Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Gültigkeit und Auslegung. Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen. Strenges Schutzsystem für Tierarten. Canis lupus (Wolf). Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten. Nationale Genehmigung der Entnahme eines wildlebenden Exemplars der Art canis lupus. Bewertung des Erhaltungszustands der Populationen der betreffenden Art. Räumlicher Geltungsbereich. Feststellung des Schadens. Anderweitige zufriedenstellende Lösung
Normenkette
Richtlinie 92/43/EWG Art. 12 Abs. 1; Richtlinie 92/43/EWG Anhang IV; Richtlinie 92/43/EWG Art. 16 Abs. 1
Beteiligte
Umweltverband WWF Österreich |
ÖKOBÜRO – Allianz der Umweltbewegung |
Naturschutzbund Österreich |
Tenor
1.Die Prüfung der ersten Frage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen in der durch die Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 geänderten Fassung in Verbindung mit Anhang IV der Richtlinie 92/43 in der durch die Richtlinie 2013/17 geänderten Fassung beeinträchtigen könnte.
2.Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 92/43 in der durch die Richtlinie 2013/17 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die dort aufgestellte Bedingung, wonach die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der gemäß dieser Bestimmung gewährten Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen müssen, nur dann unter Berücksichtigung der Ebene der biogeografischen Region, die über die nationalen Grenzen hinausgeht, anhand der verfügbaren Daten beurteilt werden darf, wenn vorab festgestellt worden ist, dass diese Populationen trotz dieser Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung auf der Ebene des lokalen Gebiets und des nationalen Hoheitsgebiets des betreffenden Mitgliedstaats in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen.
3.Art. 16 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 92/43 in der durch die Richtlinie 2013/17 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff „ernste Schäden“ künftige mittelbare Schäden, die nicht auf das Exemplar der Tierart zurückzuführen sind, für das die nach dieser Bestimmung gewährte Ausnahme gilt, nicht umfasst.
4.Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 92/43 in der durch die Richtlinie 2013/17 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die zuständigen nationalen Behörden bei der Feststellung, ob eine „anderweitige zufriedenstellende Lösung“ im Sinne dieser Bestimmung vorliegt, verpflichtet sind, auf der Grundlage der besten verfügbaren wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse die denkbaren anderweitigen Lösungen zu beurteilen, wobei sie u. a. deren wirtschaftliche Implikationen berücksichtigen, ohne dass diese ausschlaggebenden Charakter hätten, und sie gegen das allgemeine Ziel der Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der betreffenden Tierart abwägen.
Tatbestand
In der Rechtssache C-601/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesverwaltungsgericht Tirol (Österreich) mit Entscheidung vom 19. September 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 19. September 2022, in dem Verfahren
Umweltverband WWF Österreich,
ÖKOBÜRO – Allianz der Umweltbewegung,
Naturschutzbund Österreich,
Umweltdachverband,
Wiener Tierschutzverein
gegen
Tiroler Landesregierung
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter), der Richter T. von Danwitz, P. G. Xuereb und A. Kumin sowie der Richterin I. Ziemele,
Generalanwältin: T. Ćapeta,
Kanzler: D. Dittert, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Oktober 2023,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – vom Umweltverband WWF Österreich und vom ÖKOBÜRO – Allianz der Umweltbewegung, weiters vom Umweltdachverband, vertreten durch Rechtsanwältin G. K. Jantschgi,
- – des Wiener Tierschutzvereins, vertreten durch M. Lehner, im Beistand von C. Pichler als Sachverständiger,
- – der Tiroler Landesregierung, vertreten durch J. Egger und C. Ranacher als Bevollmächtigte,
- – der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, J. Schmoll und A. Kögl als Bevollmächtigte,
- – der dänischen Regierung, vertreten durch J. F. Kronborg und A.-S. Maertens als Bevollmächtigte,
- – der französischen Regierung, vertreten durch R. Bénard und M. De Lisi als Bevollmächtigte,
- – der finnischen Regierung, vertreten durch H. Leppo als Bevollmächtigte,
- – der schwedischen Regierung, vertreten durch F.-L. Göransson und H. Shev als Bevollmächtigte,
- – des Rates der Europäischen Union, vertreten durch T. Haas und A. Maceroni als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Hermes und M. Noll-Ehlers als Bevollmäch...