Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Nationale Förderregelung, die die Zuteilung handelbarer grüner Zertifikate an nationale Erzeuger von Strom aus erneuerbaren Quellen vorsieht. Einfuhr von Strom, der aus erneuerbaren Quellen in einem anderen Mitgliedstaat stammt. Verpflichtung zum Erwerb grüner Zertifikate. Sanktion. Befreiung. Förderregelung. Herkunftsnachweise. Freier Warenverkehr. Staatliche Beihilfen. Staatliche Mittel. Selektiver Vorteil
Normenkette
Richtlinie 2001/77/EG; Richtlinie 2009/28/EG; AEUV Art. 18, 28, 30, 34, 110, 107-108
Beteiligte
Fallimento Esperia und GSE |
Autorità di Regolazione per Energia Reti e Ambiente (ARERA) |
Gestore dei Servizi Energetici SpA – GSE |
Tenor
1.Die Art. 28, 30 und 110 AEUV
sind dahin auszulegen, dass
sie einer nationalen Maßnahme nicht entgegenstehen, die zum einen die Einführer von aus einem anderen Mitgliedstaat stammendem Strom, die nicht durch die Vorlage von Herkunftsnachweisen belegen, dass dieser Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt wird, verpflichtet, von nationalen Erzeugern entsprechend der von ihnen eingeführten Strommenge Zertifikate über den Herkunftsnachweis aus erneuerbaren Quellen oder Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu erwerben, und zum anderen für den Fall der Nichteinhaltung dieser Verpflichtung die Verhängung einer Sanktion vorsieht, wohingegen die nationalen Erzeuger von aus erneuerbaren Quellen erzeugtem Strom keiner solchen Verpflichtung zum Erwerb unterliegen.
2.Art. 34 AEUV sowie die Richtlinie 2001/77/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. September 2001 zur Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen im Elektrizitätsbinnenmarkt und die Richtlinie 2009/28/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien 2001/77 und 2003/30/EG
sind dahin auszulegen, dass
sie dieser nationalen Maßnahme nicht entgegenstehen, wenn feststeht, dass sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des Ziels, die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Quellen zu steigern, erforderlich ist.
3.Die Art. 107 und 108 AEUV
sind dahin auszulegen, dass
sie dieser nationalen Maßnahme nicht entgegenstehen, sofern die unterschiedliche Behandlung der nationalen Erzeuger von aus erneuerbaren Quellen erzeugtem Strom und der Einführer von Strom, die keinen Herkunftsnachweis vorlegen, durch die Natur und die Struktur des Bezugssystems, in das sie sich einfügt, gerechtfertigt ist.
Tatbestand
In der Rechtssache C-558/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) mit Entscheidung vom 16. August 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 19. August 2022, in dem Verfahren
Autorità di Regolazione per Energia Reti e Ambiente (ARERA)
gegen
Fallimento Esperia SpA,
Gestore dei Servizi Energetici SpA – GSE
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der Fallimento Esperia SpA, vertreten durch U. Grella und F. M. Salerno, Avvocati,
- – der Gestore dei Servizi Energetici SpA – GSE, vertreten durch S. Fidanzia und A. Gigliola, Avvocati,
- – der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von D. Del Gaizo und F. Tortora, Avvocati dello Stato,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch B. De Meester, G. Gattinara und F. Tomat als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 18, 28, 30, 34, 107, 108 und 110 AEUV sowie der Richtlinie 2009/28/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien 2001/77/EG und 2003/30/EG (ABl. 2009, L 140, S. 6).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Autorità di Regolazione per Energia Reti e Ambiente (ARERA) (Regulierungsbehörde für Energie, Netze und Umwelt, Italien) (im Folgenden: ARERA) auf der einen Seite und der Fallimento Esperia SpA, einer zahlungsunfähigen Gesellschaft, sowie der Gestore dei Servizi Energetici SpA – GSE (im Folgenden: GSE) auf der anderen Seite über die Verhängung einer Geldbuße gegen Fallimento Esperia wegen Verstoßes gegen die Verpflichtung, für den im Jahr 2010 nach Italien eingeführten Strom Zertifikate über den Herkunftsnachweis aus erneuerbaren Quellen (im Folgenden: grüne Zertifikate) zu erwerben.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2001/77/EG
Rz. 3
Di...