Leitsatz (amtlich)
1. Ob Rechtsschutz gegen prüfungsrechtliche Entscheidungen durch die Erhebung einer Anfechtungsklage oder einer Verpflichtungs- bzw. Bescheidungsklage zu suchen ist, richtet sich nach der Ausgestaltung der konkreten Prüfungsordnung.
2. In einem in zulässiger Weise angestoßenen Überdenkensverfahren sind die Prüfer nicht auf die Berücksichtigung jeweils für sich genommen durchgreifender Einwände beschränkt.
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 13.03.2023; Aktenzeichen 14 A 1200/22) |
VG Gelsenkirchen (Urteil vom 04.05.2022; Aktenzeichen 4 K 374/21) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. März 2023 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
Gründe
I
Rz. 1
Der Kläger nahm als nordrhein-westfälischer Rechtsreferendar im Dezember 2019 an den Aufsichtsarbeiten der zweiten juristischen Staatsprüfung teil. Mit Bescheid vom 18. März 2020 teilte das Landesjustizprüfungsamt Nordrhein-Westfalen (Landesjustizprüfungsamt) dem Kläger die in den einzelnen Aufsichtsarbeiten erzielten Ergebnisse mit - darunter die Bewertung der Klausur Strafrecht 1 mit "ausreichend" (6 Punkte) - und erklärte die Prüfung nach § 56 Abs. 2 i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 JAG NRW in der hier maßgeblichen, bis zum 17. Februar 2022 geltenden Fassung des Gesetzes für nicht bestanden. Der Kläger habe nicht die mindestens geforderten 3,50 Punkte im Gesamtdurchschnitt der Aufsichtsarbeiten erreicht.
Rz. 2
Der Kläger legte Widerspruch gegen den Bescheid vom 18. März 2020 ein und erhob unter anderem Einwendungen gegen die Bewertung der Klausur Strafrecht 1. Das Prüfungsamt holte hierzu die Stellungnahmen der beteiligten Prüfer ein. Der Erstprüfer führte in seiner Stellungnahme aus, er halte bei erneuter Abwägung der durchaus vorhandenen Stärken und der Schwächen der Bearbeitung unter Berücksichtigung des Widerspruchsvorbringens auch eine Bewertung der Gesamtleistung mit "befriedigend" (7 Punkte) für vertretbar. Dem schloss sich der Zweitprüfer an. Mit Schreiben vom 16. September 2020 setzte das Landesjustizprüfungsamt die Prüfer über seine Einschätzung in Kenntnis, dass die Prüfer sich im Überdenkensverfahren nur mit substantiierten Einwänden des Prüflings auseinandersetzen dürften. Wenn sie ohne substantiierte Einwände des Prüflings eine von der ursprünglichen Bewertung abweichende Gewichtung der Vorzüge und Mängel der Bearbeitung vornähmen, liege eine unzulässige Verschiebung des Bewertungsmaßstabs vor. Vor diesem Hintergrund würden die Prüfer gebeten, die Anhebung der Bewertung zu überprüfen und gegebenenfalls darzulegen, inwiefern diese auf berechtigte Einwände des Prüflings zurückgehe. Daraufhin teilte der Erstprüfer in einer zweiten Stellungnahme mit, er halte in Abweichung von seiner vorherigen Stellungnahme nunmehr an seiner ursprünglichen Bewertung mit "ausreichend" (6 Punkte) fest. Der Zweitprüfer schloss sich dem in seiner zweiten Stellungnahme an. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2021 wies das Landesjustizprüfungsamt den Widerspruch des Klägers zurück.
Rz. 3
Entsprechend dem Hauptantrag der von dem Kläger erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 18. März 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Dezember 2020 verpflichtet, den Kläger unter Hochsetzung der Prüfungsnote für die Aufsichtsarbeit Strafrecht 1 auf "befriedigend" (7 Punkte) über das Ergebnis des schriftlichen Teils der zweiten juristischen Staatsprüfung neu zu bescheiden. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil zurückgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Der Beklagte erstrebt mit seiner Beschwerde die Zulassung der Revision. Der Kläger tritt dem entgegen.
