Verfahrensgang
Hamburgisches OVG (Beschluss vom 30.03.2009; Aktenzeichen 1 Bf 64/07) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. März 2009 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 12 364 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Beteiligten streiten um die Rückforderung zu Unrecht geleisteter Versorgungsbezüge. Auf Antrag der Beklagten hat das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts mit der Begründung zugelassen, dass aus den von der Beklagten dargelegten Gründen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestünden. Die Beklagte zahlte danach die Verfahrensgebühren für das Berufungsverfahren ein, äußerte sich aber innerhalb der Frist von einem Monat nicht mehr. Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil die Beklagte die Berufung nicht fristgerecht begründet habe.
Rz. 2
1. Mit ihrer Beschwerde wirft die Beklagte als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) die Frage auf,
ob im Wege der teleologischen Reduktion gemäß § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO ein gesonderter Schriftsatz zur Berufungsbegründung dann nicht erforderlich sei, wenn der Antrag auf Zulassung der Berufung die Berufungsbegründung umfasse, die Gegenseite sich im Berufungszulassungsverfahren nicht zur Sache äußere und das Oberverwaltungsgericht ohne eigene rechtliche Hinweise für die Begründung der Berufungszulassung auf die im Berufungszulassungsverfahren dargelegten Gründe Bezug nehme.
Rz. 3
Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision. Sie ist durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinreichend geklärt. Mit Recht weist die Beschwerde selbst darauf hin, dass nach dieser Rechtsprechung die Berufung nach ihrer Zulassung in jedem Falle mit einem gesonderten Schriftsatz begründet werden muss (vgl. Urteile vom 30. Juni 1998 – BVerwG 9 C 6.98 – BVerwGE 107, 117 ≪120 f.≫ und vom 4. Oktober 1999 – BVerwG 6 C 31.98 – BVerwGE 109, 336 ≪338 f.≫ jeweils zu § 124a Abs. 3 VwGO i.d.F. des 6. VwGOÄndG vom 1. November 1996, BGBl I S. 1626; Urteile vom 8. März 2004 – BVerwG 4 C 6.03 – Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 26 und vom 7. Januar 2008 – BVerwG 1 C 27.06 – Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 36 sowie Beschlüsse vom 1. August 2002 – BVerwG 3 B 112.02 – BayVBl 2003, 442 und vom 3. Dezember 2002 – BVerwG 1 B 429.02 – NVwZ 2003, 868 jeweils zu § 124a Abs. 6 VwGO i.d.F. des Gesetzes vom 20. Dezember 2001, BGBl I S. 3987).
Rz. 4
Dies gilt selbst dann, wenn die dafür genannten Gründe (fortbestehendes Interesse und eindeutig erkennbare Absicht, das Berufungsverfahren durchzuführen; Beschleunigung durch Entlastung des Berufungsgerichts von unnötiger nochmaliger Prüfung der Beschwerdebegründung auf Berufungsgründe) im Einzelfall weniger handgreiflich sein mögen, wie es nach Auffassung der Beschwerde hier der Fall ist. Nachdem die rechtzeitige Einreichung der Berufungsbegründung durch das 6. VwGO-Änderungsgesetz in den Rang einer Zulässigkeitsvoraussetzung erhoben worden ist, bedarf es eindeutiger formaler Kriterien, die die Feststellung erlauben, ob diesem Erfordernis Genüge getan worden ist oder nicht. Hierzu ist in jedem Falle zeitlich nach Zulassung der Berufung eine eindeutige, gegebenenfalls auslegungsfähige schriftliche Erklärung des Berufungsführers erforderlich, dass und mit welchen Anträgen er das Berufungsverfahren fortführt. Unzumutbares wird ihm damit nicht abverlangt. Soweit er im Zulassungsantrag bereits erschöpfend vorgetragen hat, genügt es, wenn er darauf in einem innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO eingehenden Schriftsatz Bezug nimmt (Urteil vom 30. Juni 1998 a.a.O. S. 121). Das Berufungsverfahren selbst unterliegt – wie das erstinstanzliche Verfahren – Vorschriften, die erst greifen, wenn durch die Begründung der Berufung feststeht, dass das Berufungsverfahren durchgeführt werden soll. So kann etwa der Vorsitzende den Beteiligten sachdienliche Hinweise geben und den Berufungsgegner unter Fristsetzung auffordern, schriftsätzlich zur Berufungsbegründungsschrift Stellung zu nehmen und bestimmte Dokumente vorzulegen (§ 86 Abs. 3 und 4, § 125 Abs. 1 VwGO). Vor Einreichung der Berufungsbegründung hat der Berufungsbeklagte keinen Anlass, zur Berufung Stellung zu nehmen und sich um eine nach § 67 Abs. 4 VwGO gebotene Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten zu kümmern. Dies gilt auch dann, wenn er sich im Berufungszulassungsverfahren nicht geäußert hat. Aus der Beschwerde wird nicht deutlich, dass an diesen Anforderungen nicht festzuhalten ist, wenn besondere von ihr formulierte Umstände einzeln oder gemeinsam vorliegen, und dass dies der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf.
