Leitsatz (amtlich)
Wird eine Berufung nicht begründet, sind die für den Verwerfungsantrag angefallenen Anwaltsgebühren nach Nr. 3200 RVG-VV auch dann notwendige Kosten der Rechtsverteidigung, wenn der Antrag sogleich nach Ablauf der Frist zur Begründung der Berufung gestellt wird.
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 28.02.2006; Aktenzeichen 26 O 498/04) |
Tenor
In Änderung des angefochtenen Beschlusses werden die nach dem Beschluss des KG vom 3.2.2006 von dem Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten über den bereits festgesetzten Betrag hinaus in Höhe weiterer 238,73 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über Basiszinssatz seit dem 17.2.2006 festgesetzt.
Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens hat nach einem Wert von 238,73 EUR der Beklagte zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
Die sofortige Beschwerde der Klägerin, der das LG nicht abgeholfen hat, ist gem. §§ 11 Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3 ZPO zulässig. Das Rechtsmittel ist insbesondere fristgerecht eingelegt und der Beschwerdewert von mehr als 200 EUR (§ 567 Abs. 2 ZPO) erreicht.
Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der Beklagte hat der Klägerin die zur Kostenfestsetzung angemeldete Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV mit einem Gebührensatz von 1,6 gem. § 91 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 ZPO voll zu erstatten. Die Klägerin rügt zu Recht, dass das LG im angefochtenen Beschluss diese Gebühr zum Teil abgesetzt und die ihr im Berufungsverfahren entstandenen Anwaltskosten nur nach Maßgabe der Gebührenbeschränkung Nr. 3201 RVG-VV in Höhe eines Satzes von 1,1 als notwendigen und damit erstattungsfähigen Prozessaufwand angesehen hat.
Soweit die Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV durch den Antrag der Klägerin auf Zurückweisung der Berufung vom 10.10.2006 ausgelöst worden ist, hat das LG die Erstattungsfähigkeit dieser Kosten nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO allerdings zu Recht verneint. Den Antrag auf Zurückweisung der Berufung hat die Klägerin gestellt, bevor der Beklagte einen Berufungsantrag gestellt und die Berufung begründet hatte. Es entspricht der inzwischen allgemeinen Auffassung in der Rechtsprechung und Literatur, dass die Stellung eines Sachantrages in diesem Stadium des Verfahrens verfrüht und zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht erforderlich ist (BGH NJW 2003, 2992; NJW 2004, 73; KG Rpfleger 2005, 632; Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl., § 91 Rz. 13, Stichwort: Berufung; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl., VV 3200 Rz. 61 m.w.N.). Erst wenn die Berufung begründet worden ist, kann sich der Berufungsbeklagte inhaltlich mit dem Berufungsantrag und der Begründung auseinandersetzen und durch einen entsprechenden Gegenantrag das Verfahren aus objektiver Sicht fördern (BGH NJW 2003, 2992 [2993]; NJW 2004, 73). Mit der "voreiligen" Stellung des Zurückweisungsantrages verstößt der Berufungsbeklagte gegen die ihm auf Grund des Prozessrechtsverhältnisses obliegenden Verpflichtung, die Kosten eines Rechtsstreits möglichst niedrig zu halten (BGH NJW 2003, 2992 [2993]).
Zu Recht vertritt jedoch die Klägerin die Auffassung, ihr Antrag auf Verwerfung der Berufung vom 9.1.2006 sei nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist angezeigt gewesen und die hierdurch entstandenen Anwaltsgebühren habe ihr der Beklagte als notwendigen Prozessaufwand gem. § 91 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 ZPO zu erstatten.
Allerdings ist die Frage umstritten, ob die volle Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 in jedem Fall zu erstatten ist, wenn der Berufungsbeklagte nach Ablauf der Frist zur Begründung der Berufung die Verwerfung des Rechtsmittels beantragt. Zum Teil wird die Frage verneint (OLG München, FamRZ 2006, 1695; OLG Karlsruhe OLGReport Karlsruhe 2001, 76; Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl., § 91 Rz. 13 Stichwort: Berufung). Die sofortige Stellung eines Verwerfungsantrags nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist sei überflüssig, da gem. § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO das Berufungsgericht von Amts wegen zu prüfen habe, ob die Frist zur Begründung der Berufung eingehalten sei (OLG München, FamRZ 2006, 1695). Anderes könne nur gelten, wenn besondere Gründe (z.B. ergebnisloser Zeitablauf oder Streit um die Zulässigkeit des Rechtsmittels) die Stellung des Antrags notwendig erscheinen ließen (Zöller, a.a.O.). Nach der Gegenauffassung muss der Berufungsbeklagte mit der Stellung des Verwerfungsantrags nicht abwarten (OLG Stuttgart, JurBüro 2005, 366; OLG Nürnberg, JurBüro 1995, 473 mit zust. Anm. von Hansens; Schneider, BRAGO Report 2001, 65; zum Streitstand Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a.a.O., VV 3200 Rz. 64). Nach dem ungenutzten Ablauf der Berufungsbegründungsfrist könne der Berufungsbeklagte durch seinen Antrag und dessen Begründung die Verwerfung der Berufung und damit das Berufungsverfahren fördern (OLG Stuttgart, JurBüro 2005, 366).
Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an. Die Notwendigkeit zur Rechtsverteidigung ist bereits durch die Einlegung des gegnerischen Rechtsmittels begründet (KG Rpfleger 2005, 632). Nach...