Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Eigenmittel der Europäischen Union. Schutz der finanziellen Interessen der Union. Verfolgung von Unregelmäßigkeiten. Erlass verwaltungsrechtlicher Maßnahmen. Verjährungsfrist für die Verfolgung. Ablauf. Möglichkeit, sich in einem Zwangsvollstreckungsverfahren darauf zu berufen. Frist für die Vollstreckung. Anwendbarkeit. Beginn. Unterbrechung und Aussetzung
Normenkette
Verfahrensordnung des Gerichtshofs Art. 53 Abs. 2, Art. 99; Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 Art. 3 Abs. 1, Art. 4, 3 Abs. 2
Beteiligte
Instituto de Financiamento da Agricultura e Pescas IP (IFAP) |
Tenor
1. Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften
ist dahin auszulegen, dass
er vorbehaltlich der Beachtung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der zur Anfechtung eines nach Ablauf der in dieser Bestimmung genannten Verjährungsfrist für die Verfolgung erlassenen Bescheids über die Rückforderung zu Unrecht gezahlter Beträge der Adressat dieses Bescheids dessen Unregelmäßigkeit innerhalb einer bestimmten Ausschlussfrist vor dem zuständigen Verwaltungsgericht geltend machen muss und sich im Rahmen eines gegen ihn eingeleiteten gerichtlichen Verfahrens der zwangsweisen Beitreibung nicht mehr gegen die Vollstreckung aus diesem Bescheid wehren kann, indem er sich auf eben diese Unregelmäßigkeit beruft.
2. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95
ist dahin auszulegen, dass
die subsidiär für die Schuldnerin, an die ein Rückforderungsbescheid über zu Unrecht erhaltene Beträge gerichtet worden war, haftenden Personen, auf die die Vollstreckung ausgedehnt wurde, sich auf den Ablauf der Vollstreckungsfrist nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 dieser Verordnung oder eine gegebenenfalls gemäß Art. 3 Abs. 3 dieser Verordnung längere Frist berufen können müssen, um sich gegen die zwangsweise Beitreibung dieser Beträge zu wehren.
3. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95
ist dahin auszulegen, dass
hinsichtlich der Vollstreckung eines Bescheids, mit dem die Erstattung zu Unrecht erhaltener Beträge angeordnet wird, die in dieser Bestimmung vorgesehene Vollstreckungsfrist an dem Tag zu laufen beginnt, an dem dieser Bescheid bestandskräftig wird, d. h. am Tag des Ablaufs der Rechtsbehelfsfristen oder der Erschöpfung des Rechtswegs.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht, Portugal) mit Entscheidung vom 12. Mai 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Juni 2021, in dem Verfahren
Instituto de Financiamento da Agricultura e Pescas IP (IFAP)
gegen
AB,
CD,
EF,
Streithelferin:
Biocentro – Produção de Energia Lda,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters J.-C. Bonichot (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten sowie des Richters S. Rodin und der Richterin O. Spineanu-Matei,
Generalanwalt: N. Emiliou,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 53 Abs. 2 und Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 1995, L 312, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Instituto de Financiamento da Agricultura e Pescas IP (IFAP) (Institut für die Finanzierung der Landwirtschaft und der Fischerei [IFAP], Portugal) auf der einen und AB, CD und EF, Geschäftsführern der Gesellschaft Biocentro – Produção de Energia Lda (im Folgenden: Biocentro), auf der anderen Seite über die Rückforderung einer Beihilfe, die dieser Gesellschaft im Rahmen eines Hilfsprojekts für die Forstwirtschaft gewährt worden war, im Wege der zwangsweisen Beitreibung.
Rechtlicher Rahmen
Verfahrensordnung des Gerichtshofs
Rz. 3
Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs bestimmt:
„Das Vorabentscheidungsersuchen muss außer den dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen enthalten:
- eine kurze Darstellung des Streitgegenstands und des maßgeblichen Sachverhalts, wie er vom vorlegenden Gericht festgestellt worden ist, oder zumindest eine Darstellung der tatsächlichen Umstände, auf denen die Fragen beruhen;
- den Wortlaut der möglicherweise auf den Fall anwendbaren nationalen Vorschriften und gegebenenfalls die einschlägige nationale Rechtsprechung;
- eine Darstellung der Gründe, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, und den Zusammenhang, den es zwischen diesen Vorschriften und dem ...