Entscheidungsstichwort (Thema)
Nebentätigkeit eines Hochschullehrers, Inanspruchnahme von Personal, Material und Einrichtungen eines Krankenhauses bei –. Nutzungsentgelt bei Inanspruchnahme von Personal, Material und Einrichtungen eines Krankenhauses im Rahmen der Nebentätigkeit, Höhe des –, Kostenerstattung. Mindestbehalt. Rückwirkung, echte und unechte –, – von Rechtsverordnungen. Vertrauen in den Fortbestand des geltenden Rechts, Beseitigung des Vertrauens durch Beschluss der Verordnung durch die Regierung
Leitsatz (amtlich)
1. Ärzte in einem Beamtenverhältnis mit einer vor dem 1. Januar 1993 erteilten Genehmigung, wahlärztliche Leistungen zu erbringen, durften nach dem Beamtenrecht des Landes Niedersachsen verpflichtet werden, im Jahre 1995 ein Nutzungsentgelt in Höhe von 35 v.H. der Bruttoeinnahmen aus der Nebentätigkeit zu entrichten.
2. Bei der ambulanten Behandlung von Privatpatienten darf ein Nutzungsentgelt in Höhe von 30 v.H. der Bruttoeinnahmen aus der Nebentätigkeit neben der Kostenerstattung erhoben werden.
3. Das Nutzungsentgelt darf grundsätzlich nicht nachträglich für frühere Abrechnungszeiträume erhöht werden.
Normenkette
BRRG § 42; Nds. LBG § 75 c; NHG § 63; HNutzVO-Med §§ 2, 3 Abs. 2, § 7 Abs. 1 S. 2; BPflG § 7 Abs. 2 S. 2 Nr. 5; GG Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Entscheidung vom 18.01.1999; Aktenzeichen 2 K 4830/96) |
Tenor
Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. Januar 1999 wird teilweise aufgehoben. § 7 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung über das Nutzungsentgelt bei Nebentätigkeiten in der Krankenversorgung in humanmedizinischen Einrichtungen der Hochschulen des Landes (Hochschulnutzungsentgeltverordnung Medizin) vom 19. April 1995 (Nds. GVBl S. 106) ist ungültig, soweit § 3 Abs. 2 mit Wirkung vom 1. Januar 1993 in Kraft gesetzt ist.
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller zu 2/3, der Antragsgegner zu 1/3.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller ist als Professor und Direktor eines Instituts einer Medizinischen Hochschule Beamter des Antragsgegners. Ihm war vor dem 1. Januar 1993 genehmigt worden, Patienten stationär und ambulant im Klinikum zu behandeln. Der Antragsteller darf dabei Personal und Material der Medizinischen Hochschule in Anspruch nehmen.
Am 19. April 1995 erließ der Antragsgegner die „Verordnung über das Nutzungsentgelt bei Nebentätigkeiten in der Krankenversorgung in humanmedizinischen Einrichtungen der Hochschulen des Landes (Hochschulnutzungsentgeltverordnung Medizin – HNutzVO-Med –)”, deren Bestimmungen mit wenigen Ausnahmen zum 1. Mai 1995 in Kraft getreten sind.
Nach dieser Verordnung haben beamtete Bedienstete, die im Rahmen einer Nebentätigkeit in der Krankenversorgung die Arbeitskraft des Personals, Einrichtungen oder Material von Hochschulen des Landes in Anspruch nehmen, ein Nutzungsentgelt zu zahlen. Bei ambulanter Behandlung sind gemäß § 2 Abs. 1 HNutzVO-Med nach Erstattung der Sachkosten zur Deckung der weiteren Kosten und als Vorteilsausgleich 30 v.H. des Teils des aus der Nebentätigkeit erzielten Bruttoeinkommens zu entrichten, der nach Abzug der Sachkosten und der Kosten für Sachleistungen verbleibt. Bei stationärer Behandlung im Rahmen einer Nebentätigkeit, die vor dem 1. Januar 1993 genehmigt worden ist, haben die beamteten Ärzte nach § 3 Abs. 2 HNutzVO-Med zur Deckung der durch die wahlärztlichen Leistungen entstehenden Kosten und als Vorteilsausgleich ein pauschaliertes Nutzungsentgelt in Höhe von 35 v.H. des aus der Nebentätigkeit nach Abzug der Kosten für Sachleistungen erzielten Bruttoeinkommens zu zahlen. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 HNutzVO-Med tritt § 3 Abs. 2 rückwirkend zum 1. Januar 1993 in Kraft.
Der Antragsteller hat durch Normenkontrollantrag begehrt, die Ungültigkeit der §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 2 und 7 Abs. 1 Satz 2 HNutzVO-Med festzustellen.
Das Oberverwaltungsgericht hat den Antrag abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt: Die zur Überprüfung gestellten Vorschriften seien gültig. Sie hätten ihre gesetzliche Grundlage in § 63 Abs. 5 Nr. 2 und Abs. 6 Nr. 3 des Niedersächsischen Hochschulgesetzes in Verbindung mit Bestimmungen des Landesbeamtengesetzes. Die Höhe des Nutzungsentgelts entspreche den Vorgaben in diesen Bestimmungen. Bei der Festsetzung des Nutzungsentgelts für ambulante Behandlung habe der Aspekt der Kostenerstattung berücksichtigt werden dürfen, denn die vorweg zu erstattenden Sachkosten erfassten nicht die Investitionskosten und die Kosten des ärztlichen Personals und der Arztschreibhilfe. Bei einem Nutzungsentgelt von 30 v.H. verbleibe dem beamteten Arzt auch der überwiegende Teil des durch seinen persönlichen Einsatz Erwirtschafteten. Die Erhöhung des Nutzungsentgelts bei stationärer Behandlung sei durch die Änderung der Bundespflegesatzverordnung und die dadurch bewirkten Einnahmeverluste des Antragsgegners veranlasst. Der Faktor Kostenerstattung habe auch hier berücksichtigt werden dürfen, weil die Pflegesätze nach der Bundespflegesatzverordnung nicht alle Kosten ausglichen. Den Ärzten verblieben auch von ihren Honoraren für stationäre Behandlung mehr als 50 v.H.
§ 7 Abs. 1 Satz 2 HNutzVO-Med wirke, soweit er § 3 Abs. 2 HNutzVO-Med für das gesamte Jahr 1995 rückwirkend in Kraft setze, unecht, und soweit er die Vorschrift auch für die Jahre 1993 und 1994 in Kraft setze, echt zurück. Sowohl die unecht als auch die echt zurückwirkende Regelung sei zulässig. Der Antragsteller habe nicht auf den Fortbestand des bisherigen Rechts vertrauen können. Der Antragsgegner habe ihn seit Dezember 1992 mehrmals darüber informiert, dass eine Verordnung zur Neuregelung des Nutzungsentgelts vorbereitet werde, die zum 1. Januar 1993 in Kraft treten werde.
Gegen dieses Urteil hat der Antragsteller die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und stellt den Antrag,
das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. Januar 1999 aufzuheben und die folgenden Bestimmungen der Verordnung über das Nutzungsentgelt bei Nebentätigkeiten in der Krankenversorgung in humanmedizinischen Einrichtungen der Hochschulen des Landes (Hochschulnutzungsentgeltverordnung Medizin – HNutzVO-Med –) vom 19. April 1995 für ungültig zu erklären:
- § 2 Abs. 1 Nr. 2, soweit darin der Vorteilsausgleich im Rahmen der ambulanten Behandlung von 20 % auf 30 % erhöht wird;
- § 3 Abs. 2 Satz 1, soweit darin das pauschalierte Nutzungsentgelt bei wahlärztlichen Leistungen von 25 % auf 35 % angehoben wird und
- § 7 Abs. 1 Satz 2, soweit dort das rückwirkende In-Kraft-Treten des § 3 Abs. 2 mit Wirkung vom 1. Januar 1993 vorgesehen ist.
Der Antragsgegner beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist zum Teil begründet. § 2 Abs. 1 und § 3 Abs. 2 der Verordnung über das Nutzungsentgelt bei Nebentätigkeiten in der Krankenversorgung in humanmedizinischen Einrichtungen der Hochschulen des Landes (Hochschulnutzungsentgeltverordnung Medizin – HNutzVO-Med –) vom 19. April 1995 (GVBl S. 106) sind gültig. Hingegen ist die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 HNutzVO-Med über das rückwirkende In-Kraft-Treten des § 3 Abs. 2 HNutzVO-Med für die Jahre 1993 und 1994 ungültig.
Das bei ambulanter Behandlung nach § 2 Abs. 1 HNutzVO-Med und das bei stationärer Behandlung nach § 3 Abs. 2 HNutzVO-Med zu zahlende Nutzungsentgelt steht dem Grunde und der Höhe nach in Übereinstimmung mit höherrangigem Recht.