Rz. 5
2. Ohne Erfolg macht die Beschwerde ferner geltend, der angegriffene Beschluss beruhe auf einem Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Das Berufungsgericht habe den nachgereichten Schriftsatz der Beklagten vom 5. März 2009 zu Unrecht nicht als fristgerechte Berufungsbegründung angesehen. Die Berufungsbegründungsfrist habe ein Jahr betragen, weil die Rechtsmittelbelehrung im Zulassungsbeschluss unrichtig gewesen sei. In dem Hinweis, dass die Begründungsfrist auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag hin verlängert werden könne, fehle die Angabe, dass dies gemäß § 124a Abs. 3 Satz 3, Abs. 6 VwGO durch den Vorsitzenden des Senats geschehe. Dadurch sei der irreführende Eindruck vermittelt, es bedürfe für die Fristverlängerung einer Kollegialentscheidung und damit der Überwindung einer “höheren Hürde”. Außerdem sei die Rechtsmittelbelehrung auch deshalb irreführend, weil sie das Begründungserfordernis erst nach dem überflüssigen Hinweis darauf enthalte, dass das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt werde und dass es der Einlegung der Berufung nicht bedürfe.
Rz. 6
Diese Rügen greifen nicht durch. Die dem Beschluss über die Zulassung der Berufung beigefügte Rechtsmittelbelehrung ist inhaltlich nicht zu beanstanden und setzte infolgedessen die einmonatige Berufungsbegründungsfrist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO in Gang.
Rz. 7
Der Hinweis, das Antragsverfahren werde als Berufungsverfahren fortgesetzt und es bedürfe der Einlegung der Berufung nicht, ist sachlich richtig und sinnvoll. Nach § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO kann die Berufung auch vom Verwaltungsgericht selbst zugelassen werden, und zwar sowohl von Amts wegen als auch auf Antrag. Anders als bei der Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht bedarf es in diesem Falle der Einlegung der Berufung (§ 124a Abs. 2 Satz 1 VwGO). Um hier Missverständnisse zu vermeiden, ist der entsprechende Hinweis bei der Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht sachgerecht und – wie nebenbei zu bemerken ist – allgemein üblich.
Rz. 8
Der Hinweis, dass über einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist durch den Vorsitzenden des Senats zu entscheiden ist (§ 124a Abs. 3 Satz 3 VwGO), ist nicht notwendiger Bestandteil der Rechtsmittelbelehrung. Die Vorschrift bestimmt das senatsinterne Verfahren und richtet sich nicht an die Prozessbeteiligten. Es ist schon zweifelhaft, ob überhaupt über die Möglichkeit einer Fristverlängerung zu belehren ist (ablehnend zur Revisionsbegründungsfrist: Beschluss vom 19. Juni 1968 – BVerwG 6 C 12.68 – DÖD 1968, 197 = VwRspr. Bd. 20, 230 ≪232≫). Jedenfalls werden die an einen Verlängerungsantrag zu stellenden materiellen Voraussetzungen weder dem Anschein nach noch in Wirklichkeit erhöht, wenn der Hinweis auf die Zuständigkeit des Senatsvorsitzenden fehlt. Irrtümer einer rechtsunkundigen Partei in dieser Hinsicht sind ausgeschlossen, weil der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ebenso wie die Berufungsbegründung selbst dem Vertretungszwang unterliegt (§ 67 Abs. 4 Satz 2 VwGO).
Rz. 9
3. Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Unterschriften
Herbert, Groepper, Dr. Burmeister
Fundstellen