1 Leitsatz
Klagt die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer künftig fällig werdende Vorschüsse ein, bis wirksam über neue Vorschüsse beschlossen ist, bemisst sich der Gebührenwert für diesen Antrag nicht mit dem 3,5-fachen Jahresbetrag, wenn der Wirtschaftsplan typischerweise jährlich angepasst wird.
2 Normenkette
§ 28 Abs. 1 Satz 1 WEG; § 48 GKG; § 3 ZPO
3 Das Problem
Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer K beantragt unter anderem, Wohnungseigentümer B zur Zahlung fälliger Vorschüsse zur Kostentragung für Zeiträume von August 2022 bis April 2023 von insgesamt 1.926,36 EUR (Antrag zu 1) und zur Zahlung künftig – ab 5.5.2023 – fälliger Vorschüsse von monatlich 236,73 EUR zu verurteilen, bis wirksam über neue Vorschüsse beschlossen sei. Den Anträgen liegt der im Jahr 2021 gefasste Beschluss über die Vorschüsse zur Kostentragung für das Wirtschaftsjahr 2022 zugrunde. Dieser bestimmt, dass die Vorschüsse für das Jahr 2022 so lange gelten, bis ein neuer Beschluss über Vorschüsse gefasst wird. Im Rahmen einer Beschwerde wird fraglich, wie der Gebührenstreitwert für die künftigen Vorschüsse zu bemessen ist.
4 Die Entscheidung
Das LG meint, der Wert sei mit dem 12-fachen des geforderten monatlichen Vorschusses von 236,73 EUR zu bemessen. Die Frage, mit welchem Wert ein Antrag auf Zahlung künftig fälliger Vorschüsse zu bemessen sei, werde allerdings unterschiedlich beurteilt. Nach einer Ansicht solle sich der Wert nach dem 3,5-fachen Jahresbetrag gemäß § 9 ZPO richten, wenn der zugrunde liegende Wirtschaftsplan – wie hier – eine Klausel der Fortgeltung bis zur Beschlussfassung über einen neuen Wirtschaftsplan enthalte (Hinweis unter anderem auf LG Karlsruhe, Beschluss v. 8.7.2022, 11 T 42/22). Nach der Gegenauffassung bemesse sich der Streitwert für Anträge auf Zahlung künftigen Hausgelds selbst dann, wenn der Wirtschaftsplan und die Anträge eine Fortgeltungsklausel enthalten würden, nach § 3 ZPO, da anzunehmen sei, dass die Vorschüsse jährlich neu berechnet werden (Hinweis unter anderem auf LG Frankfurt a. M., Beschluss v. 10.5.2023, 2-13 T 25/23, WuM 2023, 433). Dieser Sichtweise sei zu folgen. Soweit § 9 Satz 1 ZPO bestimme, dass der Wert eines Rechts auf wiederkehrende Nutzungen und Leistungen nach dem 3,5-fachen Wert des einjährigen Bezugs berechnet werde, sei diese Vorschrift nur auf solche Rechte anzuwenden, die ihrer Natur nach und erfahrungsgemäß jedenfalls von einer dem in § 9 ZPO genannten Zeitraum entsprechenden Dauer seien. Ansprüche auf Zahlung von Vorschüssen stellten kein solches Recht dar. Der Wirtschaftsplan, der Grundlage für die Beschlussfassung über Vorschüsse sei, müsse gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 WEG jährlich aufgestellt werden, sodass typischerweise auch jährlich über Vorschüsse entschieden werde. Der hiesige Fall bilde keine Ausnahme. Tatsächlich habe zwischen der Beschlussfassung über die Vorschüsse für das Jahr 2022 – am 1.12.2021 – und der Beschlussfassung über die Vorschüsse für das Jahr 2023 – am 30.3.2023 – ein Zeitraum von nur etwas über einem Jahr gelegen. Die Bemessung des Werts für Rechte auf wiederkehrende Leistungen mit typischerweise geringerer Laufzeit als 3 ½ Jahren habe nach § 3 ZPO zu erfolgen. Der für diese Rechte nach freiem Ermessen zu schätzende Gebührenwert sollte sich nach Auffassung der Kammer an der jeweils zu erwartenden Laufzeit orientieren.
5 Hinweis
Problemüberblick
In dem Fall geht es um die Frage, ob sich der Gebührenstreitwert für eine Klage auf Zahlung künftiger Vorschüsse (§ 258 ZPO) gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG in Verbindung mit § 9 ZPO nach dem 3,5-fachen Jahresbetrag richtet, wenn es eine Fortgeltungsklausel gibt. Das wird gegen LG Karlsruhe, Beschluss v. 8.7.2022, 11 T 42/22, mit Anm. Elzer, ZMR 2022, 922, und mit LG Frankfurt a. M., Beschluss v. 10.5.2023, 2-13 T 25/23, WuM 2023, 433 verneint.
Anwendungsbereich von § 9 ZPO
§ 9 ZPO bezieht sich erstens auf Fallgestaltungen, bei denen ein Recht, das "Stammrecht", sich darin ausdrückt, Ansprüche auf wiederkehrende Nutzungen oder Leistungen zu gewähren (BGH v. 6.10.2011, V ZB 72/11, Rn. 10). Nach herrschender Meinung geht es zweitens nur um solche Stammrechte, bei denen Nutzungen oder Leistungen zu erwarten sind, die ihrer Natur nach und erfahrungsgemäß (= üblicherweise) eine Dauer von wenigstens 3,5 Jahren haben oder jedenfalls mit Rücksicht auf den Grad der Unbestimmtheit des Zeitpunkts, wann das den Wegfall des Rechts begründende Ereignis eintritt, eine solche Dauer haben können. Das LG Berlin II sieht, dass eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ihren Anspruch auf Vorschuss aus § 28 Abs. 1 Satz 1 WEG gegen einen Wohnungseigentümer erfahrungsgemäß, wenn auch nicht zwingend, jährlich neu begründen wird. Eine Fortgeltungsklausel ändert an diesem bundesweiten Erfahrungssatz nichts. Der Gebührenstreitwert ist mithin nach § 3 ZPO zu ermitteln.
Was ist für die Verwaltungen besonders wichtig?
Der Fall zeigt, dass man auch auf künftige Vorschüsse klagen kann. Das muss einer Verwaltung bekannt sein. Die Frage sollte mit einem Anwalt, der den Hausgeldprozess führt, besprochen werden. Vorauss...