Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein eigenständiges befristetes Aufenthaltsrecht des Elternteils eines minderjährigen ledigen Deutschen nach Aufhebung der familiären Lebensgemeinschaft
Leitsatz (amtlich)
§ 28 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 31 Abs. 1 und 4 AufenthG vermittelt dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen nach Aufhebung der familiären Lebensgemeinschaft kein von deren Führung unabhängiges und damit eigenständiges befristetes Aufenthaltsrecht.
Normenkette
AufenthG § 11 Abs. 1, § 25 Abs. 4 S. 2, § 25b Abs. 4 S. 3, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 2, 3 Sätze 1-2, Abs. 4, § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, Abs. 4 S. 2, § 36 Abs. 2 S. 2, § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 59; AufenthV § 56 Abs. 1 Nr. 8; AuslG 1990 §§ 19, 23 Abs. 3 Hs. 2; GG Art. 3 Abs. 1; EGRL 86/2003 Art. 1, 2 Buchst. b, c, Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 2, Art. 15 Abs. 1-2, 3 S. 2
Verfahrensgang
Hessischer VGH (Beschluss vom 19.10.2021; Aktenzeichen 6 A 1527/19) |
VG Frankfurt am Main (Urteil vom 06.06.2019; Aktenzeichen 10 K 1997/18.F) |
Tenor
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
Rz. 1
Der im Mai 1969 geborene Kläger, ein algerischer Staatsangehöriger, ist Vater eines im Jahr 2001 geborenen deutschen Staatsangehörigen. Die Personensorge für das Kind wurde allein dessen Mutter übertragen. Der Kläger übte sein Umgangsrecht zeitweise aus. Im August 2009 wurde ihm infolge der Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft erteilt. Nach deren Aufhebung verkürzte die seinerzeit zuständige Ausländerbehörde im März 2010 die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis; zugleich erteilte sie dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Ausübung der "Personensorge" für seinen Sohn, die zuletzt im Oktober 2014 bis zum März 2017 verlängert wurde.
Rz. 2
Im April 2018 versagte die Ausländerbehörde der Beklagten die neuerliche Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, forderte den Kläger zum Verlassen des Bundesgebiets innerhalb von drei Monaten nach Zustellung der Verfügung auf, drohte ihm für den Fall, dass er seiner Ausreisepflicht nicht fristgerecht nachkomme, die Abschiebung primär nach Algerien an, befristete das seinerzeitige gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von zwei Jahren und verpflichtete den Kläger zur Vorlage seines Nationalpasses innerhalb von 14 Tagen zum Zwecke der Eintragung der Ausreisefrist. Eine weitere Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis scheide aus. Der Kläger habe für die Betreuung und Erziehung seines Sohnes keine Verantwortung mehr übernommen und auch sein Umgangsrecht nicht mehr ausgeübt. Dem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen erwachse nach Aufhebung der familiären Lebensgemeinschaft kein eigenständiges befristetes Aufenthaltsrecht.
Rz. 3
Das Verwaltungsgericht hat der in der mündlichen Verhandlung auf die Aufhebung der angegriffenen Verfügung und die Verpflichtung der Beklagten zur "Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 3 i. V. m. § 31 AufenthG" beschränkten Klage stattgegeben.
Rz. 4
Der Verwaltungsgerichtshof hat das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. § 31 AufenthG werde in § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG anders als in § 36 Abs. 2 Satz 2 AufenthG und § 25b Abs. 4 Satz 3 AufenthG nicht für "entsprechend", sondern mit der bezeichneten Maßgabe für anwendbar erklärt. Dies stelle eine Rechtsgrundverweisung dar, die, soweit sie § 31 AufenthG betreffe, allein die Fälle des Ehegattennachzugs nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erfasse, nicht jedoch auch für ausländische Elternteile minderjähriger lediger Deutscher gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG gelte. Ein Wertungswiderspruch zu § 36 Abs. 2 Satz 2 AufenthG oder zu § 25b Abs. 4 Satz 3 AufenthG oder gar eine willkürliche Ungleichbehandlung lägen mangels vergleichbarer Sachverhalte nicht vor. Ein solcher rechtfertigte im Übrigen weder eine der erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung zuwiderlaufende Auslegung des § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG noch eine entsprechende Anwendung des § 31 AufenthG in sämtlichen von § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erfassten Konstellationen noch eine verfassungskonforme Auslegung des § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG.
