Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. Aufenthaltsbefugnis. Abschiebungsverbot. freiwillige Ausreise in den Heimatstaat. freiwillige Ausreise in einen Drittstaat. Soll-Vorschrift. atypischer Fall. Widerruf des Abschiebungsverbots als atypischer Fall. gesetzlicher Ausschlussgrund
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Entscheidung über die Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG sind die Ausländerbehörden und die Gerichte an die unanfechtbare Feststellung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge über das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) gebunden.
2. Seit dem 1. Januar 2005 ist einem Ausländer nach § 25 Abs. 3 AufenthG regelmäßig eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festgestellt und die Ausländerbehörde ihm Duldungen erteilt hat. Nur in atypischen Fällen entscheidet die Ausländerbehörde ausnahmsweise nach Ermessen.
3. Ein atypischer Ausnahmefall in diesem Sinne liegt vor, wenn das Bundesamt ein Verfahren auf Widerruf der Feststellung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG eingeleitet hat.
Normenkette
AufenthG § 25 Abs. 3, § 26 Abs. 2, 4, § 60 Abs. 7; AuslG § 30 Abs. 3, § 53 Abs. 6, § 55 Abs. 2; AsylVfG § 42
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2004; Aktenzeichen 11 S 770/04) |
VG Karlsruhe (Urteil vom 17.10.2003; Aktenzeichen 8 K 3309/02) |
Tenor
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit hinsichtlich der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis bis zum 31. Dezember 2004 in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Insoweit sind das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17. Oktober 2003 und das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 21. Juni 2004 unwirksam.
Im Übrigen wird das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Der Kläger und die Beklagte tragen jeweils ein Achtel der Kosten des Revisionsverfahrens. Von den Kosten des bisherigen Verfahrens in erster und zweiter Instanz tragen der Kläger drei Zehntel und die Beklagte ein Zehntel. Im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der Kläger begehrte ursprünglich die Verpflichtung der Beklagten, ihm eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen. Nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am 1. Januar 2005 richtet sich die Klage nunmehr auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen.
Der 1958 geborene Kläger, ein Staatsangehöriger von Serbien-Montenegro albanischer Volkszugehörigkeit, kam 1992 aus dem Kosovo nach Deutschland und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge – jetzt Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – (Bundesamt) lehnte den Asylantrag ab. Der Bescheid ist seit Mai 1998 bestandskräftig. Nach Abschluss des Asylverfahrens sind dem Kläger fortlaufend Duldungsbescheinigungen ausgestellt worden.
Von 1994 bis 2001 arbeitete der Kläger bei einem Stuckbetrieb und schied dort krankheitsbedingt aus. Seit Anfang 2002 hat er eine neue Beschäftigung in der Gastronomie. Seine Ehefrau und die drei gemeinsamen Kinder leben seit 1998 beim Kläger und sind ebenfalls im Besitz von Duldungen.
Im Mai 2000 stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag. Im Laufe des Verfahrens verpflichtete das Verwaltungsgericht das Bundesamt rechtskräftig zu der Feststellung, dass beim Kläger die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorliegen. Der Kläger leide unter einer larvierten Depression, die sich insbesondere in einer somatoformen Störung mit erheblichen Wirbelsäulenbeschwerden äußere. Bei einer Rückkehr in den Kosovo erscheine die erforderliche regelmäßige psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung der Erkrankung nicht gewährleistet. Mit Bescheid vom 7. März 2001 stellte das Bundesamt daraufhin fest, dass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG beim Kläger vorliegen.
Im Januar 2002 beantragte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Beklagten, ihm eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen. Auf deren Anfrage beim Auswärtigen Amt, ob die Erkrankung des Klägers im Kosovo inzwischen behandelt werden könne, teilte das Deutsche Verbindungsbüro Kosovo mit, dass Somatisierungsstörungen, depressive Verstimmungszustände und LWS-Beschwerden medizinisch behandelbar und die vom Kläger eingenommenen Medikamente erhältlich seien. Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 4. April 2002 ab. Der Widerspruch des Klägers blieb ebenso ohne Erfolg wie seine Klage beim Verwaltungsgericht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 21. Juni 2004 die Entscheidung des Verwaltungsgerichts geändert und die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis erneut zu entscheiden. Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung hinsichtlich des weitergehenden Antrags auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger erfülle die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 30 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 AuslG für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis. Der Kläger könne aus rechtlichen Gründen nicht darauf verwiesen werden, freiwillig in den Kosovo auszureisen. Das Bundesamt habe zwar ein Widerrufsverfahren in Bezug auf die Feststellung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG eingeleitet. Auf das Anhörungsschreiben des Bundesamtes vom 3. September 2003 habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers eine Stellungnahme abgegeben; seither sei „nichts mehr geschehen”. Solange die Feststellung des Bundesamtes über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG wirksam sei, sei die Ausländerbehörde aber hieran gebunden und könne nicht von sich aus die Verhältnisse im Abschiebezielstaat überprüfen. Die Beklagte müsse daher das ihr in § 30 Abs. 3 AuslG eingeräumte Ermessen ausüben und dabei auch erwägen, ab welchem Zeitpunkt sie die Aufenthaltsbefugnis rückwirkend erteilt.
