Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwangsverkauf. gesetzliche Vermutung. Gegenbeweis. Abschluss des Rechtsgeschäfts auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus. Wahrnehmung der Vermögensinteressen des Veräußerers. Antragsrücknahme. Übergang des Anspruchs auf die Bundesrepublik
Leitsatz (amtlich)
Es kann als Wahrnehmung der Vermögensinteressen des Veräußerers in besonderer Weise und mit erheblichem Erfolg im Sinne des Art. 3 Abs. 3 REAO anzusehen sein, wenn der Erwerber eines Grundstücks im Jahre 1936 dem jüdischen Verkäufer in Kenntnis von dessen Auswanderungsabsicht statt der vereinbarten Barzahlung des Kaufpreises besonders wertbeständige Wertpapiere (hier: Goldmarkpfandbriefe) überließ.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 6; REAO Art. 3 Abs. 3; US-Pauschalentschädigungsabkommen Art. 3 Abs. 9 S. 2
Verfahrensgang
VG Weimar (Entscheidung vom 20.09.2000; Aktenzeichen 6 K 1427/97.We) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 20. September 2000 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Kläger begehren die Feststellung ihrer Berechtigung gemäß § 2 Abs. 1 VermG und § 16 InVorG hinsichtlich des (früheren) 2 452 m² großen, mit einer Villa bebauten Grundstücks R.-Straße 14 in E. (früher: Grundbuch von E., Blatt 4179, Flur 105, Flurstück 1/2) sowie die Restitution einer Teilfläche.
Dieses Grundstück war Teil eines zuvor 2 962 m² großen Grundstücks (Flur 105, Flurstück 1), als dessen Eigentümer nach dem Kaufmann Alfred H. seit dem 6. Mai 1933 sein Sohn, der jüdische Fabrikant Georg H., im Grundbuch eingetragen war. Mit notariellem Kaufvertrag vom 31. Oktober 1936 wurde das Grundstück durch einen Bevollmächtigten des Eigentümers an den Vater der Kläger, Prof. Dr. Alexander H., veräußert. Der Kaufpreis betrug 61 000 RM und sollte in bar zu zahlen sein. Im März 1937 wurde Prof. H. als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Außerdem wurde am 19. April 1937 für Frau Sophie H., die Schwiegermutter von Prof. H., eine ab dem 1. Oktober 1936 verzinsliche Hypothek in Höhe von 55 000 GM eingetragen.
1943 wurde dieses Grundstück in das streitgegenständliche Flurstück 1/2 und das 510 m² große Flurstück 1/1 geteilt, wobei Letzteres durch Prof. H. veräußert und einem Nachbargrundstück zugeschlagen wurde.
Nach Kriegsende wurde das streitgegenständliche Grundstück aufgrund des Thüringer Wiedergutmachungsgesetzes vom 14. September 1945 beschlagnahmt. Die Töchter des auf den 30. April 1943 für tot erklärten Georg H. verzichteten jedoch auf ihre Ansprüche; nach Aufhebung des Wiedergutmachungsgesetzes wurde auch die Beschlagnahme im August 1952 aufgehoben. Da Prof. H. seinen Wohnsitz im Bundesgebiet hatte, wurde das Grundstück 1953 zunächst unter staatliche Verwaltung gestellt und schließlich am 28. Juli 1980 auf Antrag des Verwalters nach dem Aufbaugesetz in Anspruch genommen.
Prof. H. verstarb 1981. Alleinerbin war seine Ehefrau, die wiederum im Jahr 1986 von den Klägern beerbt wurde. Im Jahr 1990 beantragten die Kläger als Rechtsnachfolger von Prof. H. die Rückübertragung des Grundstücks R.-Straße 14 (Flurstück 1/2). Entsprechende Restitutionsanträge wurden auch durch die US-amerikanischen Staatsbürger Lieselotte H. und Richard K. als Rechtsnachfolger von Georg H. gestellt, jedoch mit Schreiben vom 11. Januar 1993/13. September 1994 zurückgenommen, weil sich die Rechtsnachfolger von Georg H. entsprechend dem US-Pauschalentschädigungsabkommen dafür entschieden hatten, ihre Ansprüche nach amerikanischem Recht geltend zu machen.