II
Rz. 4
Die auf sämtliche Revisionszulassungsgründe aus § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Aus den Darlegungen in der Beschwerdebegründung, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO beschränkt ist, ergibt sich nicht, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat (1.), der Zulassungsgrund der Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gegeben ist (2.) oder nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die vorinstanzliche Entscheidung beruhen kann (3.).
Rz. 5
1. Eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur zu, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist. Dies kann ausgehend von den Darlegungen der Beschwerde nicht angenommen werden.
Rz. 6
a. Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam zunächst die Frage auf:
"Wird verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz gegen einen das Nichtbestehen einer mehrteiligen Prüfung vor dem Absolvieren des letzten Prüfungsabschnitts feststellenden Prüfungsbescheid im Wege der gegen diesen Prüfungsbescheid gerichteten Anfechtungsklage und der Aufhebung dieses Prüfungsbescheids gemäß §§ 42 Abs. 1 1. Alternative, 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO oder im Wege der Geltendmachung eines Anspruchs auf Neubewertung und Neubescheidung über das Prüfungsergebnis mittels einer Verpflichtungs- bzw. Bescheidungsklage und einem entsprechenden Verpflichtungs- bzw. Bescheidungsausspruch gemäß §§ 42 Abs. 1 2. Alternative, 113 Abs. 5 VwGO verwirklicht?"
Rz. 7
Wegen dieser Frage kann die Grundsatzrevision nicht zugelassen werden, weil sie, soweit ihr in ihrer von einer konkreten Prüfungsordnung gelösten Abstraktheit überhaupt ein in einem Revisionsverfahren klärungsfähiger Gehalt beigemessen werden kann, keiner Klärung mehr bedarf. Die Frage ist insoweit in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt.
Rz. 8
Wird mit einer Klage nicht unmittelbar eine bessere Bewertung einer Prüfungsleistung, sondern - wie im Fall einer verhängten Sanktion - die Aufhebung einer Entscheidung begehrt, die nach der Ausgestaltung der konkreten Prüfungsordnung den weiteren Fortgang des Prüfungsverfahrens versperrt, steht dem betroffenen Prüfling als statthafte Klage die Anfechtungsklage als mit Blick auf sein Rechtsschutzziel notwendiger und zugleich hinreichender Rechtsbehelf zur Verfügung (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2019 - 6 C 3.18 - BVerwGE 164, 379 Rn. 8, 10 ff., 29). Demgegenüber ist in einer Konstellation, in der ein Prüfling eine Neubewertung oder eine Wiederholung von Prüfungsleistungen erstrebt und nach der jeweiligen rechtlichen Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens als nächster Schritt in diesem Verfahren eine darauf bezogene Entscheidung in der Form eines Verwaltungsakts vorgesehen ist, dem Rechtsschutzinteresse des Prüflings am besten durch die Erhebung einer Verpflichtungsklage in der Form einer Bescheidungsklage gedient. In Bezug auf einen zuvor ergangenen belastenden Prüfungsbescheid schließt das Bescheidungsbegehren - soweit erforderlich - ein Anfechtungsbegehren ein (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 2012 - 6 C 8.11 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 413 Rn. 10 sowie auch bereits: BVerwG, Urteil vom 24. Februar 1993 - 6 C 38.92 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 314 S. 279).
Rz. 9
Hier ist die letztgenannte Konstellation gegeben. Die Vorinstanzen haben ihr entsprechend dem von dem Kläger angebrachten Klageantrag Rechnung getragen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen, durch das dem Begehren des Klägers stattgegeben worden ist, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 18. März 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Dezember 2020 zum Erlass eines neuen Bescheids über das Ergebnis des schriftlichen Teils der zweiten juristischen Staatsprüfung unter Hochsetzung der Prüfungsnote für die Aufsichtsarbeit Strafrecht 1 auf "befriedigend" (7 Punkte) zu verpflichten. Diesem Ausspruch liegt die implizite Feststellung des Oberverwaltungsgerichts zu Grunde, dass nach dem nordrhein-westfälischen Justizprüfungsrecht in dem hier in Rede stehenden Zusammenhang der Erlass eines solchen Bescheids möglich und geboten ist. Ob das Oberverwaltungsgericht mit dieser revisiblem Recht nicht widersprechenden Feststellung das Landesrecht - insbesondere § 54 i. V. m. § 14 Abs. 4 Satz 1 und § 56 Abs. 2 i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 JAG NRW - zutreffend ausgelegt hat (vgl. zu den diesbezüglich anzulegenden Maßstäben: Dieterich, in: Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022 Rn. 815 ff., 821 ff., 827 ff.), ist der revisionsgerichtlichen Nachprüfung gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO entzogen.
