Rz. 9
Der Vermieter hat gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 ein "berechtigtes Interesse" an der fristgemäßen Beendigung des Mietverhältnisses, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat. Daneben hat der Vermieter gemäß §§ 543, 569 die Möglichkeit, das Mietverhältnis fristlos zu kündigen. Die fristgemäße Kündigung schließt die fristlose Kündigung also nicht aus, sodass ein und derselbe Tatbestand den Vermieter sowohl zur fristlosen als auch zur gleichzeitigen (möglicherweise hilfsweisen) fristgerechten, ordentlichen Kündigung in ein und demselben Schreiben berechtigen kann.
Hilfsweise ordentliche Kündigung
Ein Vermieter, der eine fristlose Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses hilfsweise oder vorsorglich mit einer ordentlichen Kündigung verknüpft, bringt bei der gebotenen Auslegung seiner Erklärung zum Ausdruck, dass die ordentliche Kündigung in allen Fällen Wirkung entfalten soll, in denen die zunächst angestrebte sofortige Beendigung des Mietverhältnisses aufgrund einer Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung fehlgeschlagen ist.
Die ordentliche Kündigung wird also erst nachrangig geprüft (ständige Rspr. BGH, vgl. z. B. Urteil v. 19.9.2018, VIII ZR 231/17, ZMR 2019, 13).
3.1 Verletzungshandlung
Rz. 10
Der Vertragsverstoß des Mieters kann in einem Tun oder Unterlassen bestehen. Die vertraglichen Pflichten ergeben sich aus dem Mietvertrag und umfassen alle Formen der Schlecht- oder Nichtleistung sowie Haupt- und Nebenpflichten. § 278 (Haftung für Erfüllungsgehilfen) und § 540 Abs. 2 (Verschulden des Dritten bei Untermiete) finden Anwendung.
Bei mehreren Mietern reicht es aus, dass einer der Mitmieter die Pflichtverletzung begangen hat. Auch für das Verhalten des Untermieters hat der Mieter einzustehen (OLG Hamm, RE v. 17.8.1982, 4 Re Miet 1/82, ZMR 1983, 49; OLG Hamm, RE v. 23.10.1991, 30 RE-Miet 1/91, ZMR 1992, 20; Kraemer, NZM 2001, 551, 560; a. A. KG Berlin, RE v. 15.6.2000, 6 RE-Miet 10611/99, ZMR 2000, 822). Dabei ist unerheblich, ob dem Untermieter bestimmte Räume zum alleinigen Gebrauch überlassen worden sind oder ob Hauptmieter und Untermieter die gesamte Wohnung gemeinsam benutzten (AG Berlin-Tiergarten, Urteil v. 26.1.1987, 5 C 672/86, GE 1987, 285, 287). Auch das Verhalten der Familienangehörigen, die selbst nicht Mieter der Wohnung sind, muss sich der Mieter anrechnen lassen (AG Brühl, Urteil v. 21.12.2007, 22 C 433/07, WuM 2008, 596; LG Karlsruhe, Urteil v. 30.7.2013, 9 S 57/13, ZMR 2014, 43; AG Karlsruhe, Urteil v. 19.12.2012, 6 C 387/12, ZMR 2013, 968; einschränkend KG Berlin, RE v. 15.6.2000, 16 RE-Miet 10611/99, NZM 2000, 905).
3.2 Erheblichkeit
Rz. 11
Jede Pflichtverletzung des Mieters muss ferner erheblich sein. Dazu sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (LG Berlin, Urteil v. 16.6.2016, 67 S 125/16, ZMR 2016, 695; LG Berlin, Urteil v. 6.10.2016, 67 S 203/16, WuM 2016, 734; LG Berlin, Beschluss v. 20.10.2016, 67 S 214/16, WuM 2016, 741; LG Berlin, Urteil v. 29.11.2016, 67 S 329/16, GE 2017, 49).
Pflichtverletzungen, die die Rechte des Vermieters nur geringfügig beeinträchtigen, rechtfertigen dagegen eine Kündigung gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 nicht. Im Gegensatz zu dem Merkmal der Unzumutbarkeit bei der fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund (§ 543 Abs. 1) sind die Anforderungen an die Erheblichkeit der Pflichtverletzung für eine fristgerechte Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 jedoch geringer.
Rz. 11a
Die Pflichtverletzung muss von einigem Gewicht sein, braucht aber nicht wie im Fall des § 543 so weit zu gehen, dass dem Vermieter eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann (BGH, Urteil v. 11.1.2006, VIII ZR 364/04, NJW 2006, 1585; LG Köln, Urteil v. 2.12.2016, 10 S 99/16, ZMR 2017, 250; LG Köln, Urteil. v. 2.12.2016, 10 S 99/16, ZMR 2017, 250; Häublein in: MünchKomm § 573 BGB Rn. 65).
Einmalige Verstöße
Einmalige Verstöße ohne Wiederholungsgefahr sind grds. nicht als erhebliche Pflichtverletzung anzusehen. Bei einem langjährig beanstandungsfrei geführten Mietverhältnis rechtfertigen einmalige fahrlässige Vertragsverstöße weder die außerordentliche noch die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses (AG Berlin-Charlottenburg, Urteil v. 14.2.2019, 226 C 223/18, ZMR 2019, 506).
Einzelne geringfügige Verstöße können aber durch ständige Wiederholung einen erheblichen Umfang gewinnen (LG Oldenburg, Urteil v. 30.6.1995, 2 S 415/95, ZMR 1995, 597). Dies ist z. B. dann der Fall, wenn zunächst vom Vermieter rügelos hingenommene Verhaltensweisen wiederholt werden und sich herausstellt, dass bereits das frühere – vom Vermieter nicht beanstandete – Verhalten Ausdruck der Einstellung des Mieters ist, die Vertragspflicht nicht einhalten zu wollen. Ergibt sich aus dem Verhalten des Mieters, der gleichartige Pflichtverletzungen immer wieder begeht, dass er schon bei der ersten Pflichtverletzung gewillt war, die betreffenden vertraglichen Verpflichtungen nicht mehr einzuhalten, so kann auch die zunächst hingenommene erste Pflichtverletzung zur Begründung der Kündigung...