Die Beklagte macht mit ihrer Revision geltend, die Klage könne auch nach neuem Aufenthaltsrecht keinen Erfolg haben.
In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten den Rechtsstreit hinsichtlich der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis bis zum 31. Dezember 2004 in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
1. Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren einzustellen und sind die Entscheidungen der Vorinstanzen für unwirksam zu erklären (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 92 Abs. 3 VwGO in entsprechender Anwendung). Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch der Antrag des Klägers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen ab Januar 2005. Da lediglich die Beklagte, nicht aber der Kläger Revision eingelegt hat, ist die teilweise Zurückweisung der Berufung hinsichtlich des Verpflichtungsausspruches rechtskräftig geworden und das Revisionsverfahren deshalb auf das Begehren des Klägers auf Neubescheidung für die Zeit ab Januar 2005 begrenzt.
2. Soweit die Klage danach noch anhängig ist, ist die Revision der Beklagten begründet. Das Berufungsurteil lässt sich nach der seit 1. Januar 2005 geltenden neuen Rechtslage schon deshalb nicht aufrechterhalten, weil die vom Kläger ursprünglich begehrte Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG als Aufenthaltstitel in dem ab 1. Januar 2005 als Teil des Zuwanderungsgesetzes (Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom 30. Juli 2004, BGBl I S. 1950) geltenden neuen Aufenthaltsgesetz – AufenthG – nicht mehr vorgesehen ist. An ihre Stelle ist jetzt – mit veränderten tatbestandlichen Anforderungen – die Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 AufenthG getreten. Da das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, die Rechtsänderung mangels besonderer Übergangsregelungen zu beachten hätte, ist die neue Rechtslage auch für die Entscheidung des Revisionsgerichts maßgeblich (stRspr; vgl. zuletzt etwa Urteile des Senats vom 8. Februar 2005 – BVerwG 1 C 29.03 – Buchholz 402.242 § 60 AufenthG Nr. 1 ≪zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE bestimmt≫ und vom 12. April 2005 – BVerwG 1 C 3.04 – NVwZ 2005, 1328 m.w.N.). Für eine abschließende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts dazu, ob der Kläger nunmehr Anspruch auf eine Neubescheidung über die Erteilung einer solchen humanitären Aufenthaltserlaubnis (hier: nach § 25 Abs. 3 AufenthG) hat, fehlt es an ausreichenden Tatsachenfeststellungen. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
3. Nach § 25 Abs. 3 AufenthG soll einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegen (§ 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Die Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist, der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt oder schwerwiegende Gründe, die im Gesetz im Einzelnen aufgeführt werden, gegeben sind (§ 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG müssen nicht vorliegen (vgl. § 5 Abs. 3 AufenthG).
a) Im Falle des Klägers sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gegeben. Denn die Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung (hier) nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegen vor. Das Bundesamt hat nämlich mit Bescheid vom 7. März 2001 bestandskräftig festgestellt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorliegen, dass also für den Kläger in seinem Heimatstaat eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Da § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG mit § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wörtlich übereinstimmt, bestehen keine Bedenken dagegen, § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG grundsätzlich auch auf alle diejenigen Ausländer wie den Kläger anzuwenden, bei denen die (inhaltsgleichen) tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 53 Abs. 6 Satz 1 des außer Kraft getretenen Ausländergesetzes festgestellt sind. Dabei kann offen bleiben, ob § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nur die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (bzw. in Altfällen nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG) verlangt oder – wie bei den stets zwingenden Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG – die Feststellung eines vollständigen, eine Abschiebung rechtlich ausschließenden Verbots nach dieser Bestimmung voraussetzt, d.h. zusätzlich eine für den Ausländer positive Ermessensentscheidung gegen eine Abschiebung verlangt, die auch bei Asylbewerbern der Ausländerbehörde vorbehalten ist. In diesem Zusammenhang kann hier ferner außer Betracht bleiben, dass der Gesetzgeber die Ermessensermächtigung in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausdrücklich beschränkt hat „soll” statt „kann” in § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG). Denn für den Kläger des vorliegenden Verfahrens ist auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts nicht zweifelhaft, dass er seit Jahren Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG in vollem Umfang erhält, weil ihm die Ausländerbehörde fortlaufend Duldungsbescheinigungen ausgestellt hat.