Rz. 10
b. Die Beschwerde hält des Weiteren unter Verweis auf das Verhältnis zwischen den ersten und den zweiten Stellungnahmen der Prüfer sowie bei Unterstellung der Fehlerhaftigkeit der zweiten Stellungnahmen folgende Frage für grundsätzlich bedeutsam:
"Beansprucht eine frühere, als rechtsfehlerfrei anzusehende Bewertung einer Prüfungsleistung in dem Sinne erneut Geltung, dass die Prüferinnen und Prüfer sich an ihr festhalten lassen müssen, wenn sie im Rahmen eines Überdenkens dieser Bewertung sich für eine im Ergebnis hiervon abweichende Bewertung entschieden haben, diese Überdenkensentscheidung sich jedoch als formell oder materiell rechtsfehlerhaft erweist?"
Rz. 11
Diese Frage vermag die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht zu rechtfertigen. Sie kann mangels Entscheidungserheblichkeit in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht geklärt werden.
Rz. 12
Das Oberverwaltungsgericht hat den zweiten Stellungnahmen, die die Prüfer in Reaktion auf das Schreiben des Landesjustizprüfungsamts vom 16. September 2020 hin abgegeben haben, entnommen, dass die dort ausgesprochene Rückkehr zu der ursprünglichen Bewertung der Aufsichtsarbeit Strafrecht 1 ausschließlich auf den - nach Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts - unzutreffenden Hinweisen in dem genannten Schreiben beruht habe und nicht Ausdruck einer neuen eigenen Überdenkensentscheidung der Prüfer gewesen sei (UA S. 14). Bei der dieser Auslegung zu Grunde liegenden Erfassung des Wortlauts der beiden Stellungnahmen sowie der Sichtung und Aufklärung der für ihre Bedeutung erheblichen Umstände - konkret der in dem Schreiben des Landesjustizprüfungsamts vom 16. September 2020 enthaltenen Aussagen und der dadurch hervorgerufenen Motivation der Prüfer - handelt es sich um Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz (hierzu allgemein aus der neueren Rechtsprechung des Senats: BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 2022 - 6 C 10.20 - BVerwGE 176, 342 Rn. 50 m. w. N.). An diese Feststellungen ist der Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, weil sie der Beklagte, wie sich aus den Ausführungen unter 3. ergibt, nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen hat. Die von der Beschwerde formulierte Frage, die sich auf die zweiten Stellungnahmen der Prüfer als Ausdruck von Überdenkensentscheidungen bezieht, kann sich danach nicht stellen.
Rz. 13
c. Schließlich bezeichnet die Beschwerde als grundsätzlich bedeutsame Frage:
"Folgt aus der aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Bindung der Prüfungsbehörde auch an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Prüfungsgerechtigkeit aus Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit deren Zuständigkeit als Widerspruchsbehörde die Kompetenz, Entscheidungen der Prüferinnen und Prüfer im Überdenkensverfahren als unselbständigen Teil des Widerspruchsverfahrens auf die Einhaltung der rechtlichen Grenzen des ihnen zustehenden Beurteilungsspielraums und eine ausreichende, die Überdenkensentscheidung im Ergebnis tragende Begründung hin zu überprüfen und die Prüfer und Prüferinnen ggf. zu einer weitergehenden Erläuterung oder Begründung der Bewertungsentscheidung anzuhalten?"
Rz. 14
Auch diese Frage führt nicht zu einer Zulassung der Grundsatzrevision. Sie ist ebenso wie die vorhergehende Fragestellung hier nicht entscheidungserheblich und damit in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig.
