Entscheidungsstichwort (Thema)
Niederlassungsfreiheit. Freier Dienstleistungsverkehr. Beschränkungen. Gerichtssachverständige Übersetzer. Ausübung öffentlicher Gewalt. Nationale Regelung, die die Bezeichnung ‚Gerichtssachverständiger’ Personen vorbehält, die in von den nationalen Gerichtsbehörden erstellten Listen eingetragen sind. Rechtfertigung. Verhältnismäßigkeit. Begriff ‚reglementierter Beruf’
Normenkette
EG Art. 43, 49; Richtlinie 2005/36/EG
Beteiligte
Tenor
1. Ein Auftrag, mit dem ein Fachkundiger in seiner Eigenschaft als gerichtssachverständiger Übersetzer einzelfallbezogen von einem Gericht im Rahmen eines diesem unterbreiteten Rechtsstreits betraut wird, stellt eine Dienstleistung im Sinne von Art. 50 EG dar, dem heute Art. 57 AEUV entspricht.
2. Die Tätigkeiten der Gerichtssachverständigen auf dem Gebiet der Übersetzung wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden sind keine Tätigkeiten im Sinne von Art. 45 Abs. 1 EG, dem heute Art. 51 Abs. 1 AEUV entspricht, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind.
3. Art. 49 EG, dem heute Art. 56 AEUV entspricht, steht einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegen, wonach die Eintragung in eine Liste gerichtssachverständiger Übersetzer von Qualifikationsvoraussetzungen abhängt, ohne dass die Betroffenen von der Begründung der ihnen gegenüber ergangenen Entscheidung Kenntnis nehmen können und ohne dass gegen diese Entscheidung ein effektiver gerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, der es ermöglicht, deren Rechtmäßigkeit insbesondere im Hinblick auf die Beachtung des aus dem Unionsrecht folgenden Erfordernisses zu überprüfen, dass die in anderen Mitgliedstaaten erworbene und anerkannte Qualifikation der Betroffenen angemessen berücksichtigt wurde.
4. Art. 49 EG, dem heute Art. 56 AEUV entspricht, steht einem Erfordernis wie dem in Art. 2 des Gesetzes Nr. 71-498 vom 29. Juni 1971 über die Gerichtssachverständigen in der durch das Gesetz Nr. 2004-130 vom 11. Februar 2004 geänderten Fassung, wonach nicht als Übersetzer in die Landesliste der Gerichtssachverständigen aufgenommen werden kann, wer nicht nachweist, dass er in einer von einer Cour d'appel geführten Gerichtssachverständigenliste während dreier aufeinanderfolgender Jahre eingetragen war, entgegen, wenn sich herausstellt, dass ein derartiges Erfordernis bei der Prüfung des Antrags einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Person, die eine derartige Eintragung nicht nachweisen kann, verhindert, dass die von dieser Person erworbene und in diesem anderen Mitgliedstaat anerkannte Qualifikation angemessen bei der Feststellung berücksichtigt wird, ob und in welchem Umfang sie der Sachkunde gleichkommen kann, die normalerweise von einer Person erwartet wird, die während dreier aufeinanderfolgender Jahre in einer von einer Cour d'appel geführten Gerichtssachverständigenliste eingetragen gewesen ist.
5. Die Aufträge der gerichtssachverständigen Übersetzer, die von Sachverständigen erledigt werden, die in einer Liste wie der bei der Cour de cassation geführten Landesliste der Gerichtssachverständigen eingetragen sind, fallen nicht unter den Begriff „reglementierter Beruf” im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Cour de cassation (Frankreich) mit Entscheidungen vom 10. September 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 17. September 2009, in den Verfahren
Josep Peñarroja Fa
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richter K. Schiemann und L. Bay Larsen (Berichterstatter) sowie der Richterinnen C. Toader und A. Prechal,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: M.-A. Gaudissart, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. September 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Peñarroja Fa, die dieser selbst eingereicht hat,
- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, B. Messmer und A. Czubinski als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und J. Langer als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Støvlbæk, I. Rogalski und C. Vrignon als Bevollmächtigte,
- der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch X. Lewis, F. Simonetti und I. Hauger als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 43 EG, 45 EG, 49 EG und 50 EG, denen heute die Art. 49 AEUV, 51 AEUV, 56 AEUV und 57 AEUV entsprechen, sowie von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie ...