Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Freie Festsetzung des Kleinverkaufshöchstpreises von Tabakwaren durch Hersteller und Importeure. Nationale Regelung, die es den Einzelhändlern verbietet, solche Waren zu niedrigeren als den auf dem Steuerzeichen angegebenen Preisen zu verkaufen. Freier Warenverkehr. Verkaufsmodalitäten
Normenkette
Richtlinie 2011/64/EU Art. 15 Abs. 1; AEUV Art. 34, 101; EUV Art. 4 Abs. 3
Beteiligte
Etablissements Fr. Colruyt |
Établissements Fr. Colruyt NV |
Tenor
1. Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2011/64/EU des Rates vom 21. Juni 2011 über die Struktur und die Sätze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die es Einzelhändlern verbietet, Tabakwaren zu einem Einheitspreis zu verkaufen, der unter dem Preis liegt, den der Hersteller oder der Importeur auf dem an den Waren angebrachten Steuerzeichen angegeben hat, nicht entgegensteht, soweit dieser Preis vom Hersteller oder vom Importeur frei bestimmt wurde.
2. Art. 34 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die es Einzelhändlern verbietet, Tabakwaren zu einem Einheitspreis zu verkaufen, der unter dem Preis liegt, den der Hersteller oder der Importeur auf dem an den Waren angebrachten Steuerzeichen angegeben hat, nicht entgegensteht, soweit dieser Preis vom Importeur frei bestimmt wurde.
3. Art. 101 AEUV in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV ist dahin auszulegen, dass er nicht einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die es den Einzelhändlern verbietet, Tabakwaren zu einem Einheitspreis zu verkaufen, der unter dem Preis liegt, den der Hersteller oder der Importeur auf dem an den Waren angebrachten Steuerzeichen angegeben hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hof van beroep te Brussel (Berufungsgericht Brüssel, Belgien) mit Entscheidung vom 5. Mai 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Mai 2015, in dem Strafverfahren gegen
Établissements Fr. Colruyt NV
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter) sowie der Richter J.-C. Bonichot und C. G. Fernlund,
Generalanwalt: N. Wahl,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Februar 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Établissements Fr. Colruyt NV, vertreten durch R. Verstraeten und H. De Bauw, advocaten,
- der belgischen Regierung, zunächst vertreten durch N. Zimmer sowie J. Van Holm und M. Jacobs, dann durch J. Van Holm und M. Jacobs als Bevollmächtigte im Beistand von A. Fromont, advocaat,
- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, D. Colas, J. Bousin und S. Ghiandoni als Bevollmächtigte,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, A. Brigas Afonso und M. Rebelo als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Manhaeve, H. van Vliet und F. Tomat als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. April 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2011/64/EU des Rates vom 21. Juni 2011 über die Struktur und die Sätze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren (ABl. 2011, L 176, S. 24) in Verbindung mit den Art. 20 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), von Art. 34 AEUV sowie von Art. 101 AEUV in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen die Établissements Fr. Colruyt NV (im Folgenden: Colruyt) wegen Verkaufs von Tabakwaren zu einem Einheitspreis, der unter dem Preis lag, den der Hersteller oder der Importeur auf dem an diesen Waren angebrachten Steuerzeichen angegeben hatte.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 2, 3, 9 und 10 der Richtlinie 2011/64 heißt es:
„(2) Die Steuervorschriften der Union für Tabakwaren sollten das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes und gleichzeitig ein hohes Gesundheitsschutzniveau … gewährleisten …
(3) Eines der Ziele des Vertrags über die Europäische Union ist es, eine Wirtschaftsunion, die einem innerstaatlichen Markt ähnlich ist und in der gesunder Wettbewerb herrscht, aufrechtzuerhalten. Im Bereich der Tabakwaren setzt dies voraus, dass die in den Mitgliedstaaten auf die Erzeugnisse dieses Sektors erhobenen Verbrauchsteuern die Wettbewerbsbedingungen nicht verfälschen und den freien Verkehr dieser Erzeugnisse in der Union nicht behindern.
…
(9) Die Harmonisierung der Strukturen der Verbrauchsteuern muss insbesondere dazu führen, dass der Wettbewerb zwischen den einer gleichen Gruppe angehörenden Kategorien von Tabakwaren durch die Folgen der Besteuerung nicht verfälscht wird und dass es zur Öffnung der nationalen Märkte der ...