Im Jahr 1992 wurde das streitgegenständliche Grundstück im Hinblick auf eine geplante Veräußerung eines Teilstücks zu investiven Zwecken in das Flurstück 1/3 (1 246 m²) und das Flurstück 1/4 (1 206 m²) geteilt. Das Flurstück 1/3 wurde zum neuen Grundstück A.-Straße, als dessen Eigentümerin im Grundbuch von E.-Süd, Blatt 3300 die Beigeladene zu 2 eingetragen wurde. Das Flurstück 1/4 wurde auf der Grundlage eines bestandskräftigen Investitionsvorrangbescheides durch Kaufvertrag vom 5. August 1993 für einen Kaufpreis von 630 000 DM veräußert; der Erwerber ist seit dem 7. September 1994 als Eigentümer des (neuen) Grundstücks R.-Straße 14 im Grundbuch von E.-Süd, Blatt 3966 eingetragen.
Mit Bescheid vom 7. Februar 1995 lehnte das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen der Stadt E. den Antrag der Kläger ab. Der Verkauf im Jahr 1936 sei ein Zwangsverkauf im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG gewesen. Die entsprechende gesetzliche Vermutung habe nicht widerlegt werden können. Damit seien die Erben nach Georg H. Berechtigte nach dem Vermögensgesetz. Diese seien jedoch nach dem US-Pauschalentschädigungsabkommen entschädigt worden, so dass die Berechtigung nunmehr der Bundesrepublik Deutschland zustehe.
Zur Begründung ihres dagegen erhobenen Widerspruchs haben die Kläger geltend gemacht, an die Widerlegbarkeit der Entziehungsvermutung dürften keine zu hohen Ansprüche gestellt werden. Vorliegend sei der Gegenbeweis erbracht. Der Beklagte sehe den Kaufpreis offensichtlich als angemessen an und gehe auch von dessen freier Verfügbarkeit auf Seiten des Verkäufers aus. Es sei aber auch bewiesen, dass der Kauf seinem wesentlichen Inhalt nach auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus geschlossen worden wäre. Der Verkäufer habe nicht in E., sondern in Berlin gewohnt und offensichtlich auch kein Interesse an dem streitbefangenen Grundstück gehabt. Belegt werde dies dadurch, dass er das Grundstück ausweislich des Kaufvertrages von dem amtierenden Notar habe verwalten lassen und dieser zuvor schon mit Verhandlungen über die Herbeiführung des Verkaufs beauftragt gewesen sei. Die Initiative zum Kaufvertrag sei dementsprechend auch nicht von Prof. H. ausgegangen. Im Übrigen habe sich Prof. H. damals auch in besonderer Weise für die Vermögensinteressen des Verkäufers eingesetzt, indem er ihm nahezu den gesamten Kaufpreis in „Westfälischen Goldpfandbriefen” bezahlt habe. Damit habe er den Verkäufer unter hohem Risiko „pekuniär” unterstützt und eine Transferierung des Vermögens ins Ausland erleichtert.
Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juni 1997 wies das Thüringer Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen u.a. den Antrag der Kläger gegen die Ablehnung der Rückübertragung des streitbefangenen Grundstücks und gegen die Feststellung der Entschädigungsberechtigung der Bundesrepublik Deutschland zurück, stellte fest, dass die Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Flurstücke 1/3 und 1/4 Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 VermG sei, und übertrug das Eigentum am Flurstück 1/3 auf die Bundesrepublik Deutschland. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Anhaltspunkte dafür, dass Prof. H. sich mit wesentlichem Erfolg für die Vermögensinteressen des Verkäufers eingesetzt habe, gebe es nicht. Durch den Hinweis auf einen anderen Wohnort des Verkäufers und die Verwaltung des Grundstücks durch eine Privatperson sowie gute Beziehungen zu jüdischen Glaubensangehörigen zur damaligen Zeit werde auch nicht belegt, dass der Kauf seinem wesentlichen Inhalt nach auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden wäre. Auf die Frage nach der Angemessenheit des Kaufpreises und der freien Verfügungsbefugnis des Verkäufers hierüber komme es deshalb nicht mehr an.