Rz. 15
Das Oberverwaltungsgericht hat den zweiten Stellungnahmen der Prüfer im Wege der Tatsachenfeststellung entnommen, dass die Prüfer das Schreiben des Landesjustizprüfungsamts vom 16. September 2020 nicht als Teil des Überdenkensverfahren bzw. als Hinweis darauf verstanden haben, dass sie in dem Überdenkensverfahren die rechtlichen Grenzen des ihnen zustehenden Beurteilungsspielraums einzuhalten hätten. Die Prüfer haben nach der Tatsachenfeststellung des Oberverwaltungsgerichts im Gegenteil in Reaktion auf das Schreiben des Landesjustizprüfungsamts gerade von einer neuen eigenen Überdenkensentscheidung abgesehen. Diese Feststellungen des Tatsachengerichts haben für den Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindende Wirkung, weil die Beschwerde dazu keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben hat (vgl. zu den erhobenen Verfahrensrügen die Ausführungen unter 3.). Insofern kommt es auf die - von dem Oberverwaltungsgericht denn auch ausdrücklich offengelassene (UA S. 14 f.) - Frage nicht an, ob eine Prüfungsbehörde befugt ist, die Entscheidungen der Prüfer im Überdenkensverfahren auf die Einhaltung der rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums der Prüfer und eine ausreichende Begründung hin zu überprüfen (vgl. zur Unzulässigkeit einer behördlichen Vorprüfung der von einem Prüfling erhobenen Einwendungen: BVerwG, Urteil vom 10. April 2019 - 6 C 19.18 - BVerwGE 165, 202 Rn. 29).
Rz. 16
2. Der Revisionszulassungsgrund der Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder das Bundesverfassungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt haben. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen. Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die eines der genannten divergenzfähigen Gerichte aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht. Nach diesem Maßstab ergibt sich aus dem Beschwerdevortrag der Beklagten kein Anknüpfungspunkt für eine Revisionszulassung wegen Divergenz.
Rz. 17
a. Die Beschwerde führt aus, das Bundesverwaltungsgericht habe in dem Urteil vom 27. Februar 2019 - 6 C 3.18 - (BVerwGE 164, 379 Rn. 8) im Fall eines Nichtbestehensbescheids infolge des nicht rechtzeitigen Erscheinens zum mündlichen Prüfungsteil der ersten juristischen Prüfung die Anfechtungsklage als statthaft angesehen, weil der Prüfungsanspruch nach einer Aufhebung des Bescheids wiederauflebe und deshalb das Prüfungsverfahren im vorhergehenden Stand fortzusetzen sei. Sofern dieser Rechtssatz generell für Fälle der Beendigung des Verfahrens der Leistungsermittlung vor dem Absolvieren des letzten Teils einer mehraktigen Gesamtprüfung Geltung beanspruchen solle, sei das Oberverwaltungsgericht davon abgewichen, indem es konkludent den Rechtssatz aufgestellt habe, dass gerichtlicher Rechtsschutz gegen eine Nichtbestehensentscheidung vor dem Absolvieren aller Teilprüfungsleistungen im Wege der Verpflichtungs- bzw. Bescheidungsklage gewährt werde.
Rz. 18
Diese Ausführungen belegen keine Divergenz. Weder das Bundesverwaltungsgericht noch das Oberverwaltungsgericht haben den jeweils von der Beschwerde insinuierten Rechtssatz aufgestellt. Vielmehr ergibt sich aus den obigen Darlegungen (unter 1., a.), dass für die Statthaftigkeit der zu erhebenden Klage das jeweilige Begehren des Prüflings und die Zuordnung dieses Begehrens zu der Ausgestaltung der inmitten stehenden Prüfungsordnung entscheidend sind. Hiervon sind das Bundesverwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht übereinstimmend ausgegangen.
Rz. 19
b. Die Beschwerde meint weiter, das Oberverwaltungsgericht habe dadurch, dass es von einem Wiederaufleben einer zwischenzeitlich aufgegebenen Überdenkensentscheidung im Fall der - von ihm angenommenen - Fehlerhaftigkeit eines weiteren Überdenkens ausgehe, den Rechtssatz aufgestellt, dass der mit dieser Annahme verbundene Eingriff in den Beurteilungsspielraum der Prüfer zulässig sei. Dies stehe im Widerspruch zu der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts anerkannten beschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit des prüfungsrechtlichen Beurteilungsspielraums, wonach die Bestimmung einer Einzelnote durch eine gerichtliche Entscheidung in aller Regel ausgeschlossen sei.
