Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechtsangleichung. Abschalteinrichtung. Kraftfahrzeuge. Dieselmotor. Schadstoffemissionen. Programm, das auf den Rechner zur Motorsteuerung einwirkt. Technologien und Strategien, mit denen die Schadstoffemissionen begrenzt werden können
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Beteiligte
Tenor
1. Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge ist dahin auszulegen, dass eine in den Rechner zur Motorsteuerung integrierte oder auf ihn einwirkende Software ein „Konstruktionsteil” im Sinne dieser Bestimmung darstellt, da sie auf die Funktion des Emissionskontrollsystems einwirkt und dessen Wirksamkeit verringert.
2. Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass unter den Begriff „Emissionskontrollsystem” im Sinne dieser Bestimmung sowohl die Technologien und die Strategie der Nachbehandlung von Abgasen fallen, mit denen die Emissionen im Nachhinein, d. h. nach ihrer Entstehung, verringert werden, als auch diejenigen, mit denen – wie mit dem System zur Abgasrückführung – die Emissionen im Vorhinein, d. h. bei ihrer Entstehung, verringert werden.
3. Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass eine Einrichtung, die jeden Parameter im Zusammenhang mit dem Ablauf der in der Verordnung vorgesehenen Zulassungsverfahren erkennt, um die Leistung des Emissionskontrollsystems bei diesen Verfahren zu verbessern und so die Zulassung des Fahrzeugs zu erreichen, eine „Abschalteinrichtung” im Sinne dieser Bestimmung darstellt, selbst wenn eine solche Verbesserung punktuell auch unter normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs beobachtet werden kann.
4. Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Systems zur Kontrolle der Emissionen von Fahrzeugen verbessert, damit die in der Verordnung festgelegten Emissionsgrenzwerte eingehalten werden und so die Zulassung dieser Fahrzeuge erreicht wird, nicht unter die in dieser Bestimmung, die den Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs betrifft, vorgesehene Ausnahme vom Verbot solcher Einrichtungen fallen kann, selbst wenn die Einrichtung dazu beiträgt, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verhindern.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von den Juges d'instruction du tribunal de grande instance de Paris (Untersuchungsrichter des Regionalgerichts Paris, Frankreich) mit Entscheidung vom 26. Oktober 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Oktober 2018, in dem Strafverfahren gegen
X,
Beteiligte:
CLCV u. a.,
A u. a.,
B,
AGLP u. a.,
C u. a.,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev sowie der Richter T. von Danwitz und P. G. Xuereb (Berichterstatter),
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: V. Giacobbo, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. November 2019,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von X, vertreten durch D. Lecat, P. Benson und J. Philippe, avocats, sowie durch Rechtsanwalt R. B. A. Wollenschläger,
- von A u. a., vertreten durch C. Constantin-Vallet, avocat,
- von B, vertreten durch P. Peuvrel und X. Leuck, avocats,
- der AGLP u. a., vertreten durch F. Sartre, avocat,
- von C u. a., vertreten durch J. Bensaid und F. Verdier, avocats,
- der französischen Regierung, zunächst vertreten durch D. Colas, J. Traband, E. Leclerc und A.-L. Desjonquères, dann durch J. Traband, E. Leclerc und A.-L. Desjonquères als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Palatiello und P. Pucciariello, avvocati dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J.-F. Brakeland, M. Huttunen und A. C. Becker als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 30. April 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Nr. 10 und Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. 2007, L 171, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen das Unternehmen X, einen Automobilhersteller, dem zur Last gelegt wird, Fahrzeuge mit einer Software auf den französischen Markt ...