Zur Begründung ihrer am 11. Juli 1997 erhobenen Klage haben die Kläger im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. September 2000 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es könne offen bleiben, ob die Inanspruchnahme des Grundstücks im Jahre 1980 einen Schädigungstatbestand erfülle, denn das Grundstück sei bereits 1936 von einer Schädigungsmaßnahme im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG betroffen gewesen, so dass eine vorrangige Berechtigung gemäß § 3 Abs. 2 VermG vorliege. Die Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlustes sei hier nicht widerlegt worden. Zwar gehe das Gericht davon aus, dass der Kaufpreis angemessen gewesen sei, was bei Überschreitung des Einheitswertes um mehr als 20 % regelmäßig der Fall sei. Auch sei davon auszugehen, dass der Kaufpreis in die freie Verfügungsbefugnis von Georg H. gelangt sei, denn die Kläger hätten unwidersprochen vorgetragen, dass diese Zahlung durch Übergabe von 6 000 RM in bar und 55 000 RM in konvertiblen Pfandbriefen erfolgt sei. Jedoch könnten die Kläger nicht beweisen, dass auch eine der Voraussetzungen nach Art. 3 Abs. 3 REAO vorgelegen habe. Die judenfreundliche Grundeinstellung von Prof. H. sei insoweit ohne Bedeutung. Auch die Tatsache, dass Georg H. nicht in E. gewohnt und einen Bevollmächtigten schon zuvor mit dem Verkauf beauftragt habe, entkräfte nicht dessen Zwangssituation. Vielmehr spreche schon die Vereinbarung einer Barzahlung in derartiger Höhe dafür, dass es Georg H. darauf angekommen sei, das Geld für seine Flucht aus Deutschland zur Verfügung zu haben. Auch die alternative Voraussetzung einer Wahrnehmung von Vermögensinteressen des Veräußerers in besonderer Weise und mit wesentlichem Erfolg sei nicht belegt. Ob Prof. H. sich mit der behaupteten Hingabe von Pfandbriefen strafbar gemacht habe, bedürfe keiner Klärung, da dies in der dargelegten Gesamtschau der Kaufumstände nach Überzeugung der Kammer keine erhebliche Rolle gespielt habe.
Zur Begründung der vom Senat zugelassenen Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragen,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 20. September 2000 sowie den Bescheid des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 7. Februar 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Thüringer Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 6. Juni 1997 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, das Eigentum an dem Grundstück A.-Straße (Grundbuch von E.-Süd, Blatt 3300, Gemarkung E.-Süd, Flur 105, Flurstück 1/3) an die Kläger in ungeteilter Erbengemeinschaft zurückzuübertragen sowie festzustellen, dass die Kläger hinsichtlich des Grundstücks R.-Straße 14 in E. (Gemarkung E.-Süd, Flur 105, Flurstück 1/4) Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 VermG, § 16 Abs. 1 InVorG sind.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Revision der Kläger ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (1.). Da die Feststellungen des Verwaltungsgerichts für eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits nicht ausreichen (2.), muss das Verfahren an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen werden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
1. Die entscheidungstragende Annahme des Verwaltungsgerichts, die Kläger hätten nicht bewiesen, dass ihr Rechtsvorgänger im Zusammenhang mit dem Verkauf des hier streitigen Grundstücks die Vermögensinteressen des Veräußerers im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Buchst. b REAO wahrgenommen habe, wobei es nicht darauf ankomme, ob sich der Käufer durch die Übereignung von Goldmarkpfandbriefen strafbar gemacht habe, verstößt gegen Bundesrecht. Das Verwaltungsgericht verkennt damit die Anforderungen, die an den Tatbestand des Art. 3 Abs. 3 Buchst. b REAO zu stellen sind.
a) Im Ansatz zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Veräußerer zu einem Personenkreis gehörte, den in seiner Gesamtheit die deutsche Regierung oder die NSDAP aus rassischen Gründen vom kulturellen und wirtschaftlichen Leben Deutschlands auszuschließen beabsichtigte (Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO), und dass deswegen die Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlustes nach § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG nur durch den Beweis widerlegt werden kann, dass der Veräußerer einen angemessenen Kaufpreis erhalten hat und dass er über ihn frei verfügen konnte, wobei wegen des Zeitpunkts der Veräußerung nach dem 15. September 1935 hinzu kommen muss, dass das Rechtsgeschäft seinem wesentlichen Inhalt nach auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden wäre oder der Erwerber in besonderer Weise und mit wesentlichem Erfolg den Schutz der Vermögensinteressen des Berechtigten oder seines Rechtsvorgängers wahrgenommen hat, z.B. durch Mitwirkung bei einer Vermögensübertragung ins Ausland (Art. 3 Abs. 2 und 3 REAO – vgl. dazu Urteile des Senats vom 24. Februar 1999 – BVerwG 8 C 15.98 – BVerwGE 108, 301 ≪303 f.≫ = Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 1 S. 1 ≪4≫ und vom 13. September 2000 – BVerwG 8 C 21.99 – Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 8 S. 33 ≪41≫).
