Leitsatz (amtlich)
1. Das Gericht, dem die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts obliegt, kann in ein und demselben Beschluss nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO das örtlich zuständige Gericht und analog § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO den innerhalb jenes Gerichts nach § 72a Abs. 1 GVG zuständigen spezialisierten Spruchkörper bestimmen.
2. Es ist angemessen, als örtlich zuständiges Gericht dasjenige zu bestimmen, in dessen Bezirk der räumliche Schwerpunkt des Rechtsstreits liegt. Beabsichtigt ein Insolvenzverwalter eine Klage gegen mehrere Gegner und haben einige von ihnen ihren Sitz an dem Ort, an dem auch die Schuldnerin ihren Sitz hatte, spricht alles dafür, das für diesen Ort zuständige Gericht auszuwählen, auch wenn ein weiterer Gegner seinen Sitz woanders hat. Das gilt insbesondere, wenn der weitere Gegner ein bundesweit tätiger Versicherer ist, weil ihm zuzumuten ist, fernab seines Sitzes verklagt zu werden.
3. Eine insolvenzrechtliche Streitigkeit i.S.v. § 72a Abs. 1 Nr. 7 GVG liegt vor bei Haftungsklagen gegen Insolvenzverwalter oder Haftungsklagen gegen Geschäftsleiter wegen Zahlungen bei materieller Insolvenz oder Insolvenzverschleppung, nicht aber bei einer Schadensersatzklage gegen Rechtsanwälte und Steuerberater, die darauf gestützt wird, dass jene es pflichtwidrig versäumt hätten, den Geschäftsführer der Schuldnerin auf die Notwendigkeit eines Insolvenzeröffnungsantrags hinzuweisen. Eine solche Schadensersatzklage gegen Rechtsanwälte und Steuerberater ist selbst dann eine allgemeine Zivilsache nach § 71 Abs. 1 GVG, wenn das Präsidium im Geschäftsverteilungsplan dem nach § 72a Abs. 1 Nr. 7 GVG für Insolvenzsachen eingerichteten spezialisierten Spruchkörper auch solche Schadenersatzprozesse gegen Rechtsanwälte zugewiesen hat, denen Anwaltstätigkeiten aus dem Insolvenzrecht zugrunde liegen.
4. Ist im Verhältnis zu einem Gegner ein nach § 72a Abs. 1 GVG eingerichteter spezialisierter Spruchkörper, im Verhältnis zu einem anderen Gegner aber eine allgemeine Zivilkammer zuständig, ist analog § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO als zuständiger Spruchkörper der spezialisierte auszuwählen, weil nur so der Wille des Gesetzgebers, in diesen Spruchkörpern Spezialwissen aufzubauen und damit eine Qualitätssteigerung in der Bearbeitung zu erzielen, erreicht werden kann. Der spezialisierte Spruchkörper ist sogar auszuwählen, wenn den Schwerpunkt des Rechtsstreit Fragen bilden, die mit der Spezialzuständigkeit nichts zu tun haben (hier: Auswahl der für Streitigkeiten aus Versicherungsvertragsverhältnissen zuständigen Kammer, obwohl sich der Prozess um insolvenzrechtliche Fragen dreht).
5. Die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist möglich, wenn der klagende Insolvenzverwalter wegen verspäteter Stellung des Insolvenzeröffnungsantrags aus eigenem Recht der Schuldnerin und abgetretenem Recht des Geschäftsführers Ansprüche gegen den D&O-Versicherer sowie die Rechtsanwälte und Steuerberater, die den Geschäftsführer nicht auf die Insolvenzreife hinwiesen, geltend macht. Der versicherungsvertragliche Anspruch auf Entschädigung und die Schadensersatzansprüche gegen die Rechtsanwälte und Steuerberater betreffen einen im wesentlichen gleichen Lebenssachverhalt, so dass der Versicherer, die Rechtsanwälte und die Steuerberater Streitgenossen i.S.v. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO sind.
6. Das Gericht, das nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO das zuständige Gericht oder den zuständigen Spruchkörper bestimmt, legt seiner Entscheidung nur den Vortrag des Antragstellers zugrunde. Es prüft nicht, ob die beabsichtigte Klage zulässig oder schlüssig ist, sondern nur, ob der Vortrag des Antragstellers zum Vorliegen einer Streitgenossenschaft i.S.v. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO schlüssig ist.
7. Der besondere Gerichtsstand des § 215 Abs. 1 Satz 1 VVG gilt nur für den Versicherungsnehmer. Er gilt weder für den Insolvenzverwalter über das Vermögen des Versicherungsnehmers noch für den Zessionar, dem die versicherungsvertraglichen Ansprüche abgetreten wurden, weil beide nicht im gleichen Maße schutzwürdig sind wie der Versicherungsnehmer.
Normenkette
GVG § 71 Abs. 1, §§ 72, 72a Abs. 1 Nr. 7; VVG § 215 Abs. 1 S. 1; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3
Tenor
Das Landgericht Berlin II wird für die gegen die Beklagten zu 1.) bis 4.) gerichtete Klage gemeinsam zuständiges Gericht bestimmt.
Als funktionell gemeinsam zuständiges Gericht wird die für Streitigkeiten aus Versicherungsvertragsverhältnissen gem. § 72a Abs. 1 Nr. 4 GVG nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständige Kammer des Landgerichts Berlin II bestimmt.
Gründe
I. Der Kläger nimmt in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen der ... (im folgenden "Schuldnerin") vor dem Landgericht Berlin die Beklagten zu 1.) bis 4.) als, hilfsweise wie, Gesamtschuldnerinnen auf Zahlung von 1.500.000,00 EUR nebst Zinsen, die Beklagten zu 2.) bis 4.) zudem als, hilfsweise wie, Gesamtschuldnerinnen auf Zahlung weiterer 876.125,75 EUR nebst Zinsen in Anspruch.
Er trägt vor, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei aufgrund Beschlus...