Der Antragsgegner ist befugt, Vorschriften über die Entrichtung von Nutzungsentgelten für die Inanspruchnahme von Personal, Einrichtungen und Material der Hochschulen des Landes im Rahmen von Nebentätigkeiten in der Krankenversorgung zu erlassen.
Die Gesetzgebungskompetenz des Landes für die Regelung des Nutzungsentgelts nach dem Landesbeamtenrecht wird durch die bundespflegesatzrechtliche Erstattungsregelung aufgrund der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und der Regelung der Krankenhauspflegesätze (Art. 74 Nr. 19 a GG) nicht berührt (vgl. Urteile vom 16. November 2000 – BVerwG 2 C 35.99 – S. 10 U.A. zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung vorgesehen und – BVerwG 2 C 36.99 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
Das Nutzungsentgelt nach beamtenrechtlichen Vorschriften soll einen Ausgleich für die wirtschaftlichen Vorteile schaffen, die der Beamte dadurch erlangt, dass er die Hilfsmittel nicht auf eigenes Risiko anzuschaffen und zu unterhalten hat und nicht die Arbeitskraft des Personals vergüten muss (stRspr, z.B. Urteile vom 31. Januar 1974 – BVerwG 2 C 36.70 – Buchholz 237.5 § 31 HessBG Nr. 1 S. 13; vom 2. September 1999 – BVerwG 2 C 22.98 – BVerwGE 109, 283 ≪291≫ und vom 16. November 2000 – BVerwG 2 C 35.99 und 2 C 36.99 –). Da der beamtete Arzt Personal, Material und Einrichtungen des Dienstherrn im Rahmen seiner Nebentätigkeit in Anspruch nehmen darf, bleibt ihm das betriebliche Risiko eines effizienten Einsatzes der vorhandenen, kostenintensiven materiellen und personellen Ausstattung erspart. Dieser Nutzungsvorteil wird durch das Nutzungsentgelt abgeschöpft.
An der Höhe des auf beamtenrechtlicher Grundlage zu entrichtenden Nutzungsentgelts ändert die bundespflegesatzrechtliche Pflicht zur Kostenerstattung nichts; seit dem Jahre 1993 bestanden Abführungspflichten nach dem Krankenhausfinanzierungsrecht und dem Nebentätigkeitsrecht der Beamten (vgl. Urteile vom 16. November 2000 – BVerwG 2 C 35.99 und 2 C 36.99 –).
Die Zahlungspflicht des Klägers auf beamtenrechtlicher Grundlage war auch nicht deshalb zwingend zu reduzieren, weil nach § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 BPflV die auf wahlärztliche Leistungen entfallenden Kosten teilweise pflegesatzfähig sind und somit in diesem Umfang Kosten des Krankenhauses bereits anderweitig gedeckt waren. Eine Beschränkung der Abführungspflicht der Ärzte auf beamtenrechtlicher Grundlage ergibt sich hieraus nicht. Das von ihnen zu entrichtende Nutzungsentgelt dient – anders als die Pflegesätze – jedenfalls nicht ausschließlich der Kostenerstattung und Kostendeckung.
Soweit § 75 c Abs. 3 Satz 1 LBG in Übereinstimmung mit § 42 Abs. 4 Satz 2 BRRG bestimmt, dass sich das Nutzungsentgelt nach den dem Dienstherrn entstehenden Kosten zu richten hat und den besonderen Vorteil berücksichtigen muss, der dem Beamten durch die Inanspruchnahme entsteht, geht es nicht um zwei Berechnungsfaktoren, die in Kombination die Höhe des Nutzungsentgelts bestimmen, sondern um verschiedene Gesichtspunkte, nach denen die Höhe des Nutzungsentgelts ermittelt werden kann. Während sich die „Kostenerstattung” auf die betriebswirtschaftlichen Kosten bezieht, die dem Krankenhausträger durch die Bereitstellung von Personal, Material und Einrichtungen entstehen, bestimmt sich der Nutzungsvorteil ausschließlich aus der Sicht des Arztes, der wahlärztliche Leistungen erbringt. Da diese beiden Werte einander nicht entsprechen, sondern in einen Vergleich miteinander treten, ist das Nutzungsentgelt der Höhe nach gerechtfertigt, wenn es einer dieser Vergleichsgrößen entspricht (vgl. Urteile vom 26. Januar 1978 – BVerwG 2 C 34.74 – Buchholz 237.7 § 75 LBG NW Nr. 1 S. 3 ff. und vom 16. November 2000 – BVerwG 2 C 35.99 – S. 8 U.A.). Ein pauschaliertes Nutzungsentgelt von 35 v.H. der Bruttovergütung aus der Nebentätigkeit ist regelmäßig angemessen (stRspr, vgl. Urteile vom 11. Oktober 1990 – BVerwG 2 C 46.88 – BVerwGE 87, 1 ≪9≫ und vom 2. September 1999, a.a.O. S. 289).