Rz. 5
Zur Begründung seiner Revision macht der Kläger im Wesentlichen geltend, der eindeutige Wortlaut des § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG lasse eine Differenzierung zwischen den in § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erfassten Nachzugskonstellationen zu Deutschen nicht zu. Der Zuwanderungsgesetzgeber habe keine Verschlechterung der Rechtsstellung des ausländischen Elternteils eines minderjährigen ledigen Deutschen, sondern die unveränderte Übernahme der durch § 22 Satz 2 und § 23 Abs. 3 AuslG 1990 geprägten Rechtslage beabsichtigt. Mit § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG sei in der Folge lediglich der bis dahin ungeregelte Lebenssachverhalt reguliert worden, dass dem ausländischen Elternteil eines volljährig gewordenen deutschen Kindes, der noch nicht drei Jahre mit dem Kind im Bundesgebiet verbracht habe und somit auch keine Gelegenheit zum Erwerb eines eigenständigen Aufenthaltsrechts nach § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gehabt habe, ein fortwährendes Aufenthaltsrecht zu gewähren sei. Die Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs begründe einen Wertungswiderspruch zu § 36 Abs. 2 Satz 2 AufenthG.
Rz. 6
Die Beklagte und die Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht verteidigen das Berufungsurteil.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs beruht nicht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat im Einklang mit Bundesrecht entschieden, dass der Kläger kein von dem Zweck des Familiennachzugs unabhängiges befristetes Aufenthaltsrecht beanspruchen kann (1.) und die angegriffene Verfügung auch im Übrigen rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (2.).
Rz. 8
1. Der Verwaltungsgerichtshof ist zutreffend davon ausgegangen, dass § 28 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 31 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 4a des Gesetzes zur Regelung eines Sofortzuschlages und einer Einmalzahlung in den sozialen Mindestsicherungssystemen sowie zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes und weiterer Gesetze vom 23. Mai 2022, dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen keinen Anspruch auf Verlängerung eines Aufenthaltsrechts vermittelt.
Rz. 9
Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei auf die Verpflichtung zur Erteilung eines Aufenthaltstitels gerichteten Verpflichtungsklagen grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2015 - 1 C 31.14 - BVerwGE 153, 353 Rn. 9). Rechtsänderungen, die nach der angefochtenen Entscheidung eintreten, sind vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, falls sie das Gericht der Vorinstanz, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 17. September 2015 - 1 C 27.14 - NVwZ 2016, 71 Rn. 10). Abweichendes gilt, wenn besondere Gründe des anzuwendenden materiellen Rechts es gebieten, auf einen früheren Zeitpunkt abzustellen. Dies ist hier insoweit der Fall, als das Begehren des Klägers auf ein eigenständiges befristetes Aufenthaltsrecht gerichtet ist, welches sich an die ihm zur Wahrnehmung der Personensorge bis zum März 2017 verlängerte Aufenthaltserlaubnis anschließen soll. Sofern ein solches eigenständiges befristetes Aufenthaltsrecht für einen Zeitraum in der Vergangenheit begehrt wird, ist hinsichtlich der Sach- und Rechtslage auf den jeweils von der Antragstellung umfassten Erteilungszeitraum abzustellen (BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2009 - 1 C 11.08 - BVerwGE 134, 124 Rn. 19). Die infolge der Beschränkung des Klagebegehrens allein streitgegenständliche Anspruchsgrundlage des § 28 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 31 AufenthG hat seit dem Ablauf der Geltungsdauer der dem Kläger zuletzt verlängerten Aufenthaltserlaubnis keine hier beachtliche Änderung erfahren.
Rz. 10
Gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG finden die §§ 31 und 34 AufenthG mit der Maßgabe Anwendung, dass an die Stelle des Aufenthaltstitels des Ausländers der gewöhnliche Aufenthalt des Deutschen im Bundesgebiet tritt. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Fall der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn u. a. die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens drei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat. Der Anspruch nach § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bezieht sich auf den Aufenthalt nur in dem Jahr unmittelbar nach Ablauf der Gültigkeit der ehegattenbezogenen Aufenthaltserlaubnis. Dieser Anspruch ist Voraussetzung für eine darauf aufbauende Verlängerung im Ermessenswege nach § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG. Danach kann die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, solange die Voraussetzungen für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU nicht vorliegen.
