Leitsatz (amtlich)
Holt das Vormundschaftsgericht nach § 70e Abs. 1 FGG ein Gutachten ein, hat es zuvor den Betroffenen hierüber sowie über die Person des Sachverständigen in Kenntnis zu setzen.
Wird der behandelnde Arzt als Sachverständiger bestellt, sind bei der Behandlung erhobene Befunde nur dann verwertbar, wenn der Betroffene den Sachverständigen von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden hat.
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 08.06.2006; Aktenzeichen 83 T 254/06) |
AG Berlin-Schöneberg (Aktenzeichen 50 XVII D 841) |
AG Berlin-Wedding (Aktenzeichen 52 XVII 4470) |
Tenor
Der Beschluss des LG Berlin vom 8.6.2006 wird abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die durch das AG Wedding mit Beschluss vom 15.5.2005 erfolgte Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen rechtswidrig war.
Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.
Die sofortige weitere Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe im Beschwerdeverfahren wird als unzulässig verworfen.
Gründe
Die Betroffene wendet sich gegen die Genehmigung ihrer Unterbringung vom 15.5.2006 bis zum 23.6.2006 (dazu unter A.) und gegen die Versagung der Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren vor dem LG Berlin (dazu unter B.).
A.I. Die mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der mit Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 15.5.2006 erfolgten Genehmigung der Unterbringung eingelegte sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, §§ 70 Abs. 1 S. 2 Nr. 1b), 70g Abs. 3, 70m Abs. 1 S. 1, 22, 27, 29 FGG. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Das Rechtsschutzinteresse der Betroffenen ist nicht durch ihre zwischenzeitliche Entlassung entfallen. Die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Unterbringungsmaßnahme ist möglich. Art. 19 Abs. 4 GG gebietet die Annahme eines Rechtsschutzinteresses in Fällen tief greifender Grundrechtseingriffe, in denen sich eine direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Verfahrensordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. Eine Unterbringungsmaßnahme ist ein tief greifender Grundrechtseingriff (BVerfG v. 10.5.1998 - 2 BvR 978/97, NJW 1998, 2432 ff.; BVerfG v. 5.12.2001 - 2 BvR 527/99, 2 BvR 1337/00, 2 BvR 1777/00, BVerfGE 104, 220 ff.). Aufgrund der bis zum 10.7.2006 genehmigten Unterbringung konnte die Betroffene auch keine Entscheidung in den von der Verfahrensordnung vorgegebenen Instanzen erreichen (vgl. Senat, Beschl. v. 23.5.2000 - 1 W 2749/00, KGReport Berlin 2000, 279 = FGPrax 2000, 213 f.), zumal sie bereits am 23.6.2006 entlassen worden war.
II. Das Feststellungsbegehren hat auch in der Sache Erfolg.
Nach § 1906 Abs. 2 S. 1 BGB bedarf die mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die Unterbringung zum Wohl des Betroffenen erforderlich ist, weil auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB oder eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann, § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB.
Das LG hat ausgeführt: Aufgrund der gutachterlichen Stellungnahme der Klinikärzte vom 15.5.2006, welche Bestätigung in dem ebenfalls zeitnah erstatteten Gutachten des Sachverständigen Dr. K. sowie weiteren in den Akten befindlichen fachärztlichen Gutachten und Stellungnahmen finde, stehe fest, dass die Betroffene an einer akuten paranoiden Schizophrenie leide, die dringend einer medikamentösen Behandlung bedürfe, um ganz erhebliche eigengefährdende Fehlhandlungen seitens der Betroffenen bis hin zum Suizid sowie eine weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandes verbunden mit erheblichem Leidensdruck für die Betroffene abzuwehren. Mangels jeglicher Krankheits- und Behandlungseinsicht könne die dringend erforderliche konsequente neuroleptische Behandlung der Betroffenen derzeit nur stationär und nur im Wege der Unterbringung erfolgen.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand, §§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO, weil sie auf einer verfahrensfehlerhaft erfolgten Ermittlung des Sachverhalts beruhen, § 12 FGG.
Vor einer Unterbringungsmaßnahme hat das Gericht das Gutachten eines Sachverständigen einzuholen, der den Betroffenen persönlich zu untersuchen oder zu befragen hat, § 70e Abs. 1 S. 1 FGG. Vorliegend hat das Vormundschaftsgericht den die Betroffene bereits seit dem 7.5.2006 behande...