b) Die Wahrnehmung von Vermögensinteressen des Veräußerers setzt nach Art. 3 Abs. 3 Buchst. b REAO zunächst ein fremdnütziges Verhalten voraus. Das schließt zwar nicht aus, dass daneben noch eigene Interessen verfolgt wurden, die Fremdnützigkeit muss jedoch wesentliche Bedeutung gehabt haben (vgl. Kammergericht, Urteil vom 21. September 1965 – 18 W 1525/63 – RzW 1966, 18 ≪19≫; ORG Nürnberg, Urteil vom 15. März 1956 – ORG/III/505 – RzW 1956, 228 ≪229≫).
c) Erforderlich ist darüber hinaus die Wahrnehmung der Vermögensinteressen des Veräußerers „in besonderer Weise”. Hierdurch wird klargestellt, dass die Interessenwahrnehmung über das übliche Maß hinausgehen muss. Ausreichend kann deshalb regelmäßig nicht das sein, wozu sich der Erwerber bereits vertraglich verpflichtet hat (Urteil vom 13. September 2000 – BVerwG 8 C 21.99 – a.a.O. unter Hinweis auf Wasmuth, in: Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der ehemaligen DDR – RVI –, Kommentar, Loseblattsammlung Stand April 2001, § 1 VermG Rn. 213 und Neuhaus in: Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, Kommentar zum VermG, Loseblattsammlung Stand Dezember 2000, § 1 VermG Rn. 147). In der insoweit ergänzend heranzuziehenden rückerstattungsrechtlichen Rechtsprechung (vgl. dazu Urteil vom 16. Dezember 1998 – BVerwG 8 C 14.98 – BVerwGE 108, 157 ≪163≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 167 S. 519 ≪524≫) wird ebenfalls eine Hilfe verlangt, die über die Erfüllung der Vertragspflichten hinausgeht (vgl. ORG Herford, Urteil vom 8. Januar 1958 – ORG/II/277 – RzW 1958, 172; Kammergericht, Urteil vom 14. März 1964 – 3 W 2655/62 – RzW 1964, 365 ≪366≫). Nur ausnahmsweise kann auch in der besonderen Ausgestaltung der vertraglichen Bedingungen und ihrer gehörigen Erfüllung eine Wahrnehmung der Vermögensinteressen in besonderer Weise gegeben sein, nämlich dann, wenn durch die besondere Gestaltung der Bedingungen und ihrer Erfüllung die durch die Zwangslage geschaffene Beeinträchtigung der Vermögensinteressen wieder ausgeglichen erscheint (OLG München, Urteil vom 15. Februar 1950 – Wi 134/49 – RzW 1949/50, 176; vgl. auch Kammergericht, Urteil vom 20. Januar 1951 – 3 W 1647/50 – RzW 1951, 223).