Rz. 11
§ 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist dahingehend auszulegen, dass er den ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen nicht begünstigt (a). Dieses Ergebnis steht mit Verfassungs- und Unionsrecht im Einklang (b).
Rz. 12
a) Dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen steht nach Aufhebung der familiären Lebensgemeinschaft kein von deren Führung unabhängiges und damit eigenständiges befristetes Aufenthaltsrecht zu. Für dieses Ergebnis streiten die grammatische (aa), die systematische (bb) und die historisch-genetische (cc) Auslegung. Die teleologische Auslegung steht diesem Verständnis nicht entgegen (dd).
Rz. 13
aa) Bereits dem Wortlaut von § 28 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist zu entnehmen, dass eine Anwendung der Normen auf den Elternteil eines deutschen Kindes ausscheidet.
Rz. 14
Die Formulierung "mit der Maßgabe" weist § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG als Rechtsgrundverweisung aus. Verwiesen wird nicht nur auf die Rechtsfolge von § 31 Abs. 1 AufenthG, sondern auch auf dessen tatbestandliche Voraussetzungen, die vorliegen müssen, damit die Rechtsfolge der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis eintritt. Danach ist § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bei wortlautgemäßer Umsetzung des Normbefehls des § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dahingehend zu lesen, dass die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert wird, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens drei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat und der Deutsche bis dahin seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte. Der Tatbestand des § 31 AufenthG liefert keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Norm darüber hinaus auch Elternteilen minderjähriger lediger Deutscher ein Aufenthaltsrecht vermittelt (in diesem Sinne auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. September 2017 - 12 N 46.17 - juris Rn. 5; OVG Münster, Beschluss vom 19. November 2018 - 18 B 1520/18 u. a. - juris Rn. 6 ff.; OVG Hamburg, Beschluss vom 2. April 2019 - 1 Bs 58/19 - juris Rn. 16).
Rz. 15
Diesem Verständnis steht auch die nicht nähere Spezifizierung des Begriffs "des Deutschen" in § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegen. Die betreffenden Wörter sind zwar für sich betrachtet nicht eindeutig und könnten auch einen minderjährigen ledigen Deutschen als Bezugsperson einbeziehen. Die Wortwahl erklärt sich indes unschwer aus dem Umstand, dass sich die Verweisung in § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG auf §§ 31 und 34 AufenthG bezieht. Während § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ein eigenständiges befristetes Aufenthaltsrecht allein für Ehegatten begründet, normiert § 34 Abs. 1 und 2 AufenthG ein solches für Kinder beziehungsweise volljährig gewordene Kinder.
Rz. 16
bb) Die systematische Auslegung bestätigt den vorstehenden Befund.
Rz. 17
Während die Verweisungsnorm des § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nur die in § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten Ausländer einbezieht, erfasst § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG die in § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG bezeichnete Personengruppe. Nach § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist die einem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge erteilte Aufenthaltserlaubnis auch nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes zu verlängern, solange das Kind mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und sich in einer Ausbildung befindet, die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss oder Hochschulabschluss führt. In der Begründung zur Einfügung der Norm führte der seinerzeit federführende Innenausschuss des Deutschen Bundestages aus, durch die Änderung werde eine Lücke geschlossen, die darin bestehe, dass bislang für Aufenthaltserlaubnisse für Elternteile minderjähriger lediger Deutscher bei Eintritt der Volljährigkeit des deutschen Kindes eine § 34 Abs. 2 AufenthG entsprechende Vorschrift fehle und ein eigenständiges, vom Familiennachzug unabhängiges Aufenthaltsrecht gesetzlich nicht vorgesehen sei (BT-Drs. 17/13536 S. 15). Der Gesetzgeber zog damit die Konsequenz aus der Erkenntnis, dass es bis zu diesem Zeitpunkt an einer gesetzlichen Grundlage sowohl für ein an die Zeit nach Erreichen der Volljährigkeit eines ledigen Deutschen