Rz. 20
Diese Ausführungen gehen bereits im Ansatz fehl, weil die Prüfer im vorliegenden Fall nach den für den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts keine weitere Überdenkensentscheidung getroffen haben (dazu oben, unter 1., b. und c.). Schon deshalb hatte die zuerst getroffene Überdenkensentscheidung als solche Bestand und konnte nicht erst "wiederaufleben". Für die von der Beschwerde angenommene Divergenz gibt es keinen Anknüpfungspunkt.
Rz. 21
c. Die Beschwerde entnimmt des Weiteren den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Februar 1993 - 6 C 38.92 - (Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 314) und vom 14. Juli 1999 - 6 C 20.98 - (BVerwGE 109, 211) den Rechtssatz, dass eine Notenänderung im Überdenkensverfahren bei im Wesentlichen gleichbleibender Prüferkritik und nicht gegebenen sachlichen Änderungen nur auf einer unzulässigen Veränderung des Bezugssystems beruhen könne. Das Oberverwaltungsgericht habe demgegenüber, indem es die als unschlüssig oder unbegründet festgestellte Einwendung des Klägers als zulässigen Grund für eine Besserbewertung anerkannt habe, konkludent den Rechtssatz aufgestellt, dass auch eine unschlüssige oder unbegründete Rüge ohne Veränderung des Bezugs- bzw. Wertungssystems eine andere Prüfungsbewertung rechtfertigen könne.
Rz. 22
Hiermit ist eine die Revisionszulassung rechtfertigende Divergenz nicht dargetan. Den von der Beschwerde genannten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Rechtssatz des Inhalts, die Änderung einer Note im Überdenkensverfahren könne, wenn von dem Prüfling durchgreifende Einwände gegen die Beurteilung nicht erhoben worden seien, nur auf der unzulässigen Veränderung des Bezugssystems beruhen, nicht entnommen werden. Die Urteile verhalten sich vielmehr zu den Folgen, die sich aus der Einpassung der Korrektur einer rechtsfehlerhaften Einzelwertung in die Gesamtbewertung ergeben. Zu der von dem Oberverwaltungsgericht im vorliegenden Fall angenommenen Konstellation, dass die Prüfer im Überdenkensverfahren eine neue Gewichtung und Bewertung einer Aufsichtsarbeit ohne im Einzelnen durchgreifende Einwände des Prüflings vornehmen und dabei an den bisherigen Bewertungskriterien festhalten (UA S. 10 ff.), wird in den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts nicht Stellung genommen.
Rz. 23
Zum anderen hat das Oberverwaltungsgericht nicht den ihm von der Beschwerde unterstellten Rechtssatz aufgestellt, auch eine unschlüssige oder unbegründete Rüge könne ohne eine Veränderung des Bezugs- bzw. Wertungsrahmens eine andere Prüfungsbewertung rechtfertigen. Soweit es ausgeführt hat, die Verpflichtung zur Prüfung substantiierter Einwände beinhalte kein spiegelbildliches Verbot, auf im Einzelnen unsubstantiierte Einwände einzugehen, handelt es sich ersichtlich nur um eine missverständliche Formulierung. Dies ergibt sich aus der in dem nachfolgenden Satz enthaltenen Präzisierung, aus der Verpflichtung zur Überprüfung der Gesamtbewertung bei Vorliegen eines substantiierten und durchgreifenden Einwands des Prüflings folge kein Verbot, die Gesamtbewertung einer Überprüfung zu unterziehen, wenn kein Einwand des Prüflings allein verfange (UA S. 10 f.).