d) Weiter müssen die Vermögensinteressen des Veräußerers „mit wesentlichem Erfolg” wahrgenommen worden sein, wobei die Mitwirkung bei der Vermögensübertragung ins Ausland nur ein – wenn auch gewichtiges – gesetzliches Beispiel ist, das aber nicht den ausschließlichen Anwendungsfall bezeichnet. Zu fordern ist nach der Rechtsprechung der Rückerstattungsgerichte ein erheblicher und wesentlicher (Vermögens-)Vorteil (BoR Herford, Urteil vom 19. Februar 1952 – BoR 51/194 – RzW 1952, 145 ≪146≫). Dies ist etwa angenommen worden bei einer Barzahlung ohne jede Beschränkung an einen Ausländer an Stelle der vorgeschriebenen Einzahlung auf ein Sperrkonto, wobei der „Sperr-Reichsmark” ein wesentlich geringerer Wert als Bargeld zukam (Kammergericht, Urteil vom 21. September 1965 – 18 W 1525/63 – RzW 1966, 18 ≪19≫), bei Barzahlung des Kaufpreises unter Einräumung eines einseitigen Rücktrittsrechts, um dem Veräußerer die Lösung von dem Kaufvertrag für den Fall zu ermöglichen, dass die Auswanderung nicht oder nur unter unzumutbaren Bedingungen genehmigt wurde (WK München, Entscheidung vom 21. Juli 1949 – I WKV 117/49 – RzW 1949, 54), bei einer vorzeitigen Auszahlung des Restkaufpreises zur Ermöglichung der Auswanderung (WK Nürnberg, Entscheidung vom 30. September 1949 – III WKV 92/49 – RzW 1949, 56), bei einer Schwarzgeldzahlung, die die Ausreise ermöglichte (WK Berlin, Entscheidung vom 9. April 1951 – ≪41. WGK≫ 1 WGA 1098/50 ≪220/50≫ – RzW 1951, 374 ≪375≫), sowie bei einer Schwarzgeldzahlung, durch die der Zugriff der Genehmigungsbehörde auf diesen Teil des Kaufpreises verhindert wurde (Kammergericht, Urteil vom 20. Januar 1951 – 3 W 1647/50 – RzW 1951, 223 ≪224≫). In allen Fällen ist der beabsichtigte Zustand (Sicherung des Geldes vor dem Zugriff der Behörden, Ermöglichung der Ausreise, Verbringung des Geldes oder der Wertgegenstände ins Ausland) tatsächlich erreicht worden. Eine erfolglose oder gescheiterte Schutzbemühung reichte dagegen nicht (vgl. Dietsche in: Kimme, Offene Vermögensfragen, Kommentar, Loseblattsammlung Stand November 2000, § 1 VermG Rn. 346).
e) Nach diesen Maßstäben war das Vorbringen der Kläger – seine Richtigkeit unterstellt – geeignet, den Entlastungsbeweis zu führen. Die Kläger haben nämlich behauptet, ihr Vater habe in Kenntnis der Auswanderungsabsicht des Veräußerers und auf dessen ausdrückliche Bitte von der vertraglich vereinbarten Barzahlung hinsichtlich des Betrages von 55 000 RM – d.h. nahezu des gesamten Kaufpreises – abgesehen und ihm stattdessen „Westfälische Goldpfandbriefe” überlassen, die damals von Juden nicht hätten erworben werden können und die als nicht namensbezogene Wertpapiere im Ausland einen höheren Verkehrswert gehabt hätten als Bargeld in Form von Reichsmark. Dadurch habe er die Verbringung des Kaufpreises ins Ausland erleichtert und damit den Zugriff des NS-Regimes erschwert. Diesem Vortrag hätte das Verwaltungsgericht nachgehen müssen, weil er geeignet ist, die Wahrnehmung der Vermögensinteressen des Veräußerers in besonderer Weise und mit wesentlichem Erfolg darzutun. Hinzu kommen müsste allerdings, dass die Pfandbriefe tatsächlich ins Ausland verbracht worden sind, weil nur dann der angestrebte Erfolg eingetreten wäre. Maßgeblich für dieses Ergebnis sind folgende Erwägungen:
aa) Goldmarkpfandbriefe waren als börsenfähige Wertpapiere aufgrund des § 9 des Gesetzes über wertbeständige Hypotheken vom 23. Juni 1923 (RGBl I S. 407) ausgegebene Schuldverschreibungen in Goldmark, bei der die bei Hypotheken aus dem Grundstück zu zahlende Summe durch den amtlich festgestellten oder festgesetzten Preis einer bestimmten Menge Feingold bestimmt wurde. Die Verknüpfung dieser Schuldverschreibung mit dem Feingoldpreis wurde erst durch Verordnung vom 16. November 1940 aufgegeben (vgl. dazu Enzyklopädisches Lexikon für das Geld-, Bank- und Börsenwesen, 2. Aufl. 1957, Stichwort: Goldmarkschuldverschreibungen). Die sich aus der Anbindung an den Goldpreis ergebende besondere Wertbeständigkeit des Goldmarkpfandbriefes stellte insbesondere vor dem Hintergrund der erst wenige Jahre zurückliegenden Weltwirtschaftskrise für einen Ausreisewilligen, dem daran gelegen war, sein Vermögen in wertbeständiger Form ins Ausland zu bringen, einen erheblichen Vermögensvorteil dar, und zwar unabhängig davon, ob der Marktwert des Goldmarkpfandbriefes im Ausland bei der Überlassung der Wertpapiere höher war als der von Reichsmark in Form von Banknoten und ob Juden damals derartige Wertpapiere erwerben konnten. Da die Überlassung dieser Wertpapiere Prof. H. keinerlei Vorteile brachte, für Georg H. hingegen nützlich war, bestehen hinsichtlich der Fremdnützigkeit dieses (unterstellten) Handelns keine Bedenken.