anknüpfendes abgeleitetes befristetes Anschlussaufenthaltsrecht des bis dahin mit diesem in familiärer Lebensgemeinschaft lebenden Elternteils als auch für ein denselben Zeitraum erfassendes eigenständiges befristetes Aufenthaltsrecht dieses Elternteils fehlte. Da § 28 Abs. 3 AufenthG in der bis zum 31. Mai 2013 geltenden Fassung bereits auf § 31 und § 34 AufenthG und damit auf eigenständige befristete Aufenthaltsrechte ausländischer Ehegatten eines Deutschen und minderjähriger lediger ausländischer Kinder eines Deutschen nach Erreichen der Volljährigkeit verwies - die in der bis zum 31. Mai 2013 geltenden Fassung des § 28 Abs. 3 AufenthG enthaltene redaktionell fehlerhafte Verweisung auf § 35 AufenthG hat der Gesetzgeber zeitgleich mit der Einfügung des § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG berichtigt (BT-Drs. 17/13536 S. 5) -, ist mit der Einfügung des § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nur eine sehr begrenzte Lückenschließung erfolgt: Der Gesetzgeber hat damit nicht ein von der Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft unabhängiges und damit eigenständiges befristetes Aufenthaltsrecht begründet, sondern nur einen an das Erreichen der Volljährigkeit des vormals minderjährigen ledigen deutschen Kindes anknüpfenden und von diesem abgeleiteten Rechtsanspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für die Dauer des Fortbestehens der familiären Lebensgemeinschaft und einer schulischen oder beruflichen Ausbildung des jungen Erwachsenen (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. September 2017 - 12 N 46.17 - und OVG Münster, Beschluss vom 19. November 2018 - 18 B 1520/18 u. a. - juris Rn. 10). Die Verweisungsnorm des § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bezieht nach alledem nur die in § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten Ausländer ein, während die in § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG bezeichnete Personengruppe ausschließlich durch § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG begünstigt wird.
Rz. 18
Die von dem Gesetzgeber in § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gewählte Regelungstechnik weicht von derjenigen ab, die § 36 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zugrunde liegt. Nach dieser Vorschrift sind auf volljährige sonstige Familienangehörige § 30 Abs. 3 und § 31 AufenthG entsprechend und ist auf minderjährige sonstige Familienangehörige § 34 AufenthG entsprechend anzuwenden. Folge der entsprechenden Anwendung des § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist die Verselbständigung der dem volljährigen sonstigen Familienangehörigen aufgrund des Vorliegens einer außergewöhnlichen Härte erteilten Aufenthaltserlaubnis nach Aufhebung der familiären Lebensgemeinschaft zu einem eigenständigen befristeten Aufenthaltsrecht für den Fall, dass die in § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Voraussetzungen entsprechend vorliegen, mithin wenn die familiäre Lebensgemeinschaft regelmäßig drei Jahre bestanden hat oder der Stammberechtigte gestorben ist, während die familiäre Lebensgemeinschaft bestand. Eine solche entsprechende Anwendung von § 31 AufenthG hat der Gesetzgeber in § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gerade nicht angeordnet.
Rz. 19
Zu einem abweichenden Verständnis von § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gibt auch § 25b Abs. 4 Satz 3 AufenthG keine Veranlassung. Ausweislich der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung ordnet § 25b Abs. 4 Satz 3 AufenthG die entsprechende Anwendung des § 31 AufenthG für Ehegatten und Lebenspartner an (BT-Drs. 18/4097 S. 45). Diesen erwächst gemäß § 25b Abs. 4 Satz 3 i. V. m. § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ein eigenständiges befristetes Aufenthaltsrecht, wenn die eheliche oder lebenspartnerschaftliche Lebensgemeinschaft nach regelmäßig dreijährigem rechtmäßigem Bestehen im Bundesgebiet aufgehoben wird. Auch insoweit bedient sich der Gesetzgeber der Regelungstechnik nicht der unmittelbaren, sondern der entsprechenden Anwendung des § 31 AufenthG auf den im Aufenthaltsgesetz nicht geregelten Fall der Aufhebung der familiären oder lebenspartnerschaftlichen Lebensgemeinschaft mit einem nachhaltig integrierten Ausländer. Im Übrigen gilt diese Regelung schon nach ihrem Wortlaut nicht für Eltern.
Rz. 20
cc) Die historisch-genetische Auslegung bestätigt das Ergebnis insbesondere der grammatischen und systematischen Betrachtung.
