Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausfuhrerstattung, Rückforderung einer Ausfuhrerstattung, Verjährungsfrist
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 1 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften sind dahin auszulegen, dass die Verjährungsfrist unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, wo der Verstoß gegen eine Unionsbestimmung erst nach Eintritt eines Schadens aufgedeckt wurde, zu dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem sich sowohl die Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers, die sich als Verstoß gegen das Unionsrecht darstellt, als auch der Schaden für den Unionshaushalt oder die Haushalte, die von der Union verwaltet werden, ereignet haben.
2. Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 ist dahin auszulegen, dass unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ein Schaden eingetreten ist, sobald die Entscheidung getroffen wurde, dem betreffenden Ausführer die Ausfuhrerstattung zu gewähren.
Normenkette
EGV 95/2988 Art. 1 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1
Beteiligte
Firma Ernst Kollmer Fleischimport und -export |
Hauptzollamt Hamburg-Jonas |
Verfahrensgang
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 - Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union - Art. 1 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 - Rückforderung einer Ausfuhrerstattung - Verjährungsfrist - Beginn - Handlung oder Unterlassung des Wirtschaftsteilnehmers - Schadenseintritt - Andauernder Verstoß - Punktueller Verstoß"
In der Rechtssache C-59/14
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Hamburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 13. Dezember 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Februar 2014, in dem Verfahren
Firma Ernst Kollmer Fleischimport und -export
gegen
Hauptzollamt Hamburg-Jonas
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin), der Richter J. Malenovský und M. Safjan sowie der Richterin A. Prechal,
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Firma Ernst Kollmer Fleischimport und -export, vertreten durch Rechtsanwalt D. Ehle,
‐ der griechischen Regierung, vertreten durch I. Chalkias und E. Leftheriotou als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Baquero Cruz, P. Rossi und B. Eggers als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Juni 2015
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 312, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Firma Ernst Kollmer Fleischimport und -export und dem Hauptzollamt Hamburg-Jonas (im Folgenden: Hauptzollamt) wegen der Rückforderung von Ausfuhrerstattungen.
Rechtlicher Rahmen
Verordnung Nr. 2988/95
Rz. 3
Art. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 bestimmt:
„(1) Zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften wird eine Rahmenregelung für einheitliche Kontrollen sowie für verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen bei Unregelmäßigkeiten in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht getroffen.
(2) Der Tatbestand der Unregelmäßigkeit ist bei jedem Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gegeben, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die direkt für Rechnung der Gemeinschaften erhoben werden, sei es durch eine ungerechtfertigte Ausgabe.“
Rz. 4
Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung sieht vor:
„Die Verjährungsfrist für die Verfolgung beträgt vier Jahre ab Begehung der Unregelmäßigkeit nach Artikel 1 Absatz 1. Jedoch kann in den sektorbezogenen Regelungen eine kürzere Frist vorgesehen werden, die nicht weniger als drei Jahre betragen darf.
Bei andauernden oder wiederholten Unregelmäßigkeiten beginnt die Verjährungsfrist an dem Tag, an dem die Unregelmäßigkeit beendet wird. …
…“
Rz. 5
Art. 4 der Verordnung betrifft die verwaltungsrechtlichen Maßnahmen zur Rückforderung von zu Unrecht erlangten Vorteilen. Art. 5 der Verordnung führt die verwaltungsrechtlichen Sanktionen an, zu denen Unregelmäßigkeiten führen können, die vorsätzlich begangen oder durch Fahrlässigkeit verursacht werden.
Verordnung (EWG) Nr. 565/80
Rz. 6
Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 565/80 des Rates vom 4. März 1980 über die Vorauszahlung von Ausfuhrerstattungen für landwirts...