Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Verbraucherkreditverträge. Gefahr der Überschuldung. Verpflichtung des Kreditgebers zur Prüfung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers. Wirksamkeit, Verhältnismäßigkeit und abschreckender Charakter der Sanktion bei Verstoß gegen diese Verpflichtung

 

Normenkette

Richtlinie 2008/48/EG Art. 8, 23

 

Beteiligte

Ultimo Portfolio Investment

Ultimo Portfolio Investment (Luxembourg) SA

KM

 

Tenor

Art. 23 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates ist dahin auszulegen, dass bei der Prüfung, ob die in dieser Bestimmung vorgesehenen Sanktionen insbesondere im Fall der Nichteinhaltung der in Art. 8 dieser Richtlinie vorgesehenen Verpflichtung zur Prüfung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind, gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV nicht nur die speziell zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassene Bestimmung des nationalen Rechts zu berücksichtigen ist, sondern auch sämtliche nationalen Rechtsvorschriften berücksichtigt werden müssen, die soweit möglich anhand des Wortlauts und der Ziele dieser Richtlinie auszulegen sind, so dass die Sanktionen die in Art. 23 der Richtlinie festgelegten Anforderungen erfüllen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Rejonowy w Opatowie I Wydział Cywilny (Rayongericht Opatów, I. Zivilabteilung, Polen) mit Entscheidung vom 27. September 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Juli 2020, in dem Verfahren

Ultimo Portfolio Investment (Luxembourg) SA

gegen

KM,

Beteiligte:

Prokuratura Okregowa w Kielcach

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters M. Safjan,

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Ultimo Portfolio Investment (Luxembourg) SA, vertreten durch W. Kołosza, radca prawny,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Goddin und A. Szmytkowska als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 8 und 23 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Ultimo Portfolio Investment (Luxembourg) SA (im Folgenden: Ultimo Portfolio Investment) als Rechtsnachfolgerin der Aasa Polska SA und KM, einer natürlichen Person, wegen Begleichung einer Forderung aus einem Verbraucherkreditvertrag.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 26 und 47 der Richtlinie 2008/48 heißt es:

„(26) … Insbesondere auf dem expandierenden Kreditmarkt ist es wichtig, dass Kreditgeber nicht verantwortungslos in der Kreditvergabe tätig werden oder Kredite ohne vorherige Beurteilung der Kreditwürdigkeit vergeben, und die Mitgliedstaaten sollten die erforderlichen Kontrollen durchführen, um derartige Verhaltensweisen zu unterbinden und sie sollten die erforderlichen Sanktionsmittel für jene Kreditgeber bestimmen, die sich so verhalten. … Kreditgeber [sollten] dafür verantwortlich sein, in jedem Einzelfall die Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers zu prüfen. Zu diesem Zweck sollten sie nicht nur die vom Verbraucher im Rahmen der Vorbereitung des betreffenden Kreditvertrags, sondern auch die während einer schon länger bestehenden Geschäftsbeziehung erteilten Auskünfte heranziehen dürfen. Die Behörden der Mitgliedstaaten könnten den Kreditgebern geeignete Anweisungen erteilen und Leitlinien vorgeben. Auch die Verbraucher sollten mit Umsicht vorgehen und ihre vertraglichen Verpflichtungen erfüllen.

(47) Die Mitgliedstaaten sollten Regelungen über die Sanktionen festlegen, die bei Verstößen gegen die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen innerstaatlichen Vorschriften zu verhängen sind, und für deren Anwendung sorgen. Die Wahl der Sanktionen bleibt zwar den Mitgliedstaaten überlassen, doch sollten die vorgesehenen Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.”

Rz. 4

Art. 8 („Verpflichtung zur Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers”) der Richtlinie 2008/48 sieht in Abs. 1 vor:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass vor Abschluss des Kreditvertrages der Kreditgeber die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers anhand ausreichender Informationen bewertet, die er gegebenenfalls beim Verbraucher einholt und erforderlichenfalls anhand von Auskünften aus der in Frage kommenden Datenbank. Diejenigen Mitgliedstaaten, die die Kreditgeber gesetzli...

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