Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Humanarzneimittel. Begriff ‚Werbung für Arzneimittel’. Zweckmäßiger Einsatz von Arzneimitteln. Verbotene Werbeelemente. Werbung für Arzneimittel, die weder verschreibungspflichtig noch erstattungsfähig sind. Preisbezogene Werbung. Werbung für Sonderangebote. Werbung für kombinierte Verkäufe. Verbot
Normenkette
Richtlinie 2001/83/EG Art. 86 Abs. 1, Art. 87 Abs. 3, Art. 90
Beteiligte
Tenor
1. Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 geänderten Fassung
ist dahin auszulegen, dass
die Verbreitung von Informationen, die den Kauf von Arzneimitteln fördern, indem die Notwendigkeit dieses Kaufs anhand des Preises der Arzneimittel gerechtfertigt wird, ein Sonderverkauf angekündigt wird oder angegeben wird, dass diese Arzneimittel zusammen mit anderen Arzneimitteln (einschließlich zu einem reduzierten Preis) oder anderen Waren verkauft wird, auch dann unter den Begriff „Werbung für Arzneimittel” im Sinne dieser Bestimmung fällt, wenn sich diese Informationen nicht auf ein bestimmtes Arzneimittel, sondern auf unbestimmte Arzneimittel beziehen.
2. Art. 87 Abs. 3 und Art. 90 der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung
sind dahin auszulegen, dass
sie einer nationalen Vorschrift nicht entgegenstehen, die es verbietet, in die Öffentlichkeitswerbung für nicht verschreibungspflichtige und nicht erstattungsfähige Arzneimittel Informationen aufzunehmen, die den Kauf von Arzneimitteln fördern, indem die Notwendigkeit dieses Kaufs anhand des Preises der Arzneimittel gerechtfertigt wird, ein Sonderverkauf angekündigt wird oder angegeben wird, dass diese Arzneimittel zusammen mit anderen Arzneimitteln (einschließlich zu einem reduzierten Preis) oder anderen Waren verkauft werden.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Latvijas Republikas Satversmes tiesa (Verfassungsgericht, Lettland) mit Entscheidung vom 6. Oktober 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Oktober 2020, in dem Verfahren
„EUROAPTIEKA” SIA,
Beteiligter:
Ministru kabinets,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, der Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, C. Lycourgos, E. Regan und P. G. Xuereb, der Kammerpräsidentin L. S. Rossi (Berichterstatterin), des Kammerpräsidenten D. Gratsias und der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún, der Richter J.-C. Bonichot, S. Rodin, F. Biltgen, M. Gavalec und Z. Csehi sowie der Richterin O. Spineanu-Matei,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der „EUROAPTIEKA” SIA, vertreten durch M. Pētersons, Advokāts,
- der griechischen Regierung, vertreten durch A. Dimitrakopoulou und V. Karra als Bevollmächtigte,
- der lettischen Regierung, vertreten durch K. Pommere, I. Romanovska und V. Soņeca als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Sauka und A. Sipos als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. Dezember 2021,
auf den Beschluss vom 2. März 2022 über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und auf die mündliche Verhandlung vom 22. März 2022,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der „EUROAPTIEKA” SIA, vertreten durch M. Pētersons, Advokāts,
- der lettischen Regierung, vertreten durch J. Davidoviča und I. Romanovska als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Sauka und A. Sipos als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der ergänzenden Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. Juni 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 86 Abs. 1, Art. 87 Abs. 3 und Art. 90 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 67) in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 (ABl. 2004, L 136, S. 34) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/83).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Verfahrens, das von der „EUROAPTIEKA” SIA, einer Gesellschaft mit Sitz in Lettland, die eine pharmazeutische Tätigkeit in diesem Mitgliedstaat ausübt, eingeleitet wurde, in dem es um die Rechtmäßigkeit einer nationalen Vorschrift geht, die bestimmte Formen der Arzneimittelwerbung verbietet.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 2 und 45 der Richtlinie 2001/83 lauten:
„(2) Alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet der Herstellung, des Vertriebs oder der ...