Rz. 21
Zwar hatte die früher in § 23 Abs. 3 Halbs. 1 AuslG 1990 getroffene Regelung nach verbreiteter Auffassung einen weiteren Anwendungsbereich, der ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nachgezogener Elternteile von minderjährigen Deutschen einschloss. Gemäß § 23 Abs. 3 Halbs. 1 AuslG fanden § 17 Abs. 5 und die §§ 19 und 21 AuslG 1990 entsprechende Anwendung; an die Stelle der Aufenthaltsgenehmigung des Ausländers trat der gewöhnliche Aufenthalt des Deutschen im Bundesgebiet. § 19 und § 21 Abs. 2 AuslG 1990 sahen eigenständige befristete Aufenthaltsrechte für Ehegatten und volljährig gewordene Kinder vor. Diese Regelung wurde dahin verstanden, dass für ausländische Elternteile minderjähriger Deutscher § 19 AuslG 1990 entsprechend galt (vgl. etwa Nr. 24.1.1.1 AuslG-VwV - Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz vom 28. Juni 2000, GMBl S. 618; OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. April 2003 - 7 ME 23/03 - juris Rn. 6). Eine Übertragung dieser Auslegung auf die Normen des Aufenthaltsgesetzes scheidet indes aus, da § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG anders als die Vorgängervorschrift des § 23 Abs. 3 AuslG gerade keine entsprechende Anwendung der in Bezug genommenen Norm ermöglicht, sondern eine Rechtsgrundverweisung auf § 31 AufenthG darstellt. Dieser abweichende Regelungsgehalt entspricht - wie bereits dargelegt - dem bei der Einfügung des § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers (BT-Drs. 17/13536 S. 15). Seine klare Entscheidung steht der Annahme entgegen, § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG verweise auch in Bezug auf die von § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erfasste Personengruppe auf § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG sei dazu zu dienen bestimmt, die Zeitspanne bis zu dem Erwachsen eines eigenständigen Aufenthaltsrechts gleichsam zu überbrücken. Im Einklang mit dem vorstehenden Verständnis geht auch Nr. 28.3.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 davon aus, dass ein eigenständiges Aufenthaltsrecht von Elternteilen minderjähriger lediger Deutscher bei Auflösung der familiären Lebensgemeinschaft - unbeschadet der ggf. nach den allgemeinen Regeln gegebenen Möglichkeit der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis - nicht entstehe, bei Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte vielmehr allein die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG in Betracht komme.
Rz. 22
dd) Die teleologische Auslegung widerstreitet dem vorstehenden Normverständnis nicht.
Rz. 23
Der Zweck des Elternnachzugs nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG fordert nicht die Gewährung eines eigenständigen befristeten Aufenthaltsrechts. Dem besonderen verfassungsrechtlichen Gewicht der Führung einer familiären Lebensgemeinschaft mit einem deutschen Kind, Jugendlichen und jungen Erwachsenen trägt § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Satz 2 AufenthG Rechnung. Durch die privilegierte Genehmigung des Aufenthalts des ausländischen Elternteils soll dem minderjährigen oder volljährig gewordenen deutschen Kind der Schutz und die Fürsorge zuteilwerden, die für sein Wohlergehen notwendig sind. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Satz 2 AufenthG zielt allein auf den Schutz des deutschen Kindes, nicht hingegen auf die Begünstigung des ausländischen Elternteils. Beide Regelungen sind dem Interesse des minderjährigen ledigen Deutschen an der Familieneinheit mit seinem Elternteil, nicht jedoch einem eigenständigen Interesse des Elternteils an einem Zusammenleben mit dem Kind zu dienen bestimmt (Welte, Aufenthaltsgesetz, Stand Juli 2022, § 28 AufenthG Rn. 338; vgl. in anderem Kontext auch BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - 10 C 9.12 - BVerwGE 146, 189 Rn. 20).
Rz. 24
Nichts anderes folgt aus dem Umstand, dass auch der auf dem Nachzug zu einem minderjährigen ledigen Deutschen basierende Aufenthalt verfestigungsfähig ist und unter den - erleichterten - Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 AufenthG in ein unbefristetes, fortan eigenständiges Aufenthaltsrecht münden kann (siehe ferner § 9a AufenthG). Dies zeigt zwar, dass der Integrationsgedanke auch für den Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen Geltung beansprucht. Daraus ergibt sich aber mangels jeglichen normativen Anhaltspunkts nicht, dass der Gesetzgeber diesem Elternteil auch die in einem eigenständigen befristeten Aufenthaltsrecht liegende Überbrückung zu der erst bei voller Integration möglichen Erteilung der Niederlassungserlaubnis gewährt.