bb) Als außergewöhnliche Unterstützung, d.h. als eine solche „in besonderer Weise”, ist die Überlassung der Wertpapiere jedenfalls deshalb anzusehen, weil der Vater der Kläger damit ein erhebliches persönliches Risiko eingegangen ist (vgl. zu diesem Kriterium OLG München, Urteil vom 22. November 1949 – Wi 102/49 – RzW 1949/50, 78; WK Traunstein, Entscheidung vom 14. Juni 1951 – I WKV 427/50 – RzW 1951, 315; WK Berlin, Entscheidung vom 9. April 1951 – ≪41. WGK≫ 1 WGA 1098/50 ≪220/50≫ – RzW 1951, 374 ≪375≫; Kammergericht, Urteile vom 29. Oktober 1956 – 3 W 1012/52 – RzW 1953, 93 und vom 21. September 1965 – 18 W 1525/63 – RzW 1966, 18 ≪19≫). Mit der Aushändigung der Goldmarkpfandbriefe in Kenntnis der Auswanderungsabsicht des Veräußerers setzte sich der Vater der Kläger nämlich der Gefahr der Strafverfolgung aus; denn hierin konnte eine Beihilfe zum Verstoß gegen das Gesetz über die Devisenbewirtschaftung vom 24. Februar 1935 (RGBl I S. 106) gesehen werden. Nach § 13 Abs. 1 des Gesetzes durften Zahlungsmittel, Wertpapiere, Gold- und Edelmetalle nur mit Genehmigung ins Ausland versandt oder überbracht werden. Nach § 42 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes wurde eine vorsätzliche Zuwiderhandlung gegen die Vorschrift des § 13 Abs. 1 mit Gefängnis oder in besonders schweren Fällen mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren sowie mit Geldstrafe bis zum Zehnfachen des Wertes der Zahlungsmittel usw., auf die sich die strafbare Handlung bezog, bestraft. Ausgenommen von der Genehmigungspflicht war lediglich eine Freigrenze von zehn Reichsmark (§ 28 Abs. 1 des Devisengesetzes). Devisenrechtliche Genehmigungen wurden ab Oktober 1934 – abgesehen von besonderen Ausnahmen – an Auswanderungswillige nicht mehr erteilt, Verstöße insoweit verfolgt und streng bestraft (vgl. Blumberg, Etappen der Verfolgung und Ausraubung und ihre bürokratische Apparatur, in: Verfolgung und Verwaltung, Die wirtschaftliche Ausplünderung der Juden und die westfälischen Finanzbehörden, Hrsg.: Kenkmann und Rusinek S. 18 f. und 24 f.). Es liegt auf der Hand, dass die Hingabe der wertbeständigen und damit für die Verschaffung von Vermögen ins Ausland besonders geeigneten Goldmarkpfandbriefe an einen Juden an Stelle der vertraglich vereinbarten Barzahlung, die angesichts der Höhe des bar zu zahlenden Kaufpreises ohnehin verdächtig war, den Verdacht der Strafverfolgungsbehörden hätte erregen können, weil damit die strafbare Verschiebung von Vermögen ins Ausland zumindest erleichtert werden sollte. Vor dem Hintergrund der Grundeinstellung von Prof. H. zu Juden, die durch die von den Klägern im Verfahren vorgelegten Briefe belegt ist und die bei entsprechenden Nachforschungen seinerzeit wohl nicht verborgen geblieben wäre, bestand auch die nicht unerhebliche Gefahr, dass insoweit der notwendige Vorsatz angenommen worden wäre.
