Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug
Normenkette
EGRL 9/2008 Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1, Art. 23
Beteiligte
Slovenské Energetické Strojárne |
Slovenské Energetické Strojárne a.s. |
Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága |
Verfahrensgang
Fővárosi Törvényszék (Ungarn) (Beschluss vom 18.11.2022; ABl. EU 2023, Nr. C 63/23) |
Tenor
1. Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom 12. Februar 2008 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige
ist im Lichte der Grundsätze der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Effektivität dahin auszulegen, dass
er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der es einem Steuerpflichtigen, der einen Antrag auf Erstattung der Mehrwertsteuer gestellt hat, verwehrt ist, in der Rechtsbehelfsphase bei einer Steuerbehörde zweiter Instanz zusätzliche Informationen im Sinne von Art. 20 dieser Richtlinie vorzulegen, die die Steuerbehörde erster Instanz angefordert hat und die der Steuerpflichtige dieser Behörde nicht innerhalb der in Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie vorgesehenen Frist von einem Monat vorgelegt hat, da es sich bei dieser Frist nicht um eine Ausschlussfrist handelt.
2. Art. 23 der Richtlinie 2008/9
ist dahin auszulegen, dass
er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der eine Steuerbehörde das Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer einstellen muss, wenn der Steuerpflichtige nicht innerhalb der Frist die von dieser Behörde gemäß Art. 20 dieser Richtlinie angeforderten zusätzlichen Informationen vorgelegt hat und der Erstattungsantrag in Ermangelung dieser Informationen nicht beurteilt werden kann, sofern die Einstellungsentscheidung als Ablehnung dieses Erstattungsantrags im Sinne von Art. 23 Abs. 1 dieser Richtlinie angesehen wird und mit einem Einspruch angefochten werden kann, der die Voraussetzungen von Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 dieser Richtlinie erfüllt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) mit Entscheidung vom 18. November 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Dezember 2022, in dem Verfahren
Slovenské Energetické Strojárne a.s.
gegen
Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal und der Richter F. Biltgen, N. Wahl, J. Passer sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin),
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Slovenské Energetické Strojárne a.s., vertreten durch P. Barta, T. Fehér und P. Jalsovszky, Ügyvédek,
- der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und R. Kissné Berta als Bevollmächtigte,
- des Rates der Europäischen Union, vertreten durch Zs. Bodnár, J. Haunold und E. d'Ursel als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaitė und A. Tokár als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. Dezember 2023
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 20 Abs. 2 und Art. 23 der Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom 12. Februar 2008 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige (ABl. 2008, L 44, S. 23), von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), der Art. 167 und 169 bis 171 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 (ABl. 2008, L 44, S. 11) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) sowie der Grundsätze der Neutralität der Mehrwertsteuer, der Effektivität und der Verhältnismäßigkeit.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Slovenské Energetické Strojárne a.s. und der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága (Direktion für Rechtsbehelfsangelegenheiten der nationalen Steuer- und Zollverwaltung, Ungarn, im Folgenden: Steuerbehörde zweiter Instanz) über die Einstellung des von dieser Gesellschaft im Jahr 2020 eingeleiteten Verfahrens zur Erstattung der Mehrwertsteuer.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Mehrwertsteuerrichtlinie
Rz. 3
Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.”
Rz. 4
Art. 170 dieser Richtlinie bestimmt:
„Jeder Steuerpflichtige, der im Sinne des … Artikels 2 Nummer 1 und des Artikels 3 der Richtlinie 2008/9/EG und des Artikels 171 der vorliegenden Richtlinie nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem er die Gegenstände und Dienstleistungen erwirb...