Rz. 24
Zwar ist es wegen der inhaltlichen Nähe von Grundsatz- und Divergenzrevision nicht ausgeschlossen, dass eine Beschwerde mit der - unzutreffenden - Behauptung einer Abweichung der Sache nach eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO aufwirft (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 11. Mai 1966 - 8 B 109.64 - BVerwGE 24, 91, vom 4. Dezember 1979 - 4 B 231.79 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 31 S. 97, vom 5. März 2018 - 6 B 71.17 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 429 Rn. 5 und vom 26. Oktober 2020 - 4 BN 54.20 - juris Rn. 6). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Denn dass eine erneute Gewichtung einzelner Aspekte der Prüfungsleistung im Rahmen der Gesamtbewertung nicht allein deshalb eine mit dem Grundsatz der Chancengleichheit unvereinbare Änderung des Bewertungssystems darstellt, weil die vom Prüfling erhobenen Einwände jeweils für sich genommen nicht durchgreifen, ist nicht klärungsbedürftig. Der Prüfer darf zwar keine vom Vergleichsrahmen unabhängige Bewertung vornehmen und seine prüfungsspezifischen Bewertungskriterien nicht ändern (BVerwG, Urteil vom 14. Juli 1999 - 6 C 20.98 - BVerwGE 109, 211 ≪216 ff.≫). Der Grundsatz der Chancengleichheit wird jedoch offensichtlich nicht beeinträchtigt, wenn der Prüfer im Rahmen des Überdenkensverfahrens zu dem Ergebnis gelangt, dass die Prüfungsleistung innerhalb des zugrunde gelegten Vergleichsrahmens anders einzuordnen ist.
Rz. 25
d. Schließlich sucht die Beschwerde eine zur Revisionszulassung führende Divergenz durch den Hinweis darzutun, dass es nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in dem Beschluss vom 17. April 1991 - 1 BvR 419/81 u. a. - (BVerfGE 84, 34) und denjenigen des Bundesverwaltungsgerichts in dem Urteil vom 14. Juli 1999 - 6 C 20.98 - (BVerwGE 109, 211) mit dem Grundsatz der Prüfungsgerechtigkeit unvereinbar sei, wenn einzelne Prüflinge die Chance einer vom Vergleichsrahmen unabhängigen Bewertung erhielten, indem sie einen Verwaltungsgerichtsprozess anstrengten. Dementsprechend bestehe ausweislich des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Februar 1993 - 6 C 35.92 - (BVerwGE 92, 132) der Anspruch eines Prüflings auf ein Überdenkensverfahren gerade nicht voraussetzungslos. Hiervon sei das Oberverwaltungsgericht mit der Anerkennung eines faktisch voraussetzungslosen Neubewertungsanspruchs abgewichen.
Rz. 26
Auch dieser Konstruktionsversuch einer Divergenz geht ins Leere. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht den Rechtssatz aufgestellt, es gebe einen voraussetzungslosen, von substantiierten Einwendungen gelösten Anspruch des Prüflings auf eine neue Bewertung seiner Leistung. Es hat zudem eine Befugnis der Prüfer, im Überdenkensverfahren eine Veränderung des Bewertungssystems vorzunehmen, ausdrücklich verneint.
Rz. 27
3. Der Beschwerdebegründung lässt sich nicht entnehmen, dass ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die vorinstanzliche Entscheidung beruhen kann.
Rz. 28
a. Die Beschwerde rügt ohne Erfolg, das Oberverwaltungsgericht habe den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es in der prozessrechtlich zwischen Tatsachengericht und Revisionsinstanz vorgesehenen Kompetenzverteilung Sache des Tatsachengerichts, sich im Wege der freien Beweiswürdigung die Überzeugung von dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden. Der in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO niedergelegte Grundsatz der freien Beweiswürdigung bzw. Überzeugungsgrundsatz eröffnet dem Tatrichter dafür einen Wertungsrahmen. Die tatrichterliche Beweiswürdigung ist von dem Bundesverwaltungsgericht nicht daraufhin nachzuprüfen, ob die Gewichtung einzelner Umstände und deren Gesamtwürdigung überzeugend erscheinen. Sie wird dementsprechend nicht schon dadurch in Frage gestellt, dass ein Beteiligter aus dem vorliegenden Tatsachenmaterial andere Schlüsse ziehen will als das Tatsachengericht. Ein nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO beachtlicher Mangel bei der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn der gerügte Fehler sich hinreichend deutlich von der materiell-rechtlichen Subsumtion, das heißt der korrekten Anwendung des sachlichen Rechts abgrenzen lässt und der Tatrichter den ihm bei der Tatsachenfeststellung durch den Grundsatz freier Beweiswürdigung eröffneten Wertungsrahmen verlassen hat. Eine Überschreitung dieses Wertungsrahmens kann etwa in einer Nichtbeachtung der Denkgesetze, gesetzlicher Beweisregeln oder allgemeiner Erfahrungssätze oder auch in einer objektiv willkürlichen oder aktenwidrigen Sachverhaltswürdigung bestehen (BVerwG, Urteile vom 14. Dezember 2020 - 6 C 11.18 - BVerwGE 171, 59 Rn. 40 und vom 2. März 2022 - 6 C 7.20 - BVerwGE 175, 76 Rn. 40, jeweils m. w. N.). An diesen Maßstäben gemessen, ergibt sich aus der Beschwerdebegründung kein Verstoß des Oberverwaltungsgerichts gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Rz. 29
Entgegen dem Vortrag der Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht keine widersprüchlichen Feststellungen zum Inhalt der zweiten Stellungnahme des Erstprüfers getroffen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die in dem Tatbestand des Berufungsurteils enthaltene Formulierung - "unter Berücksichtigung" der von dem Landesjustizprüfungsamt in dem Schreiben vom 16. September 2020 dargelegten Maßstäbe - weit genug gefasst ist, um die Formulierung in den Entscheidungsgründen - Beruhen der Rückstufung "ausschließlich" auf den Hinweisen des Landesjustizprüfungsamts - einzuschließen. In vergleichbarer Weise ist es gekünstelt, wenn die Beschwerde vorträgt, der Erstprüfer habe sich in seiner ersten Stellungnahme durch die Formulierung, es sei auch eine Bewertung der in Rede stehenden Aufsichtsarbeit mit "befriedigend" (7 Punkte) "vertretbar" entgegen dem Verständnis des Oberverwaltungsgerichts nicht auf eine konkrete Bewertung - insbesondere nicht auf eine solche mit 7 Punkten anstelle der zunächst vergebenen 6 Punkte - festlegen wollen.
Rz. 30
Sofern die Beschwerde eine unvollständige Verwertung des Prozessstoffs seitens des Oberverwaltungsgerichts im Hinblick auf den Gehalt der ersten und der zweiten Stellungnahme des Erstprüfers sowie des Schreibens des Landesjustizprüfungsamts vom 16. September 2020 beanstandet, greift sie unter Verkennung des tatrichterlichen Wertungsrahmens und lediglich im Gewand der Rüge einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes die von ihr für nicht richtig gehaltene Beweis- und Sachverhaltswürdigung des Oberverwaltungsgerichts an und stellt dieser ihre eigene Würdigung entgegen. Gleiches gilt in Bezug auf die Maßstäbe, die das Oberverwaltungsgericht bei seiner Auslegung der ersten Stellungnahme des Erstprüfers und des Schreibens des Landesjustizprüfungsamts vom 16. September 2020 zu Grunde gelegt hat. Diesem Vorgehen der Beschwerde ist insgesamt kein Erfolg beschieden.
Rz. 31
b. Ebenso wenig wie den genannten Monita ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu entnehmen ist, weisen sie auf einen - von der Beschwerde ergänzend gerügten - Mangel des Berufungsurteils im Sinne von § 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO hin. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind in dem Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Dies ist in dem Berufungsurteil geschehen.
Rz. 32
c. Entgegen der im Zusammenhang mit dem Vorwurf eines unzulässigen Verpflichtungsausspruchs vertretenen Ansicht der Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht die durch das Verwaltungsgericht ausgesprochene Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung über das Ergebnis des schriftlichen Teils der zweiten juristischen Staatsprüfung des Klägers vor dem Hintergrund des von ihm festgestellten Inhalts des irrevisiblen Landesrechts zu Recht nicht beanstandet (dazu oben, unter 1., a.). Ein unzulässiger Eingriff in den Beurteilungsspielraum der Prüfer ist damit, anders als die Beschwerde unter dem Gesichtspunkt der vorgeblich fehlenden Spruchreife rügt, nicht verbunden (dazu oben, unter 2., b.).
Rz. 33
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Rz. 34
5. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich unter Berücksichtigung von Ziffer 36.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen
NVwZ 2024, 420 |
NVwZ 2024, 8 |
JZ 2024, 112 |
JuS 2024, 710 |
BayVBl. 2024, 714 |