Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Verbraucherschutz. Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Vertrag über Fremdwährungsdarlehen. Klauseln, die den Darlehensnehmer einem Wechselkursrisiko aussetzen. Gebote der Verständlichkeit und der Transparenz. Unbeachtlichkeit der Erklärung des Verbrauchers, dass er sich über die möglichen Risiken, die sich aus der Aufnahme eines Fremdwährungsdarlehens ergeben, im Klaren ist. Klare und verständliche Abfassung einer Vertragsklausel
Normenkette
Richtlinie 93/13/EWG Art. 4 Abs. 2; Verfahrensordnung des Gerichtshofs Art. 99
Beteiligte
Tenor
Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass das Erfordernis der Transparenz der Klauseln eines Vertrags über ein Fremdwährungsdarlehen, die den Darlehensnehmer einem Wechselkursrisiko aussetzen, nur erfüllt ist, wenn der Gewerbetreibende ihm genaue und hinreichende Informationen über das Wechselkursrisiko erteilt hat, die es einem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher ermöglichen, die Gefahr möglicherweise beträchtlicher negativer wirtschaftlicher Folgen solcher Klauseln für seine finanziellen Verpflichtungen über die gesamte Laufzeit dieses Vertrags einzuschätzen. In diesem Zusammenhang spielt der Umstand, dass der Verbraucher erklärt, er sei sich über die möglichen Risiken, die sich aus dem Abschluss dieses Vertrags ergeben, im Klaren, für sich genommen keine Rolle für die Beurteilung, ob der Gewerbetreibende diesem Transparenzerfordernis genügte.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Ráckevei Járásbíróság (Kreisgericht Ráckeve, Ungarn) mit Entscheidung vom 9. November 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Dezember 2020, in dem Verfahren
EP,
TA,
FV,
TB
gegen
ERSTE Bank Hungary Zrt.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Vizepräsidenten des Gerichtshofs L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Sechsten Kammer sowie der Richter N. Jääskinen (Berichterstatter) und M. Safjan,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund der nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen EP, TA, FV und TB auf der einen Seite und der ERSTE Bank Hungary Zrt. (im Folgenden: Bank) auf der anderen Seite wegen geltend gemachter Missbräuchlichkeit einer Klausel in einem Vertrag über ein Fremdwährungsdarlehen, die die Rückzahlung des Darlehens in inländischer Währung vorsieht.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Art. 4 der Richtlinie 93/13 sieht vor:
„(1) Die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel wird unbeschadet des Artikels 7 unter Berücksichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln desselben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt.
(2) Die Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Klauseln betrifft weder den Hauptgegenstand des Vertrages noch die Angemessenheit zwischen dem Preis bzw. dem Entgelt und den Dienstleistungen bzw. den Gütern, die die Gegenleistung darstellen, sofern diese Klauseln klar und verständlich abgefasst sind.”
Rz. 4
Art. 5 der Richtlinie bestimmt:
„Sind alle dem Verbraucher in Verträgen unterbreiteten Klauseln oder einige dieser Klauseln schriftlich niedergelegt, so müssen sie stets klar und verständlich abgefasst sein. …”
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Rz. 5
Am 9. Januar 2007 schlossen die Kläger des Ausgangsverfahrens, die Verbraucher sind, in notarieller Form mit der Bank einen Darlehensvertrag zum Zweck der Renovierung eines Einfamilienhauses. Nach diesem Vertrag war der Darlehensbetrag in Schweizer Franken (CHF) ausgewiesen, die Auszahlung und Rückzahlung dieses Betrags sollten jedoch in ungarischen Forint (HUF) erfolgen.
Rz. 6
Dementsprechend ermittelte die Bank zu jedem Rückzahlungstermin die Höhe der geschuldeten Monatsraten, indem sie den in Schweizer Franken vereinbarten Rückzahlungsbetrag in ungarische Forint umrechnete.
Rz. 7
Beim Abschluss des in Rede stehenden Darlehensvertrags legte die Bank den Klägern des Ausgangsverfahrens ein Informationsblatt über die allgemeinen Risiken einer Fremdwährungsfinanzierung vor. Zum Wechselkursrisiko hieß es dort:
„Wir weisen Sie darauf hin, dass Sie bei der Wahl einer auf eine Fremdwährung lautenden Finanzierung von den Vorteilen des Marktes der gewäh...