Treuwidrige Anmaßung der Gesellschafterstellung – Ansprüche des Mitgesellschafters
Dem Urteil des Kammergerichts liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: S (der Beklagte) war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der F GmbH. Er hielt jedoch 80 % der Anteile treuhänderisch für P (den Kläger). Am 26. August 2011 kündigte P den Treuhandvertrag, sodass die 80%ige Beteiligung auf ihn überging. Der den Treuhandvertrag seinerzeit beurkundende Notar reichte daraufhin eine neue Gesellschafterliste ein, die P mit 80 % und S mit 20 % am Stammkapital der GmbH auswies. Daraufhin reichte S am 2. September 2011 eine neue Gesellschafterliste ein, die wiederum ihn als Alleingesellschafter auswies. Am 20. Oktober 2011 hielt S sodann als (formal) alleiniger Gesellschafter eine Gesellschafterversammlung ab und beschloss mit allen Stimmen unter anderem, dass das generelle Beschlussquorum in der F GmbH auf 85 % gesetzt wird (faktisches Vetorecht für S) und dass stets der Geschäftsführer der F GmbH (also S) Versammlungsleiter sei. Obwohl das Landgericht Frankfurt am Main mit Urteil vom 27. Juni 2012 rechtskräftig feststellte, dass P seit der Kündigung des Treuhandvertrages Inhaber der 80%igen Beteiligung ist, weigerte sich S nach wie vor, eine geänderte Gesellschafterliste einzureichen. Schließlich erwirkte P, dass ein Notar am 10. Juli 2014 eine geänderte Gesellschafterliste einreichte. Als S daraufhin wiederum versuchte, eine ihn als Alleingesellschafter ausweisende Gesellschafterliste einzureichen, verweigerte das Handelsregister beim Amtsgericht Charlottenburg die Aufnahme.
P fordert nun von S, dass dieser den ursprünglichen Satzungszustand wiederherstellt, also an einer entsprechenden Satzungsänderung mitwirkt. P sei von S vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt worden, sodass er Schadenersatz von S verlangen könne. Der Schadenersatzanspruch bestehe dann in der Rückänderung der Satzung. P trägt hingegen vor, dass der gefasste Beschluss nicht angefochten wurde und damit bestandskräftig sei. Zudem habe er den Treuhandvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten. Das Landgericht Berlin (104. Kammer) folgte der Argumentation von S und wies die Klage ab. Hiergegen legte P Berufung beim Kammergericht ein.
Das Urteil des Kammergerichts v. 21.10.2021 (2 U 121/18)
Das Kammergericht hat der Berufung stattgegeben und das Urteil des Landgerichts Berlin entsprechend abgeändert. S habe P vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt. S habe bereits deshalb mit Vorsatz gehandelt, weil er damit gerechnet habe, dass P Gesellschafter der F GmbH geworden ist. Wenn S selbst davon gegangen sein wäre, dass der Treuhandvertrag wegen der Anfechtung nichtig sei, hätte er nicht zwei Wochen nach Eskalation des Gesellschafterstreits die Satzung der F GmbH zu seinen Gunsten in der Weise geändert, dass er P in seinen Rechten als Gesellschafter einschränkt. Auch konnte S im Verfahren nicht darlegen, weshalb er die Änderungen in der Satzung sonst vorgenommen hätte, wenn nicht zur Schädigung von P. Seit dem Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main ist auch unstreitig, dass P Gesellschafter der F GmbH ist. Die Sittenwidrigkeit der Schädigung ergebe sich daraus, dass S in besonders verwerflicher Weise eine formale Rechtsposition ausgenutzt, das berechtigte Vertrauen von P in laufende Vergleichsverhandlungen verletzt und letztlich zu eigensüchtigen Zwecken gehandelt habe.