Der Umstand, dass das Bundesamt inzwischen ein Widerrufsverfahren bezüglich des von ihm förmlich festgestellten Abschiebungsverbots eingeleitet hat, ändert hieran nichts. Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend erklärt, dass in dem Widerrufsverfahren auch nach der Entscheidung des Berufungsgerichts nichts weiter geschehen sei. Solange das förmlich festgestellte Abschiebungsverbot nicht unanfechtbar oder vollziehbar widerrufen ist, ist die Ausländerbehörde an die Entscheidung des Bundesamtes über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG gebunden (§ 42 Satz 1 AsylVfG; vgl. dazu Urteil des früher mit Asylsachen befassten 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. März 2000 – BVerwG 9 C 41.99 – BVerwGE 111, 77 ≪81 f.≫).
b) Liegen die tatbestandlichen Erteilungsvoraussetzungen des § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG vor, soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, sofern keiner der Ausschlussgründe des § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eingreift (dazu unten). Mit der Ausgestaltung als Soll-Vorschrift wird die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen erleichtert. Während die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 2, 3 und 4 AuslG im Ermessen der Ausländerbehörde lag, bedeutet die jetzige Regelung, dass die Aufenthaltserlaubnis in der Regel erteilt werden muss und nur bei Vorliegen von atypischen Umständen nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist (stRspr; vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 10. September 1992 – BVerwG 5 C 80.88 – Buchholz 436.61 § 18 SchwbG Nr. 6 m.w.N.). Mit dieser geänderten Fassung soll die aufenthaltsrechtliche Stellung der früher durch § 53 AuslG und jetzt durch § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG geschützten Ausländer verbessert und die bislang verbreitete Praxis, die Duldung – häufig in Form von sog. Kettenduldungen – als „zweitklassigen Aufenthaltstitel” einzusetzen, eingeschränkt werden (BTDrucks 15/420 S. 79). Ob ein atypischer Fall vorliegt, der ausnahmsweise eine Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde erfordert, ist als Rechtsvoraussetzung von den Gerichten zu überprüfen (stRspr; vgl. BVerwG, Urteil vom 10. September 1992 – BVerwG 5 C 80.88 – a.a.O.).
Im Hinblick auf das vom Bundesamt eingeleitete Widerrufsverfahren ist hier von einem atypischen Fall auszugehen. Wann ein derartiger Fall anzunehmen ist, ist nach dem Regelungszweck des § 25 Abs. 3 AufenthG zu bestimmen. Die Vorschrift will gewährleisten, dass Ausländern, die wegen eines vom Bundesamt förmlich festgestellten Abschiebungsverbots auf absehbare Zeit nicht abgeschoben werden oder in einen anderen Staat ausreisen können, zur Vermeidung von Kettenduldungen regelmäßig eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, durch die ihr Aufenthalt legalisiert und ihnen die Möglichkeit eingeräumt wird, bei fortdauernder Schutzbedürftigkeit eine dauerhafte Aufenthaltsposition in Form einer Niederlassungserlaubnis zu erlangen (vgl. etwa § 26 Abs. 4 AufenthG). Treten dagegen Umstände ein, die Anlass für eine Beendigung des Aufenthalts geben können, entspricht es gerade nicht dem Zweck des Gesetzes, den Aufenthalt des Ausländers durch die Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels zu verfestigen (vgl. § 26 Abs. 2 AufenthG). Eine Beendigung des Aufenthalts kommt in Betracht, wenn das Bundesamt wegen einer Änderung der Verhältnisse im Abschiebezielstaat ein Verfahren auf Widerruf der Feststellung eines Abschiebungsverbots eingeleitet hat (vgl. § 26 Abs. 3 AufenthG). Bei einer solchen Sachlage ist daher ein atypischer Fall im Sinne des § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG anzunehmen. Dies bedeutet nicht, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ausscheidet. Vielmehr hat die Ausländerbehörde unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles über die Erteilung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.