f) Das Verwaltungsgericht hätte daher der Frage nachgehen müssen, ob der Vortrag der Kläger zutreffend und ob der mit der Übereignung der Goldmarkpfandbriefe angestrebte Erfolg eingetreten ist. Dazu hätten die im Widerspruchsbescheid zitierten Schreiben der Erben des Verfolgten, die sich aber nicht bei den Gerichtsakten oder Verwaltungsvorgängen befinden, sowie etwaige sonstige Unterlagen über das Wiedergutmachungsverfahren nach dem Thüringer Wiedergutmachungsgesetz vom Gericht beigezogen werden müssen. Darüber hinaus wäre eine Vernehmung der Erben des Verfolgten, deren Adressen aus den entsprechenden Anträgen im Verwaltungsverfahren bekannt sind, in Betracht gekommen.
g) Die weitere Aufklärung des Sachverhaltes ist nicht etwa deswegen entbehrlich, weil – wie die Revision zu Unrecht annimmt – die andere Tatbestandsalternative des Art. 3 Abs. 3 REAO (Abschluss des Rechtsgeschäfts auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus) nachgewiesen wäre. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise dargelegt, dass dieser Beweis nicht geführt wurde.
Bereits der Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 REAO belegt, dass der Nachweis schon bei Mitursächlichkeit der Herrschaft des Nationalsozialismus ausgeschlossen ist (vgl. auch ORG Nürnberg, Urteil vom 23. Januar 1956 – ORG/III/493 – RzW 1956, 194 zur gleich lautenden Vorschrift des § 4 Abs. 1 a REG für die US-Zone; Wasmuth, a.a.O. Rn. 212).
Erforderlich ist insoweit zumindest eine gesteigerte Wahrscheinlichkeit, die nach der Lebenserfahrung der Gewissheit so gut wie gleich kommt (ORG Herford, Urteil vom 31. Oktober 1961 – ORG/II/638 – RzW 1962, 161). Als Nachweis neutraler, unpolitischer Verfolgungsmotive kommen dabei beispielsweise in Betracht: Feilbieten vor dem 30. Januar 1933, Erbauseinandersetzungen sowie wirtschaftliche Schwierigkeiten/Überschuldung ohne Zusammenhang mit der NS-Herrschaft (vgl. Wasmuth, a.a.O.; Dietsche, a.a.O. Rn. 341 f; Götze, Die Rückerstattung in Westdeutschland und Berlin, 1950, S. 164 f.).
Der Verweis der Revision auf den Wohnort des Veräußerers in Berlin, d.h. die fehlende Eigennutzung des Grundstücks zu Wohnzwecken, auf die Fremdverwaltung des Grundstücks und auf den Verkauf durch einen Bevollmächtigten ist – ebenso wie die „judenfreundliche Grundeinstellung” von Prof. H. – insoweit unergiebig. Auch die aus dem Kaufvertrag ersichtliche Beauftragung des Rechtsanwalts und Notars B. „mit Verhandlungen über die Herbeiführung eines Verkaufs”, besagt in diesem Zusammenhang nichts, da der Zeitpunkt des Verkaufsauftrages unbekannt ist. Auch die Kläger behaupten nicht, dass der Auftrag bereits vor dem 30. Januar 1933, d.h. dem Beginn des Verfolgungszeitraums (vgl. dazu Beschluss vom 18. Juni 1998 – BVerwG 8 B 56.98 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 154 S. 472 ≪473≫), erteilt wurde, zumal Georg H. erst nach diesem Zeitpunkt als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen worden ist. Der Zeitpunkt der Eintragung spricht auch gegen die nicht weiter substantiierte Behauptung der Kläger, das Grundstück sei im Jahre 1936 im Wege einer Nachlassauseinandersetzung der Erben des Voreigentümers Alfred H. veräußert worden.
Dass die Herrschaft des Nationalsozialismus zumindest mitursächlich für den Grundstücksverkauf an Prof. H. war, legen vielmehr dessen eigene Lebensaufzeichnungen nahe, wenn es dort heißt: „Von seinen Erben sollte es (gemeint: das Grundstück) nun verkauft werden, zumal es sich hier um jüdische Fabrikanten handelte, die ihr Geld aus Deutschland herausziehen wollten”.
Zu Recht verweist das Verwaltungsgericht auch auf die im Kaufvertrag vereinbarte sofortige vollständige Barzahlung des Grundstücks in Höhe von 61 000 RM, die ungewöhnlich war und die bei Juden – jedenfalls nach In-Kraft-Treten der sog. Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 – die Annahme nahe legte, dass das Geld staatlichem Zugriff entzogen werden sollte.