Der Schaden bestehe darin, dass der von P gehaltene Geschäftsanteil im Wert gemindert sei, weil S durch die generelle Änderung des Beschlussquorums nunmehr stets eine Sperrminorität habe. Auch die Regelung, dass der Geschäftsführer (also S) Versammlungsleiter sei, führe dazu, dass P seine Rechte in der Gesellschafterversammlung nicht richtig ausüben könne. Denn angesichts des Streits zwischen den Parteien müsse P davon ausgehen, dass S die Versammlungen nicht unvoreingenommen leiten wird. Damit sei der Bestand der Mitgliedschaftsrechte von P im erheblichen Maß betroffen. Spiegelbildlich dazu sei die Gesellschafterstellung von S gestärkt worden, was letztlich auch zur Vermögensmehrung von S führe.
Einem solchen Schadenersatzanspruch stehe auch nicht entgegen, dass der von S gefasste Satzungsänderungsbeschluss unanfechtbar geworden ist. Wird ein Gesellschafterbeschluss nicht rechtzeitig angefochten, bedeute dies nicht, dass ein Schadenersatzanspruch ausgeschlossen ist, der auf die Änderung der Satzung für die Zukunft gerichtet ist. Erstens schließe der (auch für die GmbH anwendbare) § 242 Abs. 2 AktG weitere Ansprüche eines Gesellschafters nicht aus. Zweitens soll die Bestandskraft von nicht angefochtenen Beschlüssen lediglich Rechtssicherheit in Bezug auf gefasste Beschlüsse schaffen. Sie schließt aber Änderungen für die Zukunft nicht aus. Da die Gesellschafter es ohnehin in der Hand haben, Beschlüsse jederzeit zu ändern oder neu zu fassen, besteht für den Rechtsverkehr für die Zukunft kein Anspruch auf Rechtssicherheit. Insoweit sei der Schadenersatzanspruch nur das Spiegelbild des Rechts der Gesellschafterversammlung, jeden Beschluss aufheben zu können. Einen Bestandsschutz für die Zukunft gewähre die Bestandskraft von Beschlüssen also nicht.
Auch sei ein Anspruch von P nicht deshalb ausgeschlossen, weil Mitgesellschafter einer GmbH nur in sehr engen Grenzen zu einer bestimmten Stimmenabgabe verpflichtet werden können. Denn diese aus der Treuepflicht erwachsende Stimmpflicht sei nicht mit jener vergleichbar, die sich aus der Rückgängigmachung einer vorsätzlichen und sittenwidrigen Schädigung ergebe.
Praxishinweis
Der vom Kammergericht entschiedene Fall beweist einmal mehr, dass sich die formellen Wirkungen der Gesellschafterliste einer GmbH sehr oft nicht mit den tatsächlichen Geschehnissen in einem schwelenden Gesellschafterstreit vereinbaren lassen. Vorliegend bedurfte es einer einstweiligen Verfügung, einer Klage vor dem Landgericht Frankfurt am Main, zahlreicher Verfahren vor dem Handelsregister und einem über zwei Instanzen verlaufenden Prozess vor den Berliner Gerichten, bis ein Gesellschafter eine sittenwidrige Satzungsänderung rückgängig machen kann. Das belegt einmal mehr, wie formalistisch und strukturiert das GmbH-Recht ausgestaltet ist. Es zeigt aber auch, wie schwierig es sein kann, eine einmal eingetretene Rechtssituation wieder für Zukunft rückgängig zu machen.
Das Urteil des Kammergerichts ist ein Beweis dafür, dass der strenge Formalismus des GmbH-Rechts Grenzen kennt. Es stellt in aller Deutlichkeit fest, dass das Berufen auf eine formale Rechtsposition nicht im Einklang mit Recht und Gerechtigkeit steht. Hier ist nicht nachvollziehbar, weshalb das Landgericht Berlin die Klage des P mit der Begründung abgewiesen hat, der Satzungsänderungsbeschluss sei unanfechtbar geworden. Der entschiedene Fall zeigt deutlich, wie wichtig eine gute rechtliche Beratung in Gesellschafterstreitigkeiten ist.
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