Rz. 25
b) Das Ergebnis der Auslegung des § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bedarf weder im Lichte des Verfassungs- (aa) noch des Unionsrechts (bb) einer Korrektur.
Rz. 26
aa) Die Nichteinbeziehung des Elternteils eines minderjährigen ledigen Deutschen in die Verweisungsvorschrift des § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG steht im Einklang mit Verfassungsrecht und verstößt insbesondere nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Rz. 27
Eine Norm verletzt Art. 3 Abs. 1 GG, wenn durch sie eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten verschieden behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 2013 - 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06 und 2 BvR 288/07 - BVerfGE 133, 377 Rn. 76 m. w. N.). Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet den Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (BVerwG, Urteil vom 27. April 2021 - 1 C 45.20 - Buchholz 402.242 § 36a AufenthG Nr. 2 Rn. 22 m. w. N.).
Rz. 28
Eine Verletzung des Gleichheitssatzes ist hier weder in Bezug auf § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ((1)) noch § 36 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ((2)) noch § 28 Abs. 4 AufenthG ((3)) noch § 25b Abs. 4 Satz 3 AufenthG ((4)) festzustellen.
Rz. 29
(1) Es verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, einerseits sämtlichen von § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erfassten Familienangehörigen Deutscher bei Fortbestehen der familiären Lebensgemeinschaft gemäß § 28 Abs. 2 AufenthG eine Aufenthaltsverfestigung nach drei Jahren zu ermöglichen, andererseits Elternteilen deutscher Kinder nach dreijährigem Zusammenleben im Falle der Aufhebung der familiären Lebensgemeinschaft ein eigenständiges befristetes Aufenthaltsrecht vorzuenthalten. Die privilegierte Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, mit der das Aufenthaltsrecht des nachgezogenen Elternteils vom Zweck des Familiennachzugs unabhängig wird, setzt voraus, dass jedenfalls bei Erteilung die familiäre Lebensgemeinschaft noch fortbesteht und der Elternteil im Einzelnen aufgeführte Integrationsanforderungen erfüllt. Dies zwingt den Gesetzgeber nicht, dem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen für den Fall einer Aufhebung der familiären Lebensgemeinschaft ein eigenständiges befristetes Aufenthaltsrecht zu gewähren und damit gegebenenfalls eine Aufenthaltsverfestigung zu ermöglichen. Außergewöhnlichen Härten kann im Rahmen von § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG hinreichend Rechnung getragen werden.
Rz. 30
(2) Zu einem anderweitigen Verständnis bietet auch § 36 Abs. 2 Satz 2 AufenthG keine Veranlassung. Die rechtliche Ausgestaltung der Nachzugsregelungen des § 28 AufenthG einerseits und des § 36 Abs. 2 AufenthG andererseits ist so verschieden, dass es schon an der direkten Vergleichbarkeit der beiden Normen zugrunde liegenden Konstellationen fehlt. Der zur Typisierung grundsätzlich befugte Gesetzgeber ist nicht gehalten, die Frage der Verselbständigung des Aufenthaltsrechts für beide Fallgruppen identisch zu regeln. Dass der sonstige volljährige Familienangehörige eines Ausländers und damit auch der ausländische Elternteil eines minderjährigen ledigen Ausländers nach § 36 Abs. 2 Satz 2 AufenthG i. V. m. § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach dreijährigem Bestehen und anschließender Aufhebung der familiären Lebensgemeinschaft mit dem Kind ein eigenständiges befristetes Aufenthaltsrecht erwirbt, während ein solches für den ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen nicht vorgesehen ist, ist dem Umstand geschuldet, dass die Entscheidung über den Nachzug des ausländischen Elternteils eines minderjährigen ledigen Ausländers das Bestehen insbesondere einer außergewöhnlichen Härte voraussetzt. § 36 Abs. 2 Satz 2 AufenthG liegt die typisierende Annahme des Gesetzgebers zugrunde, dass diejenigen Umstände, auf denen diese außergewöhnliche Härte gründet, regelmäßig auch nach der Auflösung der familiären Lebensgemeinschaft