche Berufungsbegründung reichte er dem Berufungsgericht nicht ein.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers mit Urteil vom 2. Juli 1999 statt; die Revision ließ es nicht zu. Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Beigeladene geltend, daß die Berufung des Klägers mangels schriftlicher Berufungsbegründung unzulässig gewesen sei: Das Berufungsgericht hätte deshalb nicht zur Sache entscheiden dürfen, sondern die Berufung als unzulässig verwerfen müssen.
Entscheidungsgründe
II.
Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Der gerügte Verfahrensfehler liegt nicht vor.
Die Berufung des Klägers war im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts zulässig. Nach § 124 a Abs. 3 VwGO ist die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Berufungsgericht einzureichen; sie muß einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Diesen Erfordernissen ist hier genügt:
Wie sich aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30. Juni 1999 ergibt, hat der anwaltlich vertretene Kläger einen bestimmten Berufungsantrag gestellt und diesen auch begründet. Wird die Berufungsbegründung in einem Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht, der wie hier vor Ablauf der einmonatigen Berufungsbegründungsfrist des § 124 a Abs. 3 Satz 1 VwGO stattfindet, durch den Prozeßbevollmächtigten des Berufungsführers zu richterlichem Protokoll erklärt, so ist diese Erklärung der Einreichung eines Berufungsbegründungsschriftsatzes gleichzusetzen, weil die Beweiskraft eines in der vorgeschriebenen Form (vgl. § 105 VwGO i.V.m. §§ 159 bis 165 ZPO) aufgenommenen Protokolls die von § 124 a Abs. 3 Satz 1 und 2 VwGO verlangte Schriftform der Berufungsbegründung ersetzt (vgl. auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 58. Auflage 2000, Rn. 2 der Einführung vor §§ 159 bis 165 ZPO; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21. Auflage 1994, Rn. 24 zu § 159 ZPO; vgl. ferner BGHZ 105, 197 ≪200≫).
Durch das in § 124 a Abs. 3 Satz 1 und 2 VwGO enthaltene Erfordernis einer fristgebundenen Berufungsbegründungsschrift soll gewährleistet werden, daß für das Berufungsgericht und alle Beteiligten zuverlässig feststeht, ob der Berufungskläger nach wie vor (nach Zulassung seiner Berufung) die Durchführung eines Berufungsverfahrens erstrebt. Die Pflicht, die Berufungsgründe im einzelnen anzuführen (§ 124 a Abs. 3 Satz 4 VwGO), soll darüber hinaus das Verfahren verkürzen und beschleunigen sowie die Berufungsgerichte entlasten (vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des 6. VwGOÄndG, BTDrucks 13/3993, S. 1). Daher obliegt es dem Berufungskläger, fristgerecht zu prüfen und zu erklären, mit welcher Begründung eine zugelassene Berufung durchgeführt werden soll. Enthält das Sitzungsprotokoll des Berufungsgerichts den Berufungsantrag des Berufungsklägers und stellt es ferner fest, daß der Berufungskläger seinen Antrag begründet hat, ist aufgrund der Beweiskraft des Sitzungsprotokolls (vgl. § 165 ZPO) grundsätzlich davon auszugehen, daß die vom Gesetzgeber mit der Regelung in § 124 a Abs. 3 VwGO verfolgten Klarstellungs- und Beschleunigungszwecke erfüllt worden sind. Im vorliegenden Fall ist der Sitzungsniederschrift des Berufungsgerichts zwar nicht zu entnehmen, auf welche Anfechtungsgründe der Kläger seine Berufung in der mündlichen Verhandlung gestützt hat. Die Berufungsgründe des Klägers ergeben sich jedoch unzweideutig aus dem Tatbestand des Berufungsurteils, der insoweit Beweis für das mündliche Vorbringen des Klägers liefert (vgl. § 173 VwGO i.V.m. § 314 Satz 1 ZPO).
Es besteht kein Grund, im vorliegenden und in vergleichbaren Fällen strengere Formanforderungen an die Begründung der Berufung zu stellen. Hat ein Berufungskläger seine Berufung in einem Verhandlungstermin, der noch vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist stattfindet, ausweislich des Sitzungsprotokolls und des Tatbestands des Berufungsurteils in einer den inhaltlichen Anforderungen des Gesetzes genügenden Weise begründet, wäre es bloße Förmelei, vor Erlaß des Berufungsurteils noch eine schriftliche Berufungsbegründung zu fordern. Das stünde einerseits im Widerspruch zu der vom Gesetzgeber angestrebten Verfahrensbeschleunigung. Auch gebieten es die schutzwürdigen Belange der Prozeßbeteiligten nicht, derart strenge förmliche Anforderungen an die Berufungsbegründung zu stellen. Verfahrensvorschriften sind nicht Selbstzweck (vgl. auch BGHZ 105, 197 ≪201≫). Die Beteiligten haben zwar Anspruch darauf, daß Verhandlungstermine so festgesetzt werden, daß ihr Recht auf Gehör (einschließlich des Rechts auf sachgemäße Terminsvorbereitung) nicht verletzt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1974 – BVerwG 6 C 7.73 – BVerwGE 44, 307 ≪309≫). Es bleibt den Beteiligten jedoch unbenommen, zur Wahrung dieses Rechts die Aufhebung und Verlegung eines frühen ersten Termins zu beantragen. Ein derartiger Antrag kann auch in Betracht kommen, um Zeit für die Abfassung einer schriftlichen Berufungsbegründung innerhalb der gesetzlichen Begründungsfrist zu gewinnen oder zur besseren Verteidigung der eigenen Rechtsposition das Einreichen einer Berufungsbegründungsschrift der Gegenseite abzuwarten. Unterbleiben (wie hier) derartige Vertagungsanträge, geht das Recht zu einer nachträglichen Gehörsrüge verloren (§ 173 VwGO i.V.m. § 295 Abs. 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes aus § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Gaentzsch, Halama, Rojahn
Fundstellen
Haufe-Index 566259 |
NJW 2000, 3151 |
NVwZ 2000, 912 |
DÖV 2000, 603 |
SGb 2000, 678 |
UPR 2000, 358 |
VA 2000, 118 |