Entscheidungsstichwort (Thema)
Öffentliche Bauaufträge. Richtlinie 2004/18/EG. Art. 43 EG und 49 EG. Grundsatz der Gleichbehandlung. Unternehmenskonsortien. Verbot an ein ‚Consorzio stabile’ (‚Festes Konsortium’) und eine ihm angehörende Gesellschaft, sich als Konkurrenten an derselben Ausschreibung zu beteiligen
Beteiligte
Consorzio stabile edili Scrl |
Tenor
Das Gemeinschaftsrecht ist dahin auszulegen ist, dass es einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, die in einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags, dessen Wert den in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge vorgesehenen Schwellenwert nicht erreicht, der aber ein grenzüberschreitendes Interesse aufweist, den automatischen Ausschluss sowohl eines festen Konsortiums als auch seiner Mitgliedsunternehmen von der Teilnahme an diesem Verfahren und die Verhängung strafrechtlicher Sanktionen gegen sie vorsieht, wenn diese Unternehmen im Rahmen derselben Ausschreibung konkurrierende Angebote zu dem des Konsortiums eingereicht haben, auch wenn das Angebot des Konsortiums nicht für Rechnung und im Interesse dieser Unternehmen abgegeben worden sein soll.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia (Italien) mit Entscheidung vom 2. April 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 18. August 2008, in dem Verfahren
Serrantoni Srl,
Consorzio stabile edili Scrl
gegen
Comune di Milano,
Beteiligte:
Bora Srl Construzioni edili,
Unione consorzi stabili Italia (UCSI),
Associazione nazionale imprese edili (ANIEM),
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Dritten Kammer K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter), G. Arestis und T. von Danwitz,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch C. Zadra und D. Recchia als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114), der Art. 39 EG, 43 EG, 49 EG und 81 EG sowie der allgemeinen Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Baugesellschaft Serrantoni Srl (im Folgenden: Serrantoni) und der Comune di Milano (Stadt Mailand) hinsichtlich deren Entscheidung, Serrantoni von der Teilnahme an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Bauauftrags auszuschließen.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Rz. 3
Der zweite Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/18 lautet:
„Die Vergabe von Aufträgen in den Mitgliedstaaten auf Rechnung des Staates, der Gebietskörperschaften und anderer Einrichtungen des öffentlichen Rechts ist an die Einhaltung der im [EG-]Vertrag niedergelegten Grundsätze gebunden, insbesondere des Grundsatzes des freien Warenverkehrs, des Grundsatzes der Niederlassungsfreiheit und des Grundsatzes der Dienstleistungsfreiheit sowie der davon abgeleiteten Grundsätze wie z. B. des Grundsatzes der Gleichbehandlung, des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung, des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung, des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Grundsatzes der Transparenz. Für öffentliche Aufträge, die einen bestimmten Wert überschreiten, empfiehlt sich indessen die Ausarbeitung von auf diesen Grundsätzen beruhenden Bestimmungen zur gemeinschaftlichen Koordinierung der nationalen Verfahren für die Vergabe solcher Aufträge, um die Wirksamkeit dieser Grundsätze und die Öffnung des öffentlichen Beschaffungswesens für den Wettbewerb zu garantieren. Folglich sollten diese Koordinierungsbestimmungen nach Maßgabe der genannten Regeln und Grundsätze sowie gemäß den anderen Bestimmungen des Vertrags ausgelegt werden.”
Rz. 4
Art. 2 dieser Richtlinie sieht vor:
„Die öffentlichen Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer gleich und nichtdiskriminierend und gehen in transparenter Weise vor.”
Rz. 5
Art. 4 („Wirtschaftsteilnehmer”) der Richtlinie bestimmt:
„(1) Bewerber oder Bieter, die gemäß den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sie ihre Niederlassung haben, zur Erbringung der betreffenden Leistung berechtigt sind, dürfen nicht allein deshalb zurückgewiesen werden, weil sie ...