Normenkette
StVO § 9 Abs. 3, § 37 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 24 O 502/00) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 2.4.2001 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des LG Berlin abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 2.450,94 Euro (= 4,793,63 DM) nebst 4 % Zinsen seit dem 1.9.2000 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des ersten Rechtszuges haben die Kläger 52 % und die Beklagten 48 % zu tragen.
Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Berufung ist begründet. Zu Unrecht hat das LG die Beklagte zum Ersatz von mehr als der Hälfte der Unfallschäden des Klägers (also über 4.793,63 DM hinaus) verurteilt: Es handelt sich um einen Linksabbiegerunfall auf einer mit Abbiegepfeil ampelgeregelten Kreuzung, bei dem ungeklärt geblieben ist, bei welcher Ampelschaltung die Parteien in die Kreuzung eingefahren sind. Damit ist nur eine hälftige Haftung des Beklagten zu 1) als Linksabbieger und der Beklagten zu 2) als seines Haftpflichtversicherers gerechtfertigt.
I. 1. Der Unfall stellt für keine der Parteien ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 7 Abs. 2 S. 1 StVG dar, so dass die Ersatzpflicht der einen oder anderen Seite nicht von vornherein ausgeschlossen ist. In derartigen Fällen hängt nach § 17 Abs. 1 S. 2 StVG die Verpflichtung zum Schadensersatz wie auch der Umfang der Ersatzpflicht von den Umständen, insb. davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Im Rahmen der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge unter Berücksichtigung der von beiden Kraftfahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nach § 17 Abs. 1 StVG, § 254 BGB sind nach der st. Rspr. neben unstreitigen und zugestandenen Tatsachen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen, wobei auch die Regeln des Anscheinsbeweises Anwendung finden.
2. a) Nach § 9 Abs. 3 StVO muss derjenige, der abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen.
Wegen dieser Verpflichtung haftet bei einem Zusammenstoß mit geradeaus fahrendem Gegenverkehr ein Linksabbieger für den Schaden grundsätzlich allein (vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. 2001, § 9 StVO Rz. 55 m.w.N.).
b) Veränderungen dieser Haftungsquote zu Lasten des Geradeausfahrenden können sich bei einen Zusammenstoß an einer ampelgeregelten Kreuzung ergeben, und zwar abhängig davon, ob es sich um eine Ampelanlage mit oder ohne Linksabbiegerpfeil handelt.
(1) Die Wartepflicht des Linksabbiegers ggü. entgegenkommenden Fahrzeugen besteht grundsätzlich auch ggü. solchen Fahrzeugen des Gegenverkehrs, die verbotswidrig noch bei Rot in den Kreuzungsbereich einfahren (Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. 2001, § 9 StVO Rz. 40 m.w.N.).
(2) Fehlt ein Linksabbiegerpfeil und bleibt die Ampelschaltung ungeklärt, hat der Linksabbieger wegen der durch das Abbiegen und Kreuzen des Fahrbereichs des Geradeausfahrers erhöhten Betriebsgefahr seines Fahrzeuges den Schaden nach einer Quote von 2/3 zu tragen (KG, Urt. v. 26.4.1999 – 12 U 1816/98, KGReport Berlin 2000, 295 = VM 1999, 91).
Fährt der Gegenverkehr erwiesenermaßen in der letzten Gelb- oder in der ersten Rotphase der für ihn maßgebenden Ampel in die Kreuzung ein, tritt die Betriebsgefahr des Linksabbiegers ggü. dem sich so verhaltenden Gegenverkehr zwar nicht so weit zurück, dass sie außer Betracht zu bleiben hat. Es kommt für die Schadensteilung dann nach Maßgabe des § 17 Abs. 1 StVG auf die Umstände des Einzelfalles an, wobei auch eine Haftungsquote von 1/2 in Betracht kommen kann (KG, Urt. v. 26.4.1999 – 12 U 1816/98, KGReport Berlin 2000, 295 = VM 1999, 91).
(3) An einer mit einer Lichtzeichenanlage und einem Abbiegepfeil versehenen Kreuzung (vgl. § 37 Abs. 2 S. 2 Nr. 1.3 und Nr. 1.4 StVO) darf der Linksabbieger zwar vor Aufleuchten des Abbiegepfeils weiterfahren; er muss aber die sich aus § 9 Abs. 3 S. 1 StVO ergebende Pflicht zur Rücksichtnahme auf den Gegenverkehr beachten, so dass ihn beim Abbiegen gesteigerte Sorgfaltspflichten treffen. Er ist von diesen besonderen Pflichten nur nach Aufleuchten des Abbiegepfeils befreit (BGH v. 13.2.1996 – VI ZR 126/95, MDR 1996, 907 = VersR 1996, 513 [515] = NJW 1996, 1405 [1406] = NZV 1996, 231f; KG, Urt. v. 26.4.1999 – 12 U 1816/98, KGReport Berlin 2000, 295 = VM 1999, 91).
Wenn feststeht, dass der Linksabbieger vor Aufleuchten des Abbiegepfeils abgebogen ist, hat er für die Verletzung dieser Sorgfaltspflichten einzustehen und grundsätzlich die höhere Haftungsquote bei einer Kollision mit dem Gegenverkehr zu tragen. Denn der Linksabbieger ist gehalten, mit der gebotenen hohen Aufmerksamkeit den herannahenden bevorrechtigten Gegenverkehr zu beachten und vorbeifahren zu lassen.
Andererseits muss der die Kreuzung geradeaus durchfahrende Verkehrsteilnehmer beweisen, dass der Abbiegepfeil für den Linksabbieger noch nicht aufgeleuchtet hat, wen...