Leitsatz (amtlich)

Im Falle des Reißverschlussverfahrens nach § 7 Abs. 4 StVO gilt:

Das Fahrzeug, das sich auf dem durchgehenden Fahrstreifen befindet, genießt Vorrang vor demjenigen, das sich auf dem blockierten Fahrstreifen dem Hindernis nähert.

Dies gilt nur dann nicht, wenn der auf dem blockierten Fahrstreifen fahrende Kraftfahrer einen derartigen Abstand zu dem auf dem durchgehenden Fahrstreifen befindlichen Kraftfahrer hat, dass er noch gefahrlos auf den freien Fahrstreifen wechseln kann.

Kann nicht geklärt werden, ob der Unfall durch einen - streitigen - sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel des Beklagten oder sorgfaltswidrige Fahrweise des Klägers verursacht worden ist, kann der Schaden hälftig geteilt werden.

UPE - Aufschläge kann der fiktiv auf Gutachtenbasis abrechnende nur dann verlangen, wenn sie in der Werkstatt, deren Kosten der Sachverständige seinem Gutachten zugrund gelegt hat, auch tatsächlich anfallen. Entsprechendes gilt für Zuschläge auf Lackierkosten.

Bei Feststellung der Wertminderung des geschädigten Fahrzeugs sind Alter und Laufleistung keine Ausschlussgründe, sondern Faktoren, die bei der Schätzung nach § 287 ZPO zu berücksichtigen sind.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 21.07.2009; Aktenzeichen 24 O 297/08)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers, die im Übrigen zurückgewiesen wird, wird das am 21.7.2009 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des LG Berlin - 24 O 297/08 - teilweise abgeändert:

Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 43,32 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 3.1.2009 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Von den Kosten der Berufungsinstanz haben der Kläger 95 % und die Beklagten 5 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

1. Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers hat lediglich hinsichtlich eines geringen Teils der Nebenforderung Erfolg.

a. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagten auf Zahlung weiteren Schadensersatzes aus dem Unfall vom 6.8.2008, gegen 6.15 Uhr in Berlin-Karlshorst, Straße Am Tierpark.

Das LG hat im Ergebnis zu Recht erkannt, dass dem Kläger - bis auf einen Betrag i.H.v. weiteren 200 EUR, den die Beklagten nach Eingang der Berufung gezahlt haben - kein über den bereits erhaltenen Betrag i.H.v. 2.882,25 EUR hinausgehender Anspruch zusteht.

aa. Den Ausführungen des LG kann allerdings nicht gefolgt werden, soweit es die Auffassung vertritt, der Kläger hätte - die Richtigkeit seiner Schilderung des Unfallhergangs vorausgesetzt - dem Beklagten zu 2. die Vorfahrt gewähren müssen, da dieser als erster an dem die Fahrbahn versperrenden Hindernis eingetroffen sei.

Nach dem Vorbringen des Klägers ist der Beklagte zu 2. ausgeschert, um ihn zu überholen und wollte dann wieder auf den von ihm, dem Kläger, weiterhin befahrenen Fahrstreifen zurück wechseln, als es zum Unfall kam. Damit ereignete sich die Kollision im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel des Beklagten zu 2., so dass der Beweis des ersten Anscheins dafür spräche, dass der Beklagte zu 2. den Unfall unter Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten nach § 7 Abs. 5 StVO verursacht und verschuldet hat (KG, Urt. v. 2.10.2003 - 12 U 53/02, KGReport Berlin 2004, 106; Urt. v. 7.6.2001 - 12 U 10463/99; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 7 StVO, Rz. 17). Eine Mithaftung des Unfallgegners kommt erst in Betracht, wenn der Fahrstreifenwechsler Umstände vorträgt und gegebenenfalls beweist, die ein Mitverschulden des Unfallgegners begründen.

Auf die Grundsätze des Reißverschlussverfahrens kann die Ablehnung der Haftung der Beklagten entgegen den Ausführungen des LG nicht gestützt werden. Ist nämlich das durchgehende Befahren eines Fahrstreifens nicht möglich, so ist den am Weiterfahren gehinderten Fahrzeugen der Übergang auf den benachbarten Fahrstreifen in der Weise zu ermöglichen, dass sich diese Fahrzeuge jeweils im Wechsel nach einem auf dem durchgehenden Fahrstreifen fahrenden Fahrzeug einordnen können. Dies bedeutet, dass "der Reißverschluss" auf dem durchgehenden Fahrstreifen beginnt. Das Fahrzeug (hier nach seinem Vorbringen des Klägers), das sich auf dem durchgehenden Fahrstreifen befindet, genießt anerkanntermaßen den Vorrang vor demjenigen Fahrzeug, das sich auf dem blockierten Fahrstreifen dem Hindernis nähert (Senat, Urt. v. 7.6.1990 - 12 U 4191/89 - VerkMitt 1990, 91 Nr. 118; Urt. v. 8.1.1987 - 12 U 2618/87 - VerkMitt 1987 Nr. 82). Dies gilt nur dann nicht, wenn der auf dem blockierten Fahrstreifen vorausfahrende Kraftfahrer einen derartigen Abstand zu dem auf dem durchgehenden Fahrstreifen befindlichen Kraftfahrer hat, dass er noch gefahrlos in den freien Fahrstreifen hinüber wechseln kann. In diesem Fall braucht er dem auf dem nicht blockierten Fahrstreifen befindlichen Kraftfahrer nicht den Vorrang zu gewähren.

Ein solcher Abstand der beiden F...

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