Entscheidungsstichwort (Thema)
Öffentliche Aufträge. Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz. Gründe für einen Ausschluss von der Teilnahme. Persönliche Lage des Bewerbers bzw. Bieters. Obligatorische Erklärung über die Person, die als ‚technischer Leiter’ bezeichnet wird. Fehlen der Erklärung im Angebot. Ausschluss vom Vergabeverfahren ohne Möglichkeit einer Behebung dieses Mangels
Normenkette
Richtlinie 2004/18/EG Art. 45
Beteiligte
Tenor
Art. 45 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1177/2009 der Kommission vom 30. November 2009 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 2 dieser Richtlinie sowie der Gleichbehandlungsgrundsatz und die Transparenzpflicht sind in dem Sinne auszulegen, dass es ihnen nicht zuwiderläuft, wenn ein Wirtschaftsteilnehmer von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen wird, weil er der in den Ausschreibungsunterlagen unter Androhung des Ausschlusses bei Nichterfüllung vorgesehenen Verpflichtung nicht nachgekommen ist, seinem Angebot eine Erklärung beizufügen, wonach gegen die in diesem Angebot als technischer Leiter dieses Wirtschaftsteilnehmers bezeichnete Person weder ein strafrechtliches Verfahren läuft noch eine strafrechtliche Verurteilung stattgefunden hat, selbst wenn dem öffentlichen Auftraggeber nach Ablauf der Frist für die Einreichung der Angebote eine solche Erklärung übermittelt wurde oder dargelegt wird, dass die betreffende Person irrtümlicherweise als technischer Leiter bezeichnet wurde.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia (Italien) mit Entscheidung vom 5. Dezember 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Januar 2013, in dem Verfahren
Cartiera dell'Adda SpA
gegen
CEM Ambiente SpA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Vajda (Berichterstatter) sowie der Richter E. Juhász und D. Šváby,
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Mai 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Cartiera dell'Adda SpA, vertreten durch S. Soncini, avvocato,
- der CEM Ambiente SpA, vertreten durch E. Robaldo, P. Ferraris und F. Caliandro, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Varone, avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Pignataro-Nolin und A. Tokár als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 45 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1177/2009 der Kommission vom 30. November 2009 (ABl. L 314, S. 64) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2004/18).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Cartiera dell'Adda SpA (im Folgenden: Cartiera dell'Adda) und der CEM Ambiente SpA (im Folgenden: CEM Ambiente) wegen der Entscheidung der CEM Ambiente als öffentlicher Auftraggeberin, den in der Entstehung begriffenen vorübergehenden Zusammenschluss von Unternehmen (im Folgenden: VZU), der aus der Cartiera dell'Adda und der Cartiera di Cologno Monzese SpA (im Folgenden: CCM) besteht, wobei Letztere als Auftraggeberin des VZU auftritt, von einem Auswahlverfahren auszuschließen, weil nicht zusammen mit dem Angebot des VZU eine Erklärung über die als „technischer Leiter” der CCM bezeichnete Person eingereicht wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In Art. 1 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2004/18 wird der Begriff „öffentliche Dienstleistungsaufträge” für die Zwecke dieser Richtlinie definiert als öffentliche Aufträge über die Erbringung von Dienstleistungen im Sinne von Anhang II dieser Richtlinie, die keine öffentlichen Bau- oder Lieferaufträge sind. In Nr. 16 des Anhangs II Teil A dieser Richtlinie sind „Abfall- und Abwasserbeseitigung, sanitäre und ähnliche Dienstleistungen” aufgeführt.
Rz. 4
Art. 2 („Grundsätze für die Vergabe von Aufträgen”) der Richtlinie 2004/18 lautet:
„Die öffentlichen Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer gleich und nichtdiskriminierend und gehen in transparenter Weise vor.”
Rz. 5
Art. 45 („Persönliche Lage des Bewerbers bzw. Bieters”) der Richtlinie 2004/18 bestimmt in seinen Abs. 1 und 3:
„(1) Ein Bewerber oder Bieter ist von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren auszuschließen, wenn der öffentlich...