Art. 33 Abs. 5 GG ist nicht verletzt. Es gibt keinen durch diese Bestimmungen geschützten herkömmlichen Grundsatz des Berufsbeamtentums des Inhalts, dass der Dienstherr dem Beamten Einkünfte aus Nebentätigkeit ungeschmälert belassen muss, wenn der Beamte sich zu ihrer Erzielung des Materials oder Personals des Dienstherrn bedient (BVerfGE 52, 303 ≪344≫; BVerwGE 87, 1 ≪3≫).
Art. 33 Abs. 5 GG schützt auch nicht das Vertrauen der liquidationsberechtigten Ärzte, dass sie wegen einer Inanspruchnahme von Personal, Material und Einrichtungen des Krankenhauses zu keinen weitergehenden Zahlungen verpflichtet werden als zu denen, die ihnen oblagen, als ihnen die Berechtigung eingeräumt worden ist.
Das Äquivalenzprinzip ist gleichfalls nicht verletzt. Den liquidationsberechtigten Ärzten wird bei der Abführung von 30 v.H. des nach Abzug der zu erstattenden Sachkosten und der Kosten für Sachleistungen verbleibenden Bruttoeinkommens und von 35 v.H. des um den Betrag nach § 11 Abs. 3 a in Verbindung mit § 13 Abs. 3 Nr. 6 a BPflVO abgesenkten und um die Kosten für Sachleistungen verminderten Bruttoeinkommens der überwiegende Teil der Einnahmen, die sie durch den Einsatz ihrer Arbeitskraft erwirtschaftet haben, belassen. Bei dieser Prüfung darf als abzuführender Betrag nicht der Gesamtbetrag aus dem pauschalierten Nutzungsentgelt und den zu erstattenden Sachkosten in die Berechnung eingestellt werden. Mit den Sachkosten wird kein Teil des wirtschaftlichen Nutzens abgeführt, den der Beamte durch eigene ärztliche Leistung erlangt hat. Deshalb braucht auch hier (vgl. bereits Urteil vom 16. November 2000 – BVerwG 2 C 35.99 –) nicht entschieden zu werden, ob an dem in der bisherigen Rechtsprechung aufgestellten Grundsatz festzuhalten ist, dass dem Beamten der eindeutig überwiegende Teil des aus der eigentlichen Nebentätigkeit, seinen eigenen ärztlichen Leistungen, gewonnenen Nutzens verbleiben muss (vgl. Urteile vom 31. Januar 1974, a.a.O. S. 13; vom 26. Januar 1978, a.a.O. S. 4 und vom 12. März 1987 – BVerwG 2 C 10.83 – Buchholz 237.0 § 87 BaWüLBG Nr. 1 S. 4 ff.).
In Hinblick auf den „Mindestbehalt” der liquidationsberechtigten Ärzte ist es unerheblich, dass diese aus Anlass ihrer Nebentätigkeit weitere Kosten haben – z.B. wegen der Mitarbeitervergütung, wegen Auslagen für Versicherungen usw. Derartige Aufwendungen lassen den Vorteil unberührt, der dem Beamten aus der Inanspruchnahme von Einrichtungen, Personal und Material des Dienstherrn erwächst (vgl. Urteil vom 2. September 1990, a.a.O. S. 290).
Die Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 2 HNutzVO-Med, wonach § 3 Abs. 2 rückwirkend zum 1. Januar 1993 in Kraft tritt, ist mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar und deshalb ungültig.