fortbestehen (so Czerny, ZAR 2021, 145 ≪150≫). Ebenso wenig wie der allgemeine Gleichheitssatz den Gesetzgeber zwingt, den Familiennachzug zu beiden Personengruppen gleich zu regeln, steht er einer die unterschiedlichen Voraussetzungen des Elternnachzugs berücksichtigenden Regelung des Erwerbs eines eigenständigen befristeten Aufenthaltsrechts entgegen. Wird dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Ausländers ausnahmsweise der Zuzug zu diesem wegen einer außergewöhnlichen Härte gestattet, weil der schutzbedürftige minderjährige ledige Ausländer ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe dringend angewiesen ist, diese Hilfe in zumutbarer Weise nur im Bundesgebiet erbracht werden kann und daher das Gewicht der grundrechtlich geschützten Bindungen zwischen dem Kind und einem Elternteil das einwanderungspolitische Interesse an der Begrenzung der Einwanderung zurückdrängt (BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 15.12 - BVerwGE 147, 278 Rn. 12; Hailbronner, in: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Juni 2022, § 36 AufenthG Rn. 21), so ist der Gesetzgeber zwar nicht verpflichtet, aber auch nicht gehindert, in der Folge eines solchermaßen gestatteten Elternnachzuges ein eigenständiges befristetes Aufenthaltsrecht vorzusehen, ohne dass sich dies über Art. 3 Abs. 1 GG auf den regulären Nachzugsanspruch zu einem deutschen Kind nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erstreckt (im Ergebnis ebenso OVG Hamburg, Beschluss vom 2. April 2019 - 1 Bs 58/19 - juris Rn. 19).
Rz. 31
(3) Aus vergleichbaren Gründen liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG auch insoweit nicht vor, als nach § 28 Abs. 4 AufenthG sonstige Familienangehörige eines Deutschen, denen der Nachzug wegen des Bestehens einer außergewöhnlichen Härte genehmigt wurde, über § 36 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erwerben. Auch diese an das Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte anknüpfende Regelung ist von der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers gedeckt. Letztere erlaubt es dem Gesetzgeber im Übrigen, differenzierte Vorgaben für unterschiedliche Gruppen nachzugswilliger Ausländer zu treffen, die in einem Gesamtabgleich untereinander teilweise vorteilhafte und teilweise nachteilige Regelungen enthalten (vgl. in anderem Zusammenhang BVerwG, Urteil vom 4. September 2012 - 10 C 12.12 - BVerwGE 144, 141 Rn. 34).
Rz. 32
(4) Ein befristetes eigenständiges Aufenthaltsrecht des Elternteils eines minderjährigen ledigen Deutschen erscheint auch nicht im Lichte des § 25b Abs. 4 Satz 3 AufenthG verfassungsrechtlich geboten. § 25b Abs. 4 AufenthG trägt dem Umstand Rechnung, dass dem nachhaltig integrierten Ausländer eine Rückkehr in sein Heimatland nicht zugemutet werden soll. Zu der hieran anknüpfenden Privilegierung bestimmter Familienangehöriger auch in Bezug auf den Erwerb eines eigenständigen befristeten Aufenthaltsrechts wäre der Gesetzgeber nicht verpflichtet gewesen. Dass er sich im Kontext der Schaffung einer stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelung innerhalb des dem Aufenthalt aus humanitären Gründen gewidmeten Abschnitts 5 des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes für die Einräumung eines eigenständigen befristeten Aufenthaltsrechts (jedenfalls) des Ehegatten und Lebenspartners auch nach Aufhebung der entsprechenden Lebensgemeinschaft entschieden hat, verpflichtet ihn nicht, ein entsprechendes Recht auch im Rahmen der Regelung des Familiennachzuges von Elternteilen minderjähriger lediger Deutscher vorzusehen, da es insoweit an der Vergleichbarkeit der Regelungsgegenstände fehlt.
Rz. 33
bb) Das vorstehende Verständnis von § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bedarf auch im Lichte des Unionsrechts keiner Korrektur. Insbesondere gebietet die Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (im Folgenden: RL 2003/86/EG) die Einräumung eines eigenständigen befristeten Aufenthaltsrechts des Elternteils eines minderjährigen ledigen Deutschen nicht.