2.a) Schon wegen der – wie dargelegt – fehlenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts zum Tatbestand des Art. 3 Abs. 3 Buchst. b REAO kann der Senat über das von den Klägern verfolgte Begehren nicht abschließend entscheiden. Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht mit rechtlich nicht tragfähiger Begründung angenommen hat, der vom Vater des Klägers gezahlte Kaufpreis sei angemessen gewesen (vgl. dazu Urteil vom 24. August 2000 – BVerwG 7 C 85.99 – Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 7). Auch die Begründung, die Kläger hätten unwidersprochen vorgetragen, dass der Kaufpreis durch Übergabe von 6 000 RM in bar und 55 000 RM in konvertiblen Pfandbriefen erfolgt sei, und dies rechtfertige die Annahme, der Verfolgte habe über diesen Kaufpreis frei verfügen können, entspricht wegen der Amtsermittlungspflicht des Verwaltungsgerichts (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 VwGO). Allerdings dürfte bei einem Nachweis der Barzahlung bzw. der Übergabe der Pfandbriefe mangels anderer Anhaltspunkte von der freien Verfügbarkeit auszugehen sein (vgl. Urteil vom 24. Februar 1999 – BVerwG 8 C 15.98 – BVerwGE 108, 301 ≪310 ff.≫ = Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 1 S. 1 ≪9 ff.≫). Ob der Kaufpreis tatsächlich in voller Höhe gezahlt wurde, bedürfte jedoch der Feststellung durch das Verwaltungsgericht. Dazu müssen die bisherigen Ergebnisse des Verfahrens tatrichterlich gewürdigt werden. Zusätzlich könnten auch insoweit die im Widerspruchsverfahren herangezogenen Unterlagen ausgewertet bzw. die Erben des Verfolgten als Zeugen gehört werden.
b) Die Annahme des Verwaltungsgerichts, den Ansprüchen der Kläger auf Rückübertragung stünden gemäß § 3 Abs. 2 VermG zeitlich vorgehende Ansprüche anderer Personen entgegen, ist allerdings nicht deswegen unzutreffend, weil die Erben des Veräußerers im Jahre 1951 im Verfahren nach dem Thüringer Wiedergutmachungsgesetz auf eine Rückübertragung verzichtet haben (vgl. dazu Urteil vom 27. Mai 1997 – BVerwG 7 C 67.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 112 S. 337 ≪340≫ und Beschluss vom 16. Mai 2000 – BVerwG 8 B 74.00 – Rü BARoV 2000 Nr. 12 S. 31) oder weil die Erben mit Schreiben vom 11. Januar 1993 und 13. September 1994 „ihre deutschen Rückübertragungsansprüche” zurückgenommen haben, da sie sich entsprechend dem „Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Regelung bestimmter Vermögensansprüche” vom 13. Mai 1992 (BGBl II S. 1223) – US-Pauschalentschädigungsabkommen – dafür entschieden hatten, an Stelle der Ansprüche nach deutschem Recht einen Teil des Abfindungsbetrages in Anspruch zu nehmen. Insoweit gingen nämlich deren Ansprüche gemäß Art. 3 Abs. 9 Satz 2 des US-Pauschalentschädigungsabkommens auf die Bundesrepublik Deutschland über, wobei es rechtlich ohne Bedeutung ist, dass die Rücknahmeerklärung bereits vor der Feststellung des endgültigen Überweisungsbetrages und damit vor dem Übergang der Ansprüche auf die Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist (vgl. dazu Urteil vom 24. Januar 2002 – BVerwG 8 C 33.01 – zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen).
c) Schließlich hat das Verwaltungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – bisher keine Feststellungen zu der Frage getroffen, ob die Inanspruchnahme des streitbefangenen Grundstücks im Jahre 1980 eine schädigende Maßnahme im Sinne des § 1 VermG war. Auch dies wird gegebenenfalls noch nachzuholen sein.
Unterschriften
Dr. Müller, Krauß, Golze, Postier, Neumann
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 24.01.2002 durch Jesert Justizsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 707567 |
BuW 2002, 562 |
BVerwGE, 360 |
ZAP 2002, 696 |