c) Die beantragte Aufenthaltserlaubnis ist jedoch zwingend zu versagen, wenn ein in § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführter Ausschlussgrund vorliegt. Dann ist auch eine Ermessensentscheidung nicht eröffnet. Bisher konnte das Berufungsgericht nicht prüfen, ob ein gesetzlicher Ausschlussgrund nach neuem Recht eingreift. Wenngleich hierauf nichts hindeutet, kann der Senat nicht von sich aus – ohne entsprechende Feststellungen des Tatsachengerichts – das Vorliegen der Ausschlussgründe verneinen. So wird das Berufungsgericht zunächst zu klären haben, ob dem Kläger die (freiwillige) Ausreise „in einen anderen Staat” möglich und zumutbar ist. Mit dieser Formulierung hat der Gesetzgeber klargestellt, dass es auf die Frage einer Ausreise in den Staat – typischerweise den Heimatstaat des Ausländers –, für den das Bundesamt ein Abschiebungsverbot festgestellt hat, nicht mehr ankommt (vgl. BTDrucks 15/420 S. 79). Nach neuem Recht ist die Frage einer freiwilligen Ausreise nur noch insofern von Bedeutung, als es um einen Drittstaat geht. Damit stellt sich die Streitfrage, die nach altem Recht zu klären war und die in dem bisherigen Verfahren des Klägers im Vordergrund stand, nach § 25 Abs. 3 AufenthG nicht mehr.
Das Berufungsgericht wird festzustellen haben, ob der Kläger gegen Mitwirkungspflichten im Sinne des § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG verstoßen hat oder sonst schwerwiegende, in der Vorschrift genannte Gründe der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen entgegenstehen.
d) Ergibt das neue Berufungsverfahren, dass ein gesetzlicher Ausschlussgrund nicht vorliegt, und ist das Verfahren über den Widerruf des Abschiebungsverbots weiterhin anhängig, hat die Beklagte nach den vorstehenden Ausführungen über die Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AuslG nach ihrem Ermessen zu entscheiden. Sie wäre dann wiederum zu einer entsprechenden Bescheidung zu verpflichten. Für diesen Fall weist der Senat ergänzend darauf hin, dass sich die Beklagte unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles maßgeblich von dem Zweck der Ermessensermächtigung leiten lassen muss, einerseits die Erteilung von Kettenduldungen zu vermeiden und andererseits den Aufenthalt des Ausländers nicht unangemessen zu verfestigen. Gibt es, wie hier, durch das vom Bundesamt eingeleitete Widerrufsverfahren Hinweise auf einen möglichen Wegfall des Abschiebungsschutzes, hat die Ausländerbehörde unter Würdigung des Widerrufsgrundes eine Prognose darüber zu treffen, ob und wann ein Widerruf des Abschiebungsverbots zu erwarten ist. Hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer des Verfahrens kann sie auch das Bundesamt beteiligen. Je länger das Widerrufsverfahren bereits andauert bzw. je weniger absehbar eine Beendigung des Aufenthalts erscheint, desto näher liegt es, das Ermessen dahin gehend auszuüben, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Eine derartige Aufenthaltserlaubnis darf nach § 26 Abs. 1 AufenthG (zunächst) für längstens drei Jahre erteilt werden. Sie kann mithin auch für einen je nach Sachlage angemessenen kürzeren Zeitraum erteilt werden (vgl. auch § 7 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Sie kann ferner mit Auflagen und Bedingungen verbunden (§ 12 Abs. 2 AufenthG; vgl. auch BTDrucks 15/420 S. 79) und ggf. nachträglich zeitlich verkürzt werden (§ 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Umgekehrt kommt die Entscheidung, die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG abzulehnen, umso eher in Betracht, je konkreter die Beendigung des Aufenthalts abzusehen ist.
Die Kostenentscheidung beruht, soweit sie den übereinstimmend für erledigt erklärten Teil des Verfahrens betrifft, auf § 161 Abs. 2 VwGO. Im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung der Schlussentscheidung vorbehalten.
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Hund, Richter Beck, Prof. Dr. Dörig
Fundstellen
Haufe-Index 1491956 |
BVerwGE 2006, 326 |
BVerwGE |
DÖV 2006, 571 |
InfAuslR 2006, 272 |
ZAR 2006, 139 |
AuAS 2006, 122 |
BayVBl. 2006, 475 |
DVBl. 2006, 517 |
GV/RP 2006, 744 |
KomVerw 2006, 265 |
NordÖR 2006, 21 |
NordÖR 2006, 65 |
FuBW 2006, 672 |
Polizei 2006, 69 |