Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 8 O 334/11)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 11.04.2017; Aktenzeichen VI ZR 576/15)

 

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 15.000 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 11.12.2010 zu zahlen. Im übrigen wird der Klageantrag zu 1) abgewiesen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche nach Schluss der mündlichen Verhandlung entstehenden mmateriellen und zukünftigen immateriellen Schäden aufgrund der streitgegenständlichen Behandlung zu ersetzen, soweit die Forderungen nicht auf Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

3. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 18.000 EUR abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils wird Bezug genommen.

Die Klägerin verlangt Schadensersatz und Schmerzensgeld von der Beklagten, einer niedergelassenen Gynäkologin, weil diese sie im Hinblick auf eine erkannte HPV-Infektion nicht rechtzeitig wieder einbestellt habe, so dass es zu einer Behandlungsverzögerung des bei ihr bestehenden Plattenepithelkarzinoms der Gebärmutter von etwa 10 Monaten gekommen sei.

Das Landgericht hat nach Zeugenvernehmung die Klage abgewiesen, weil die Klägerin dadurch, dass sie ein angeblich kommentarlos übersandtes Medikament ohne Nachfrage verwendet habe, an der Verzögerung im wesentlichen selbst schuld sei.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Anträge weiter.

Die Beklagte verteidigt das Urteil und beantragt Berufungszurückweisung.

De Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch Einholung eines Ergänzungsgutachtens und mündliche Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. K.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Klage ist teilweise begründet, teilweise unbegründet und zum Teil noch nicht entscheidungsreif.

Die Klägerin hat Anspruch auf Schmerzensgeld in der ausgeurteilten Höhe aus § 280 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 1 BGB, i.V.m. § 253 BGB, sowie Feststellung der Ersatzpflicht für Zukunftsschäden.

Einen über 15.000 EUR hinausgehenden Schmerzensgeldanspruch (Mindestvorstellung 30.000 EUR) hat sie nicht.

1. Zwar handelt es sich lediglich um einen einfachen Behandlungsfehler, dass die Klägerin mit dem übersandten Rezept nicht auf die Diagnose und die Dringlichkeit einer weiteren Abklärung hingewiesen wurde. Der Sachverständiger hat insoweit nachvollziehbar das fehlende Kontrollmanagement als einfachen, nicht schlechthin unverständlichen Fehler bezeichnet. Da der Sachverständige zudem weiter ausgeführt hat, dass es sich bei der Erkrankung der Klägerin um eine langsam wachsende Erkrankung handelt, so dass er nicht sagen könne, ob sich das Behandlungsmanagement durch eine Diagnoseverzögerung irgendwie verändert hat, er das sogar für eher unwahrscheinlich halte, gelingt der Klägerin insoweit der Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität nicht.

2. Soweit man den Ausführungen des Sachverständigen spätestens für das Frühjahr 2008 ein schlechthin unverständliches Verhalten der Beklagten (warum keine Aufforderung zur Wiedervorstellung? Warum nicht bereits sofort Termin in 2 Wochen, den man arztseits hätte absagen können, wenn der Histologiebefund unauffällig ist?) sehen möchte, ist dieses jedenfalls nicht kausal für den Schaden, weil eine Verschlechterung in diesen 8 Wochen unwahrscheinlich ist.

3. Eine Haftung der Beklagten ergibt sich jedoch über das Instrument der unterlassenen Befunderhebung. Denn durch den Fehler der Beklagten ist es zu einer verzögerten Befunderhebung gekommen, was das Unterlassen einer zeitnah gebotenen Befunderhebung darstellt. Zwar fehlt es für eine Beweislastumkehr zunächst an dem zweiten Schritt (hinreichend wahrscheinlich Feststellung eines Ergebnisses, auf das nicht zu reagieren grob gewesen wäre): eine frühere Kontrolle der Klägerin noch im Frühjahr 2007 hätte nach den Einschätzungen des Sachverständigen nur ein Ergebnis gebracht, bei dem man weiter hätte mit Kontrollfrist zuwarten können (S. 11 Gutachten) bis zum Spätherbst 2007.

Allerdings hätte man im Spätherbst 2007 voraussichtlich einem weiteren Pap III-Befund erhalten und die Klägerin dann in die Dysplasiesprechstunde überwiesen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen hätte die Klägerin dann etwa 6 Monate gewonnen. Zwar ist unklar, ob dieser Zeitgewinn Auswirkungen auf die durchzuführenden Operationen gehabt hätte: Es ist möglich, dass das im April 2008 vorgefundene Ergebnis schon im Spätherbst 2007 vorlag (Sachverständigengutachten S. 12), es mag sich aber auch erst im Spätherbst 2007 in ein invasives Stadium entwickelt haben (dann wäre die Trachelektomie vermieden worden).

Da sich bei ordnungsgemäßer Befunderhebung im Herbst 2007 ein reaktionspflichtiges Ergebnis, auf das ...

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