Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 21.11.2002; Aktenzeichen 1 A 1451/00) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. November 2002 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Rügen führen nicht zur Zulassung der Revision.
1. Zur Klärung der Frage, ob die Prüfungskommission an der Rücknahme eines Prüfungsbescheids durch das Landesprüfungsamt nach § 24 Abs. 1 der Ausbildungsverordnung gehobener nichttechnischer Dienst – VAPgD – in der hier maßgeblichen Fassung vom 13. August 1984 (GVBl S. 508) zu beteiligen ist, bedarf es keines Revisionsverfahrens. Die Frage kann im Beschwerdeverfahren ohne weiteres unmittelbar aus der Vorschrift sowie deren systematischer Stellung in der Verordnung verneinend beantwortet werden.
Das Landesprüfungsamt darf als Prüfungsbehörde ohne Einschaltung der Prüfungskommission darüber entscheiden, ob eine rechtswidrige Prüfungsentscheidung zurückzunehmen ist. Bei dieser Entscheidung wird der dem Prüfungsausschuss vorbehaltene Bereich der Beurteilung und Bewertung der Prüfungsleistung nicht berührt. Nach § 15 Abs. 1 VAPgD wird die Staatsprüfung, die gleichzeitig Laufbahnprüfung ist, vom Landesprüfungsamt für Verwaltungslaufbahnen (Prüfungsamt) abgenommen. Diese Behörde bestellt für die einzelnen Laufbahnen bei Bedarf Prüfungskommissionen (§ 15 Abs. 2 Satz 1 VAPgD). Das Prüfungsamt bestimmt den Zeitpunkt, bis zu dem die Einstellungsbehörden die Kandidaten zur Prüfung zu melden haben, setzt die einzelnen Prüfungstermine fest, führt die Prüfung verantwortlich durch und lässt dem Kandidaten das Prüfungszeugnis durch den Vorsitzenden der Prüfungskommission aushändigen (§§ 15 ff. VAPgD). Aus diesem Kontext ergibt sich, dass das Prüfungsamt die Prüfung durchführt und nicht die Prüfungskommission. Dieser obliegen lediglich bestimmte Aufgaben im Rahmen des vom Prüfungsamt geleiteten Prüfungsverfahrens. So stellt die Prüfungskommission gemäß § 24 Abs. 1 VAPgD nach Durchführung der mündlichen Prüfung das Gesamtergebnis (Abschlussnote) der Prüfung fest und gibt es dem Kandidaten bekannt. Hierbei besitzt die Prüfungskommission keinen Bewertungsspielraum. Das Gesamtergebnis setzt sich vielmehr rein rechnerisch nach den in § 24 Abs. 2 VAPgD bezeichneten Leistungsnachweisen und ihrer jeweiligen Gewichtung zusammen.
2. Die Frage, inwieweit die Rücknahme der Abschlussnote den tatbestandlichen Einschränkungen des § 48 Abs. 2 VwVfG unterliegt, würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn nach der mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und das Revisionsgericht deshalb bindenden Feststellung (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO), es sei völlig offen, ob der Kläger mit seinem jetzigen Examensergebnis nicht auch in den Genuss des Teilerlasses nach § 18 b Abs. 2 Satz 1 BAföG gekommen wäre, dürfte das Revisionsgericht nicht davon ausgehen, dass die Rücknahmeentscheidung für den vom Kläger behaupteten Vermögensnachteil kausal gewesen ist. Dies wäre aber Voraussetzung dafür, dass das Vertrauen des Klägers auf den Bestand der Examensnote im Sinne des § 48 Abs. 2 VwVfG als schutzwürdig in die Ermessenserwägung einzustellen ist.
3. Die Fragen, ob es unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten unzumutbar ist, einem Prüfling die Gesamtnote im nachhinein zu nehmen und deshalb das Rücknahmeermessen eingeschränkt ist und ob aus einem Organisationsverschulden eine Reduzierung des Ermessens bei der Rücknahme von Prüfungsentscheidungen resultieren kann, führen nicht zur Zulassung der Revision. Beiden Fragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Bei der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts nach § 48 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwVfG hat die Behörde im Rahmen ihrer gebotenen Ermessensausübung den Schutz des Vertrauens auf den Bestand des Verwaltungsakts mit dem öffentlichen Interesse an seiner Rücknahme abzuwägen. Diese Abwägung ist einzelfallbezogen und kann in der Regel nicht verallgemeinert werden. Das gilt auch für die Rücknahme von Prüfungsentscheidungen. Jedenfalls kann nicht der allgemeine Rechtssatz aufgestellt werden, dass bei der Rücknahme eines Prüfungsergebnisses das Rücknahmeermessen der Behörde grundsätzlich eingeschränkt ist. Dies gilt auch für den Fall, dass die Rechtswidrigkeit der Prüfungsentscheidung auf ein Organisationsverschulden der Behörde zurückzuführen ist. Denn bei der Ermessensausübung ist stets die im konkreten Einzelfall bestehende gegenseitige Interessenlage abwägend zu gewichten.
4. Nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist die Frage, ob in der Konstellation einer Anfechtungsklage im Hauptantrag und einer Verpflichtungsklage im Hilfsantrag das Verfahren der Leistungserbringung nicht weiter überprüft werden muss und entsprechende Rügen als unschlüssig abgewiesen werden können. Ob das Gericht Mängeln im Verfahren der Leistungserbringung, die der Kläger zur Begründung eines hilfsweise erhobenen Klageantrags auf Verurteilung zur Neubewertung der Prüfungsleistung vorgetragen hat, nachgehen muss, um über die sachliche Berechtigung einer vorrangig erhobenen Klage auf Aufhebung der behördlichen Prüfungsentscheidung zu urteilen, hängt von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere davon ab, ob die angeblichen Verfahrensfehler die Prüfungsentscheidung aufhebbar machen (vgl. § 46 VwVfG). Falls die Beschwerde indessen geklärt wissen will, ob allein der Umstand, dass der Kläger die behaupteten Verfahrensfehler zur Stützung seines Begehrens auf Verurteilung zur Neubewertung geltend gemacht hat, es prinzipiell ausschließt, dieses Vorbringen bei der Prüfung des Hauptantrags auf Kassation der Prüfungsentscheidung zu berücksichtigen, würde sich die Frage nicht stellen. Mängel im Verfahren der Erbringung der Prüfungsleistung wie die vom Kläger behauptete Krankheit während der schriftlichen Prüfung, die unzureichende Beheizung des Prüfungsraums und eine übergroße Entfernung zum Prüfungsort könnten vom Gericht nicht mehr berücksichtigt werden. Diese Mängel hätten während der Prüfung oder unverzüglich danach gerügt werden müssen (stRspr, vgl. Urteil vom 6. September 1995 – BVerwG 6 C 16.03 – BVerwGE 99, 172 ≪180≫ m.w.N.).
5. Nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung kann auch die Frage führen, ob ein ordnungsgemäßes verwaltungsinternes Kontrollverfahren bei einer Bewertung “über Kreuz” gegeben ist, wenn also bei zwei Klausuren, deren Benotung beanstandet wird, der Erstkorrektor der einen Klausur als Zweitkorrektor der anderen Klausur fungiert und umgekehrt. Eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung könnte darin nur gesehen werden, wenn diese Art des Zusammenwirkens von Erst- und Zweitkorrektor schon prinzipiell dazu führen würde, dass beiden Korrektoren die erforderliche Unabhängigkeit und Objektivität fehlen würde und sie kein eigenständiges und unabhängiges Urteil über die Prüfungsleistung abgeben könnten. Dies ist jedoch nicht der Fall. Ob die vom Kläger befürchtete gegenseitige Blockade der Prüfer in dem Sinne, dass keiner der Bewertung des anderen widersprechen würde, weil er befürchten müsste, dass er in diesem Fall mit seinem Votum ebenfalls auf Widerstand des anderen Prüfers stoßen würde, ist kein Problem, das verallgemeinerungsfähig ist. Es müsste nämlich grundsätzlich unterstellt werden, dass Prüfer nicht in der Lage sind, in einer solchen Konstellation ihres Zusammenwirkens zu unabhängigen Beurteilungen zu kommen. Davon kann aber keine Rede sein.
6. Schließlich ist die Frage nicht von grundsätzlicher Bedeutung, “inwiefern vom Oberverwaltungsgericht erkannte Mängel der Bewertung, die unstrittig sind, in einem verwaltungsinternen Kontrollverfahren behoben werden können, indem von den Prüfern dargestellt wird, dass der positiv festzustellende Bewertungsfehler keine Auswirkungen auf das Ergebnis gefunden hat aufgrund anderer Fehler”. Das vom Kläger mit dieser Frage angesprochene Verschlechterungsverbot ist höchstrichterlich bereits geklärt (vgl. Urteil vom 14. Juli 1999 – BVerwG 6 C 20.98 – BVerwGE 109, 211 ≪216 ff.≫ m.w.N.) und bedarf aufgrund des vorliegenden Falles keiner erneuten revisionsgerichtlichen Überprüfung. Nach dieser Rechtsprechung ist es Prüfern grundsätzlich nicht verwehrt, nach der Auseinandersetzung mit den Einwendungen eines Prüflings gegen die Bewertung seiner Prüfungsleistung unter Vermeidung früherer Begründungsmängel anzugeben, dass und aus welchen Gründen sie ihre bei der ersten Bewertung vergebene Note auch bei selbstkritischer Würdigung nach wie vor für zutreffend halten. Allerdings darf dabei das Bewertungssystem nicht verändert werden. Eine solche Veränderung liegt nicht schon allein darin, dass die Prüfer bei der erneuten Bewertung Einzelleistungen erstmalig als fehlerhaft erkennen und nunmehr als nachteilig berücksichtigen. Eine Änderung des Bewertungssystems liegt vielmehr erst dann vor, wenn prüfungsspezifische Bewertungskriterien geändert werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes folgt aus § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Unterschriften
Dr. Silberkuhl, Prof. Dawin, Dr. Kugele
Fundstellen