Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Eilvorabentscheidungsverfahren. Asyl- und Einwanderungspolitik. Gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes. Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen. Inhaftnahme des Antragstellers. Haftgrund. Schutz der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung. Inhaftnahme des Asylbewerbers aufgrund seiner illegalen Einreise in das Unionsgebiet

 

Normenkette

EURL 95/2011 Art. 4; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 18; Richtlinie 2013/32/EU Art. 6-7; Richtlinie 2013/33/EU Art. 8

 

Beteiligte

Valstybės sienos apsaugos tarnyba

M.A

 

Tenor

1. Art. 6 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes sind dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, wonach im Fall der Verhängung des Kriegsrechts oder eines Ausnahmezustands oder der Ausrufung einer Notlage wegen eines massiven Zustroms von Ausländern illegal aufhältige Drittstaatsangehörigede factokeine Möglichkeit haben, im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats Zugang zum Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zu erlangen.

2. Art. 8 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, ist dahin auszulegen, dass er den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach denen im Fall der Verhängung des Kriegsrechts oder eines Ausnahmezustands oder der Ausrufung einer Notlage wegen eines massiven Zustroms von Ausländern ein Asylbewerber in Haft genommen werden kann, nur weil er sich illegal im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats aufhält.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht von Litauen) mit Entscheidung vom 2. Februar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Februar 2022, in dem Verfahren

M.A.,

Beteiligter:

Valstybės sienos apsaugos tarnyba,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter), des Vizepräsidenten des Gerichtshofs L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Ersten Kammer, der Richterin I. Ziemele sowie der Richter P. G. Xuereb und A. Kumin,

Generalanwalt: N. Emiliou,

Kanzler: M. Siekierzyńska, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. April 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von M.A., vertreten durch I. Botyrienė, Advokatė,
  • der litauischen Regierung, vertreten durch K. Dieninis und V. Vasiliauskienė als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Azema, S. L. Kalėda und A. Steiblytė als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. Juni 2022

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9), von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60) sowie von Art. 8 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. 2013, L 180, S. 96).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Verfahrens zwischen M.A., einem Drittstaatsangehörigen, und dem Valstybės sienos apsaugos tarnyba (Staatlicher Grenzschutzdienst beim Innenministerium der Republik Litauen) (im Folgenden: VSAT) wegen dessen Antrags auf Inhaftnahme von M.A.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2011/95

Rz. 3

Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95 lautet:

„Die Mitgliedstaaten können es als Pflicht des Antragstellers betrachten, so schnell wie möglich alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte darzulegen. Es ist Pflicht des Mitgliedstaats, unter Mitwirkung des Antragstellers die für den Antrag maßgeblichen Anhaltspunkte zu prüfen.”

Richtlinie 2013/32

Rz. 4

In Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2013/32 heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

c) ‚Antragsteller’ einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, über den n...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge