Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Umwelthaftung. Zeitliche Geltung. Betrieb einer Wasserkraftanlage, die vor dem Ablauf der Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie in Betrieb genommen wurde. Begriff ‚Umweltschaden’. Nationale Regelung, die durch eine Bewilligung gedeckte Schäden ausnimmt. Zugang zu den Gerichten in Umweltangelegenheiten. Befugnis zur Einleitung eines Prüfungsverfahrens. Unmittelbare Wirkung
Normenkette
Richtlinie 2004/35/EG Art. 17, 2 Nr. 1 Buchst. b, Art. 12 Abs. 1; Richtlinie 2000/60/EG Art. 4 Abs. 7
Beteiligte
Tenor
1. Art. 17 der Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden in der durch die Richtlinie 2009/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 geänderten Fassung ist vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht anzustellenden Prüfung dahin auszulegen, dass sie zeitlich auf Umweltschäden Anwendung findet, die nach dem 30. April 2007 aufgetreten sind, aber aus dem Betrieb einer vor diesem Datum wasserrechtlich bewilligten und in Betrieb genommenen Anlage herrühren.
2. Die Richtlinie 2004/35 in der durch die Richtlinie 2009/31 geänderten Fassung, insbesondere ihr Art. 2 Nr. 1 Buchst. b, ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der ein Schaden, der erhebliche nachteilige Auswirkungen auf den ökologischen, chemischen oder mengenmäßigen Zustand oder das ökologische Potenzial der betreffenden Gewässer hat, allein deshalb generell und ohne Weiteres vom Begriff des „Umweltschadens” ausgenommen ist, weil er durch eine Bewilligung in Anwendung des nationalen Rechts gedeckt ist.
3. In den Fällen, in denen nach nationalen Vorschriften eine Bewilligung erteilt wurde, ohne dass die Bedingungen des Art. 4 Abs. 7 Buchst. a bis d der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik geprüft wurden, muss ein nationales Gericht bei der Prüfung der Frage, ob ein Umweltschaden im Sinne von Art. 2 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/35 in der durch die Richtlinie 2009/31 geänderten Fassung vorliegt, nicht selbst prüfen, ob die Bedingungen des Art. 4 Abs. 7 Buchst. a bis d der Richtlinie 2000/60 erfüllt sind.
4. Die Art. 12 und 13 der Richtlinie 2004/35 in der durch die Richtlinie 2009/31 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die es Fischereiberechtigten verwehrt, ein Prüfungsverfahren in Bezug auf einen Umweltschaden im Sinne von Art. 2 Nr. 1 Buchst. b dieser Richtlinie durchführen zu lassen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 24. September 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Oktober 2015, in dem Verfahren
Gert Folk
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Regan, J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev und S. Rodin (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. Oktober 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Rechtsanwalt Gert Folk, der sich selbst vertritt,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch E. White, E. Manhaeve und A. C. Becker als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. Januar 2017
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden (ABl. 2004, L 143, S. 56) in der durch die Richtlinie 2009/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 (ABl. 2009, L 140, S. 114) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2004/35) und von Art. 4 Abs. 7 der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (ABl. 2000, L 327, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen der Entscheidung über die Beschwerde von Herrn Gert Folk gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats für die Steiermark, mit dem eine Umweltbeschwerde abgewiesen wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2004/35
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 24, 25 und 30 der Richtlinie 2004/35 heißt es:
„(24) Es ist erforderlich, sicherzustellen, dass für die Um- und Durchsetzung wirksame Mittel zur Verfügung stehen, wobei dafür zu sorgen ist, dass die berechtigten Interessen der betreffenden Betreiber und sonstigen Beteiligten angemessen gewa...