Die Anordnung der im April 1995 erlassenen und veröffentlichten Rechtsverordnung, wonach die stärker belastenden Regelungen über das abzuführende Nutzungsentgelt auch für die Jahre 1993 und 1994 gelten, begründet eine echte Rückwirkung. § 7 Abs. 1 Satz 2 HNutzVO-Med greift ändernd in die abgewickelten, der Vergangenheit angehörenden Tatbestände der Entstehung der Pflicht zur Zahlung des Nutzungsentgelts ein. Das Nutzungsentgelt war nach Maßgabe der Hochschulnutzungsentgeltverordnung Medizin vom 26. Januar 1990 (Nds. GVBl S. 40) für die Verrechnungszeiträume 1993 und 1994 entstanden. § 7 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 3 Abs. 2 HNutzVO-Med ändert rückwirkend diese bereits eingetretene Rechtsfolge des in der Vergangenheit liegenden tatbestandlichen Handelns.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind belastende Gesetze, die in der Vergangenheit liegende abgeschlossene Tatbestände erfassen, grundsätzlich unvereinbar mit dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GG), zu dessen wesentlichen Elementen die Rechtssicherheit gehört (BVerfGE 18, 429 ≪439≫; 23, 12 ≪32≫; 30, 367 ≪385≫; 45, 142 ≪167≫). Diese gebietet, dass der rechtsunterworfene Bürger nicht durch die rückwirkende Beseitigung erworbener Rechte über die Verlässlichkeit der Rechtsordnung getäuscht wird. Der Bürger soll die ihm gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen können, sich dementsprechend einrichten und darauf verlassen dürfen, dass der Gesetzgeber an abgeschlossene Tatbestände nicht ungünstigere Folgen knüpft, als im Zeitpunkt der Verwirklichung dieser Tatbestände anhand der geltenden Rechtsordnung voraussehbar war (BVerfGE 45, 142 ≪167/168≫; 72, 200 ≪257 f.≫). Insbesondere Abgabengesetze dürfen grundsätzlich nur solche Tatbestände erfassen, die erst nach ihrer Verkündung eintreten oder sich vollenden (BVerfGE 30, 392 ≪401≫). Diese Grundsätze gelten bei Verordnungen nicht anders als bei Gesetzen (BVerfGE 45, 142 ≪168, 174≫).
Ausnahmen von dem Verbot echter Rückwirkung insbesondere von Gesetzen, die Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Staat auferlegen, sind eng begrenzt. Sie sind nur dann zulässig, wenn nach der Situation in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen wird, mit einer solchen Änderung zu rechnen war (BVerfGE 13, 261 ≪272≫; 30, 367 ≪387≫; 48, 1 ≪20≫; 72, 200 ≪260≫; BVerwG, Urteil vom 1. März 1996 – BVerwG 8 C 26.94 – Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 101 S. 70). Allein eine „politische” Absichtserklärung, die bestehende Rechtslage auch mit Wirkung für die Vergangenheit zu ändern, rechtfertigt eine echte (retroaktive) Rückwirkung nicht.
Das Vertrauen der von der rückwirkenden Erhöhung des Nutzungsentgelts betroffenen Ärzte in den Fortbestand der bisherigen verordnungsrechtlichen Regelung ist nicht durch den Runderlass des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur vom 18. Dezember 1992 und die nachfolgenden Informationsschreiben beseitigt worden, dass es – nach wie vor – beabsichtigt sei, die Hochschulnutzungsentgeltverordnung rückwirkend zum 1. Januar 1993 zu ändern. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird bei der rückwirkenden Änderung eines Gesetzes im formellen Sinne das schutzwürdige Vertrauen in den Fortbestand des Gesetzes erst mit dem endgültigen Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages beseitigt (BVerfGE 30, 272 ≪287≫; 72, 200 ≪261≫). Stellt man auf diesen Zeitpunkt ab, wird der verhältnismäßig beste Ausgleich erzielt zwischen dem Interesse des Rechtsunterworfenen, dass ihm eine Neuregelung erst entgegen gehalten werden kann, wenn sie endgültig verbindlich geworden ist, und dem Interesse des Staates, dass eine vom Gesetz– oder Verordnungsgeber für notwendig erachtete Neuregelung alsbald greift (BVerfGE 72, 200 ≪261≫). Dem Tag des endgültigen Gesetzesbeschlusses durch den Bundestag beim Erlass eines Gesetzes im formellen Sinne entspricht bei einer Verordnung der Tag, an dem sie von der Regierung beschlossen wird (BFH, Urteil vom 26. August 1986 – IX R 54/81 – BFHE 148, 17 ≪21≫).
