Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Luftverkehr. Haftung von Luftfrachtführern für Tod und Körperverletzung von Reisenden. Begriff ‚Unfall‘. An einen Unfall an Bord eines Luftfahrzeugs anschließende medizinische Erstversorgung, durch die die Körperverletzung verschlimmert wurde
Normenkette
Übereinkommen von Montreal Art. 17 Abs. 1
Beteiligte
Austrian Airlines (Premiers soins à bord d’un aéronef) |
Tenor
Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, das am 28. Mai 1999 in Montreal geschlossen, am 9. Dezember 1999 von der Europäischen Gemeinschaft unterzeichnet und durch den Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 in ihrem Namen genehmigt wurde,
ist dahin auszulegen, dass
die unzureichende medizinische Erstversorgung eines Reisenden an Bord eines Luftfahrzeugs, die zu einer Verschlimmerung der durch einen „Unfall“ im Sinne dieser Bestimmung verursachten Körperverletzung geführt hat, als Teil dieses Unfalls anzusehen ist.
Tatbestand
In der Rechtssache C-510/21
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 5. August 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 19. August 2021, in dem Verfahren
DB
gegen
Austrian Airlines AG
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter M. Safjan, N. Piçarra (Berichterstatter), N. Jääskinen und M. Gavalec,
Generalanwalt: N. Emiliou,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von DB, vertreten durch Rechtsanwalt L. Specht,
- – der Austrian Airlines AG, vertreten durch Rechtsanwalt A. Danner,
- – der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, J. Heitz und M. Hellmann als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun, K. Simonsson, G. Wilms und N. Yerrell als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. Januar 2023
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 17 Abs. 1 sowie der Art. 29 und 35 des am 28. Mai 1999 in Montreal geschlossenen, von der Europäischen Gemeinschaft am 9. Dezember 1999 unterzeichneten und mit dem Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 (ABl. 2001, L 194, S. 38) in ihrem Namen genehmigten Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (im Folgenden: Übereinkommen von Montreal), das in Bezug auf die Europäische Union am 28. Juni 2004 in Kraft getreten ist.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen DB und der Austrian Airlines AG, einem Luftfrachtführer, über eine Klage von DB auf Ersatz des Schadens, der DB durch die medizinische Erstversorgung an Bord eines Luftfahrzeugs während eines von Austrian Airlines durchgeführten Fluges entstanden ist.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 3 und 5 des Übereinkommens von Montreal heißt es:
„[Die Vertragsstaaten erkennen die] Bedeutung des Schutzes der Verbraucherinteressen bei der Beförderung im internationalen Luftverkehr und eines angemessenen Schadenersatzes nach dem Grundsatz des vollen Ausgleichs [an];
…
gemeinsames Handeln der Staaten zur weiteren Harmonisierung und Kodifizierung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr durch ein neues Übereinkommen [ist] das beste Mittel …, um einen gerechten Interessenausgleich zu erreichen“.
Rz. 4
Art. 17 („Tod und Körperverletzung von Reisenden – Beschädigung von Reisegepäck“) Abs. 1 dieses Übereinkommens lautet:
„Der Luftfrachtführer hat den Schaden zu ersetzen, der dadurch entsteht, dass ein Reisender getötet oder körperlich verletzt wird, jedoch nur, wenn sich der Unfall, durch den der Tod oder die Körperverletzung verursacht wurde, an Bord des Luftfahrzeugs oder beim Ein- oder Aussteigen ereignet hat.“
Rz. 5
Art. 29 („Grundsatz für Ansprüche“) Satz 1 des Übereinkommens sieht vor:
„Bei der Beförderung von Reisenden, Reisegepäck und Gütern kann ein Anspruch auf Schadenersatz, auf welchem Rechtsgrund er auch beruht, sei es dieses Übereinkommen, ein Vertrag, eine unerlaubte Handlung oder ein sonstiger Rechtsgrund, nur unter den Voraussetzungen und mit den Beschränkungen geltend gemacht werden, die in diesem Übereinkommen vorgesehen sind“.
Rz. 6
Art. 35 („Ausschlussfrist“) Abs. 1 des Übereinkommens bestimmt:
„Die Klage auf Schadenersatz kann nur binnen einer Ausschlussfrist von zwei Jahren erhoben werden; die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Luftfahrzeug am Bestimmungsort angekommen ist oder an dem es hätte ankommen sollen oder an dem die Beförderung abgebrochen worden ist.“
Unionsrecht
Rz. 7
Nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates vom 9. Oktober 1997 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäc...