Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, wann eine Haftanordnung über sechs Monate hinaus verlängert werden kann.
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 09.09.2004; Aktenzeichen 84 T 385/04) |
AG Berlin-Schöneberg (Beschluss vom 05.07.2004; Aktenzeichen 70-XIV 2817/03 B) |
Tenor
Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen werden der Beschluss der Zivilkammer 84 des LG Berlin vom 9.9.2004 - Az. 84 T 385/04 B - und der Beschluss des AG Schöneberg vom 5.7.2004 Az. 70-XIV 2817/03 B - aufgehoben.
Der Haftantrag des Antragstellers vom 5.7.2004 wird zurückgewiesen.
Das L.B. hat dem Betroffenen die diesem im Verfahren der sofortigen und der sofortigen weiteren Beschwerde erwachsenen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten im Übrigen findet nicht statt.
Dem Betroffenen wird für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung bewilligt und zur Wahrnehmung der Rechte im Verfahren Rechtsanwältin G.S., K.D. 29/30, B., beigeordnet.
Gründe
Das Rechtsmittel der sofortigen weiteren Beschwerde ist gem. §§ 22 Abs. 1, 27 Abs. 1, 29 Abs. 1 und 4 FGG i.V.m. §§ 3 Abs. 2, 7 Abs. 1 und 2 FEVG und § 103 Abs. 2 S. 1 AuslG zulässig. Es ist auch begründet, da sich die angefochtene Entscheidung als rechtsfehlerhaft erweist (§ 546 ZPO i.V.m. § 27 Abs. 1 FGG).
Rechtsbedenkenfrei hat das LG allerdings das Vorliegen der Haftgründe nach § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 5 AuslG bejaht. Der Senat verweist insoweit insb. auf seine Ausführungen im Beschl. v. 26.3.2004 (- 25 W 32/04 -).
Durchgreifenden Rechtsbedenken unterliegt die angefochtene Entscheidung aber, wenn das LG die Voraussetzungen nach § 57 Abs. 3 S. 2 AuslG bejaht hat. Nach dieser Vorschrift kann die Haft in Fällen, in denen ein Ausländer seine Abschiebung verhindert, um höchstens zwölf Monate verlängert werden.
Dazu hat der 1. Zivilsenat des KG in einem Beschl. v. 7.2.1995 (KG, Beschl. v. 7.2.1995, KGReport Berlin 1995, 128 [129]) Folgendes ausgeführt:
" (...) Diese zeitliche Sperre, die Ausdruck der grundgesetzlichen Freiheitsgarantie ist, kann nur außer Kraft gesetzt werden, wenn im gerichtlichen Verfahren positiv festgestellt werden kann, der Ausländer verhindere seine Abschiebung. Die Feststellungslast für das Merkmal des Verhindern der Abschiebung trifft nach dem eindeutigen Wortlaut und Sinn des Gesetzes gewissermaßen die Verwaltungsbehörde, die für die Beantragung der Freiheitsentziehung zuständig ist (§ 3 S. 1 FEVG). Bestehen Zweifel, ob der Ausländer die Abschiebung "verhindert", kann er nicht über sechs Monate hinaus in Haft gehalten werden.
Unter den erwähnten Gesichtspunkten ist das die Freiheitsentziehung anordnende oder verlängernde Gericht gehalten, nach Aufklärung des Sachverhalts im Einzelfall wertend zu prüfen, ob ein Tun oder Unterlassen des Ausländers vorliegt, das kausal dafür ist, dass die Abschiebung innerhalb von sechs Monaten nicht durchgeführt werden konnte. Dabei wird indessen zu berücksichtigen sein, dass dieses Tun oder Unterlassen vom Ausländer zu vertreten ist, ihm also zuzurechnen oder vorgeworfen werden kann. Wenn nämlich § 57 Abs. 2 S. 4 AuslG die Sicherungshaft dann für unzulässig erklärt, wenn feststeht, dass der Ausländer innerhalb von drei Monaten aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht abgeschoben werden kann, muss auch die Verhinderung der Abschiebung i.S.d. § 57 Abs. 3 S. 2 AuslG dem Ausländer zuzurechnen, also von ihm zu vertreten sein. Das bedeutet, dass das für die Abschiebung bestehende Hindernis auf ein Tun des Ausländers, zu dessen Unterlassen er verpflichtet ist, oder auf ein Unterlassen zurückgeht, während er zu einem Tun verpflichtet ist. Immer müssen hierbei Verhaltensweisen des Ausländers vorliegen, die von seinem Willen abhängig sind (...). Gleichwohl ist es mit dem Sinn des Gesetzes nicht vereinbar, bei der Frage der Verhinderung der Abschiebung allein auf die Kausalität des Verhaltens des Betroffenen abzustellen, nämlich darauf, ob ohne ein in der Vergangenheit gezeigtes vorwerfbares Verhalten des Ausländers die Abschiebung vor Ablauf der Sechsmonatsfrist hätte durchgeführt werden können. Eine solche Betrachtung würde der Fallgestaltung nicht gerecht werden, bei der zwar ursprünglich ein Verhalten des Ausländers ursächlich für die bisher nicht erfolgte Abschiebung gewesen ist, bei der aber zwischenzeitlich Umstände hinzugetreten sind, die dem Verantwortungsbereich anderer Stellen, etwa der Verwaltungsbehörde oder Behörden des Heimatstaates, zuzurechnen sind und die jetzt als ursächlich für die nicht durchzuführende Abschiebung erscheinen. Andererseits ist es nicht angängig, bei einem Ausländer, der sich seit seiner Inhaftnahme weigerte, die für die Erlangung von zur Abschiebung erforderlicher Personaldokumente notwendigen Antragsformulare zu unterschreiben und der dadurch bis zur Beschaffung dieser Dokumente durch die Ausländerbehörde trotz zügigen Vorgehens dieser Behörde seine Abschiebung verhinderte, eine Haftverlängerung über die ...