Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechtsangleichung. Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen. Abschalteinrichtung. Kraftfahrzeuge. Dieselmotor. Schadstoffemissionen. Emissionskontrollsystem. In das Motorsteuergerät integrierte Software. Abgasrückführventil (AGR-Ventil). Durch ein ‚Thermofenster’ begrenzte Reduzierung der Stickstoffoxid (NOx)-Emissionen. Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung der Emissionskontrollsysteme verringern. Ausnahme von diesem Verbot. Verbrauchsgüterkauf und Garantien für Verbrauchsgüter. Im Rahmen einer Nachbesserung eines Fahrzeugs eingebaute Einrichtung
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 1, 2 Buchst. a; Richtlinie 1999/44/EG Art. 3 Abs. 2
Beteiligte
Tenor
1. Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass eine Einrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1 000 Höhenmetern erfolgt, eine „Abschalteinrichtung” im Sinne dieses Art. 3 Nr. 10 darstellt.
2. Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1 000 Höhenmetern erfolgt, nicht allein deshalb unter die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme vom Verbot der Verwendung solcher Einrichtungen fallen kann, weil mit dieser Einrichtung das Abgasrückführventil geschützt werden soll, es sei denn, es ist nachgewiesen, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion dieses Bauteils verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, kann jedenfalls nicht unter die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehene Ausnahme fallen.
3. Art. 5 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 715/2007 in Verbindung mit Art. 3 Nr. 10 dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass der Umstand, dass eine Abschalteinrichtung im Sinne dieser letzteren Bestimmung nach der Inbetriebnahme eines Fahrzeugs bei einer Nachbesserung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter eingebaut wurde, für die Beurteilung der Frage, ob die Verwendung dieser Einrichtung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 unzulässig ist, unerheblich ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesgericht Eisenstadt (Österreich) mit Entscheidung vom 29. Januar 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 11. März 2020, in dem Verfahren
IR
gegen
Volkswagen AG
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentinnen A. Prechal und K. Jürimäe, des Kammerpräsidenten C. Lycourgos, der Kammerpräsidentin I. Ziemele sowie der Richter M. Ilešič, J.-C. Bonichot, F. Biltgen, P. G. Xuereb (Berichterstatter), N. Piçarra und N. Wahl,
Generalanwalt: A. Rantos,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von IR, vertreten durch Rechtsanwalt M. Poduschka,
- der Volkswagen AG, vertreten durch die Rechtsanwälte H. Gärtner, F. Gebert, F. Gonsior, C. Harms, N. Hellermann, F. Kroll, M. Lerbinger, S. Lutz-Bachmann, L.-K. Mannefeld, K.-U. Opper, H. Posser, J. Quecke, K. Schramm, W. F. Spieth, J. von Nordheim, K. Vorbeck, B. Wolfers und B. Wollenschläger,
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und D. Klebs als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Huttunen und M. Noll-Ehlers als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. September 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Nr. 10 und Art. 5 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments u...