Leitsatz (amtlich)

1. Die Anordnung einer vorläufigen Unterbringung kann nicht auf der Grundlage des ärztlichen Zeugnisses eines Orthopäden erfolgen, dessen Qualifikation auf psychiatrischem bzw. neurologischem Gebiet weder ersichtlich noch dargetan ist.

2. Wird bei der Anordnung einer vorläufigen Unterbringung wegen Gefahr im Verzug von der Bestellung eines Verfahrenspflegers abgesehen, so ist die Entscheidung hierüber unverzüglich nachzuholen.

3. Auch eine vorläufige Unterbringung erfordert hinreichend konkrete Feststellungen zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 PsychKG.

 

Normenkette

PsychKG § 11 Abs. 1; FGG §§ 67, 68b, 69f Abs. 1 Nr. 2, §§ 70b, 70h Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Andernach (Aktenzeichen 10 XIV 187/02.L)

LG Koblenz (Aktenzeichen 2 T 215/02)

 

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die einstweilige Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Abteilung rechtswidrig war.

2. Das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Betroffenen findet weder im Verfahren der Erstbeschwerde noch in dem der sofortigen weiteren Beschwerde statt.

 

Gründe

I. Das Rechtsmittel ist zulässig. Der Umstand, dass die Betroffene am 24.4.2002 und mithin fünf Tage nach Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde aus der geschlossenen psychiatrischen Einrichtung entlassen worden ist, lässt ihr Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen. Wie der Senat im Anschluss an die neuere Rechtsprechung des BVerfG bereits mehrfach entschieden hat, bleibt die sofortige weitere Beschwerde vielmehr mit dem Ziel einer Feststellung der Rechtswidrigkeit der Unterbringungsmaßnahme zulässig (vgl. BVerfG NJW 1997, 2163; v. 24.3.1998 – 1 BvR 1935/96 u.a. NJW 1998, 2131 und v. 10.5.1998 – 2 BvR 978/97, 2432; OLG Zweibrücken FamRZ 2000, 303 m.w.N.). Auch i.Ü. unterliegt das Rechtsmittel keinen förmlichen Beanstandungen (§§ 70 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, 70g Abs. 3 S. 1, 70m Abs. 1, 29 Abs. 1 und 2, 22 Abs. 1 FGG).

II. In der Sache führt das Rechtsmittel zum Erfolg. Die Entscheidung des LG beruht auf einer Verletzung des Rechts (§ 27 Abs. 1 FGG). Sowohl der die Unterbringung der Betroffenen anordnende Beschluss des AG Andernach als auch die Beschwerdeentscheidung des LG Koblenz sind verfahrensfehlerhaft zustande gekommen und damit rechtswidrig.

Die Voraussetzungen einer vorläufigen Unterbringung nach § 11 PsychKG i.V.m. § 70h Abs. 1 FGG waren hier nicht erfüllt, weil zunächst das ärztliche Zeugnis, auf welches die Anordnung gestützt wurde, nicht ausreichend war und darüber hinaus die Bestellung eines Verfahrenspflegers unterblieben bzw. die Anhörung der Betroffenen im Beschwerdeverfahren nicht in Anwesenheit ihres Verfahrensbevollmächtigten erfolgt ist. Des Weiteren hat das LG nicht in jeder Hinsicht ausreichende Feststellungen zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 PsychKG getroffen (§ 12 FGG).

1. Das der Anordnung der Unterbringung zugrunde liegende ärztliche Zeugnis des Dr. B. vom 16.3.2002 genügte den Anforderungen der §§ 69f Abs. 1 Nr. 2, 68b FGG nicht. Nach der über § 70h Abs. 1 S. 2 FGG entspr. geltenden Vorschrift des § 69f Abs. 1 Nr. 2 FGG kann das Gericht durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Unterbringung anordnen, wenn ein ärztliches Zeugnis über den Zustand des Betroffenen vorliegt und sich daraus dringende Gründe für die Annahme ergeben, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Unterbringung vorliegen und mit dem Aufschub Gefahr verbunden wäre. Der das ärztliche Zeugnis ausstellende Arzt muss in gleichem Umfang qualifiziert sein wie der Sachverständige nach § 68b FGG. Wenn es sich – wie hier – um medizinische Gesichtspunkte handelt, dann sind in erster Linie Amtsärzte, Gerichtsärzte oder Fachärzte für Psychiatrie und/oder Neurologie zu bestellen. Zumindest muss der Sachverständige erkennbar ein in der Psychiatrie erfahrener Arzt sein; den Umfang der Erfahrungen muss das Gericht durch Rückfragen beim Gutachter klären (§ 12 FGG) und in der Entscheidung darlegen (vgl. BayObLG v. 12.5.1992 – 1 C 37/90, FamRZ 1993, 51; FamRZ 1997, 1565 und v. 13.11.1996 – 3 Z BR 278/96, BayObLGReport 1997, 38 = FamRZ 1997, 901; KG v. 20.12.1994 – 1 W 6687/94, KGReport Berlin 1995, 248 = FamRZ 1995, 1379; Keidel/Kuntze/Winkler/Kayser, FG, 14. Aufl., § 69f Rz. 6, § 68b Rz. 6). An dieser Voraussetzung hat es hier gefehlt. Bei dem das ärztliche Zeugnis ausstellenden Dr. B. handelt es um einen Orthopäden, der am Tage der Untersuchung, einem Samstag, Notarztdienst hatte. Dessen Qualifikation auf psychiatrischem bzw. neurologischem Gebiet ist weder ersichtlich noch in dem die Unterbringung anordnenden Beschluss des AG dargelegt. Erst am 18.3.2002 wurde dieser Mangel geheilt. Denn an diesem Tag hatte der die Betroffene in … behandelnde Oberarzt Dr. A., an dessen Qualifikation für die hier zu treffende Entscheidung keine Zweifel bestehen, ein ärztliches Gutachten erstattet.

2. Für die Zeit ab 18.3.2002 leidet der Beschluss des AG indes daran, dass die nach §§ 69f Abs. 1 Nr. 3, 70b ...

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