Leitsatz (amtlich)

1. Bei öffentlich-rechtlichen Unterbringungsmaßnahmen muss ein Verfahrenspfleger bestellt werden, wenn die Sprachkenntnisse des Betroffenen nicht ausreichen, um eine von Sprachschwierigkeiten unbeeinträchtigte Wahrnehmung seiner Interessen zu gewährleisten.

2. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers ist zudem unerlässlich, wenn eine ärztliche Stellungnahme nach § 70e Abs. 1 Satz 2 FGG in Abwesenheit des Betroffenen abgegeben wird.

3. Im Beschwerdeverfahren kommt die (rückwirkende) Heilung eines in der Verletzung des rechtlichen Gehörs liegenden Verfahrensfehlers des AG nicht in Betracht, wenn Gegenstand der Beschwerde allein die Frage ist, ob die Unterbringungsmaßnahme zu Recht erfolgte und nicht die Frage, ob die Maßnahme für die Zukunft aufrecht erhalten werden darf oder beendet werden muss.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 07.10.2002; Aktenzeichen 87 T XIV 18/02)

AG Berlin-Charlottenburg (Aktenzeichen 51 XIV 33/02)

 

Tenor

Der Beschluss des LG Berlin vom 7.10.2002 wird geändert:

Es wird festgestellt, dass die Anordnung der vorläufigen Unterbringung der Betroffenen durch den Beschluss des AG Charlottenburg vom 19.7.2002 rechtswidrig war.

Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

 

Gründe

A. Die Betroffene begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der durch Beschluss des AG Charlottenburg vom 19.7.2002 angeordneten vorläufigen Unterbringung, in deren Vollzug sie vom 19. bis 23.7.2002 auf der geschlossenen Station der psychiatrischen Klinik des Beteiligten zu 2) untergebracht war.

Die Betroffene, die wegen einer atypischen Lungenentzündung vom 11. bis zum 18.7.2002 auf der Intensivstation im Klinikum W. behandelt worden war und bei deutlicher Besserung ihres pulmonalen Zustandes am 18.7.2002 auf eigenen Wunsch zur Weiterbe-handlung in die Lungenklinik H. verlegt werden sollte, war in der Lungenklinik H wegen ihres Verhalten aufgefallen und wurde am selben Tag zwangsweise zunächst zur Ersten Hilfe, Psychiatrie, sodann in die psychiatrische Kriseninterventionsstation des Klinikums B.F. gebracht. Hier wehrte sie sich am 19.7.2002 gegen das Pflegepersonal, wobei sie sich schreiend auf den Boden vor den Aufzügen warf, zu beißen versuchte und im Krankenzimmer ein Bild von der Wand riss und zerbrach. Die hinzugezogene Amtsärztin des Beteiligten zu 1) ordnete die behördliche Unterbringung in der psychiatrischen Klinik des Beteiligten zu 2) an und stellte zugleich einen Antrag auf gerichtliche Unterbringung nach § 8 Abs. 1 des Gesetzes für psychisch Kranke (PsychKG).

Zu diesem Antrag des Beteiligten zu 1 auf gerichtliche Entscheidung hat das AG die Betroffene, eine seit 15 Jahren in Deutschland lebende und an der Universität die englische Sprache unterrichtende Britin, noch am 19.7.2002 persönlich angehört. Diese berichtete - in nicht fehlerfreiem Deutsch - von einem Konflikt im Krankenhaus H. und stellte ihr Verhalten im Klinikum B.F. als Protest gegen die Verbringung auf eine psychiatrische Station dar. Dazu erklärte der als Sachverständiger gehörte Oberarzt Dr. R. in Abwesenheit der Betroffenen, die Betroffene leide an einem depressiven Syndrom, einer Persönlichkeitsstörung mit vorübergehender Aggressivität. Die Aggressivität könne erneut ausbrechen, die Suizidalität sei nicht geklärt. Er halte die Unterbringung für zwei Wochen zur weiteren diagnostischen Abklärung für unbedingt erforderlich.

Mit Beschluss vom 19.7.2002 hat das AG Charlottenburg im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Unterbringung der Betroffenen für die Dauer von 2 Wochen angeordnet. Zur Begründung wird ausgeführt, aus dem Gutachten des antragstellenden Gesundheitsamtes ergebe sich, dass bei der Betroffenen derzeit eine akute Erkrankung mit dadurch hervorgerufener ernstlicher Fremdgefährdung i.S.d. §§ 1 und 8 PsychKG vorliege. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers hat das AG nicht für erforderlich gehalten.

Nachdem die Betroffene am 23.7.2002 aus der psychiatrischen Klinik des Beteiligten zu 2) entlassen worden war, da eine Suizidalität "im weiteren Verlauf klar verneint" werden konnte, hat das AG den Beschluss vom 19.7.2002 aufgehoben. Die Betroffene hat am 14.8.2002 sofortige Beschwerde mit dem Ziel eingelegt, die Rechtswidrigkeit des Unterbringungsbeschlusses festzustellen. Diese Beschwerde hat das LG mit dem angefochtenen Beschluss vom 7.10.2002 zurückgewiesen.

B. Die sofortige weitere Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des LG vom 7.10.2002 ist zulässig (§§ 27, 29 FGG) und begründet. Die angefochtene Entscheidung kann aus Rechtsgründen nicht bestehen bleiben (§ 27 FGG, § 546 ZPO). Das LG hätte der Erstbeschwerde der Betroffenen stattgeben und die Rechtswidrigkeit der einstweiligen Anordnung des AG vom 19.7.2002 feststellen müssen, weil diese unter Verletzung des Anspruchs der Betroffenen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ergangen ist. Das AG hat der Betroffenen keinen Verfahrenspfleger nach § 70b FGG bestellt, obwohl die...

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