Rz. 34
Die Richtlinie 2003/86/EG findet gemäß Art. 3 Abs. 3 i. V. m. Art. 1 und Art. 2 Buchst. c und d auf den Familiennachzug zu Deutschen schon keine Anwendung, da diese Unionsbürger und nicht Drittstaatsangehörige im Sinne des Art. 2 Buchst. a RL 2003/86/EG sind (BVerwG, Urteil vom 4. September 2012 - 10 C 12.12 - BVerwGE 144, 141 Rn. 36).
Rz. 35
Die Richtlinie verpflichtet den Gesetzgeber auch nicht mittelbar zur Schaffung eines befristeten eigenständigen Aufenthaltsrechts des Elternteils eines minderjährigen ledigen Deutschen. Ein solches muss schon im unmittelbaren Anwendungsbereich der Richtlinie nicht zwingend gewährt werden. Art. 15 Abs. 1 UAbs. 1 RL 2003/86/EG sieht ein Recht auf einen eigenen Aufenthaltstitel, der unabhängig von jenem des Zusammenführenden ist, spätestens nach fünfjährigem Aufenthalt und unter der Voraussetzung, dass dem Familienangehörigen kein Aufenthaltstitel aus anderen Gründen als denen der Familienzusammenführung erteilt wurde, nur für den Ehegatten und den nichtehelichen Lebenspartner und das volljährig gewordene Kind vor. Die Richtlinie erstreckt dieses Recht aber nicht zugleich auf Elternteile, deren Kind Zusammenführender im Sinne ihres Art. 2 Buchst. c ist. Vielmehr ermächtigt Art. 15 Abs. 2 RL 2003/86/EG die Mitgliedstaaten lediglich, Verwandten in gerader aufsteigender Linie, auf die Art. 4 Abs. 2 RL 2003/86/EG Anwendung findet, einen eigenen Aufenthaltstitel zu gewähren. Von dieser Ermächtigung hat der deutsche Gesetzgeber für den Personenkreis der Eltern im Sinne von § 36 Abs. 1 AufenthG keinen Gebrauch gemacht (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - 10 C 9.12 - BVerwGE 146, 189 Rn. 20). Die weitergehende Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Erlass von Bestimmungen, nach denen die Ausstellung eines eigenen Aufenthaltstitels gewährleistet ist, wenn besonders schwierige Umstände vorliegen, kann - soweit § 36 Abs. 2 Satz 2 AufenthG wie hier keine Anwendung findet - über § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG bewältigt werden.
Rz. 36
2. Der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs steht auch im Übrigen mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) im Einklang.
Rz. 37
Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit sowohl der auf § 59 AufenthG gründenden Abschiebungsandrohung als auch der Befristung des in § 11 Abs. 1 AufenthG in der bis zum 20. August 2019 geltenden Fassung noch vorgesehenen gesetzlichen Einreiseverbots für den Fall der Abschiebung, das regelmäßig, so auch hier, unionsrechtskonform als konstitutiver Erlass eines Einreiseverbots von bestimmter Dauer auszulegen ist (BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 - 1 C 47.20 - BVerwGE 173, 201 Rn. 10 m. w. N.) sind weder ersichtlich noch geltend gemacht. Entsprechendes gilt auch für die auf § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG i. V. m. § 56 Abs. 1 Nr. 8 der Aufenthaltsverordnung vom 25. November 2004 (BGBl. I S. 2945), zuletzt geändert durch Art. 4 der Verordnung zu automatisierten Datenabrufen aus den Pass- und Personalausweisregistern sowie zur Änderung der Passverordnung, der Personalausweisverordnung und der Aufenthaltsverordnung vom 20. August 2021 (BGBl. I S. 3682), gestützte Verpflichtung des Ausländers, innerhalb von 14 Tagen nach Zustellung der angefochtenen Verfügung den Nationalpass der Ausländerbehörde vorzulegen, damit die gewährte Ausreisefrist in diesen eingetragen werden kann.
Rz. 38
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Fundstellen
Haufe-Index 15524387 |
NVwZ 2022, 8 |
DÖV 2023, 359 |
InfAuslR 2023, 146 |
JZ 2023, 107 |
Asylmagazin 2023, 76 |
DVBl. 2022, 3 |
FF 2022, 512 |
NZFam 2023, 718 |
SächsVBl. 2022, 2 |