Die Hochschulnutzungsentgeltverordnung Medizin ist von der Niedersächsischen Landesregierung am 19. April 1995 erlassen worden. Erst mit der Beschlussfassung durch sie entfiel der Vertrauensschutz. Die Ankündigung des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur vom 18. Dezember 1992, dass die Hochschulnutzungsentgeltverordnung Medizin zum 1. Januar 1993 geändert werde, und die nachfolgenden weiteren Informationsschreiben des Ministeriums, dass an der Absicht zu der Änderung der Verordnung mit Wirkung vom 1. Januar 1993 festgehalten werde, vermochten das Vertrauen in die geltende Rechtslage nicht zu beseitigen. Diese Schreiben sind dazu ebenso wenig in der Lage wie bei formellen Gesetzen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 30, 272 ≪287≫; 72, 200 ≪261≫) das Bekanntwerden von Gesetzesinitiativen und die öffentliche Berichterstattung über die Vorbereitung einer Neuregelung durch die gesetzgebenden Körperschaften.
Andere Gründe sind nicht ersichtlich, um eine Ausnahme von dem Verbot der echten Rückwirkung zu rechtfertigen. Insbesondere war die in den Jahren 1993 und 1994 noch geltende Hochschulnutzungsentgeltverordnung Medizin vom 26. Januar 1990 weder vorläufig noch ungültig, unklar oder durch die Änderungen des Bundespflegesatzrechts in einer Weise berührt, dass eine Anpassung der landesbeamtenrechtlichen Vorschriften über das Nutzungsentgelt erforderlich wurde.
Indem die Hochschulnutzungsentgeltverordnung Medizin sich Geltung für das Jahr 1995 beilegt, wirkt sie unecht zurück. Da die Pflicht zur Zahlung eines Nutzungsentgelts erst am Ende eines jeweiligen Kalenderjahres entsteht, wirkt die am 1. Mai 1995 in Kraft getretene Bestimmung des § 3 Abs. 2 HNutzVO auf den noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt der Forderungsentstehung für die Zukunft und unterwirft ihn einer geänderten Rechtslage. Eine unechte Rückwirkung ist verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig (vgl. BVerfGE 30, 392 ≪402≫; 69, 272 ≪309≫; 95, 64 ≪86≫; stRspr). Verfassungsrechtliche Grenzen ergeben sich zwar auch hier aus dem Schutz des Vertrauens, das nicht enttäuscht werden darf. Unechte Rückwirkung ist unzulässig, wenn das Gesetz einen entwertenden Eingriff vornimmt, mit dem der Bürger nicht zu rechnen brauchte und den er deshalb bei seinen Dispositionen nicht berücksichtigen konnte (vgl. BVerfGE 18, 135 ≪144≫; 51, 356 ≪362 f.≫; 69, 272 ≪309≫). Für die Frage, ob er mit einer Änderung der Rechtslage rechnen musste, kommt es aber nicht auf seine subjektiven Vorstellungen und seine individuelle Situation an, sondern darauf, ob die bisherige Regelung bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen auf ihren Fortbestand zu begründen (BVerfGE 76, 256 ≪350≫; BVerwG, Urteil vom 30. Januar 1997 – BVerwG 2 C 36.95 – DVBl 1997, 1003). Die Regelung des Nutzungsentgelts in der Hochschulnutzungsentgeltverordnung vom 26. Januar 1990 war von vornherein nicht geeignet, über ihre aktuelle Geltung hinaus Vertrauen in ihren Fortbestand in der Zukunft zu begründen.
Einer Übergangsregelung bedurfte es nicht. Die Erhöhung des Nutzungsentgelts für die Zeit seit dem Jahre 1995 war weder ein Eingriff in schutzwürdiges Vertrauen noch ein Eingriff in die Freiheit der Berufswahl, die zur Abmilderung eine Übergangsregelung hätte erforderlich machen können (vgl. BVerfGE 76, 256 ≪359≫; 21, 173 ≪183≫; 53, 336 ≪351≫; BVerwG, Beschluss vom 22. März 1994 – BVerwG 8 NB 3.93 – NVwZ 1994, S. 902). Er betraf lediglich die Berufsausübung. Die bloße Erwartung eines Rechtsunterworfenen, eine seine Berufsausübung berührende Gesetzeslage bestehe künftig fort oder werde nur stufenweise geändert, macht keine Übergangsregelung notwendig (Beschluss vom 22. März 1994 – BVerwG 8 NB 3.93 – a.a.O. S. 903).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Dr. Silberkuhl, Dawin, Dr. Kugele, Groepper, Dr. Bayer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 22.03.2001 durch Schütz Justizsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
ZBR 2002, 46 |
ZTR 2001, 484 |
DÖV 2001, 876 |
WissR 2002, 97 |
DVBl. 2001, 1215 |