Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendung der Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union (EG-Richtlinie Nr. 115/2008) vom 16. Dezember 2008 ist mangels Umsetzung bis zum 24.12.2010 (vgl. dazu Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie) seit dem 25.12.2010 in den Mitgliedsstaaten von den zuständigen Behörden und Gerichten bei der Anwendung des innerstaatlichen Rechts dergestalt anzuwenden, als das innerstaatliche Recht richtlinienkonform auszulegen ist (vgl. dazu den Erlass des Bundesinnenministeriums vom 16.12.2010, Az. M I 3 – 215 734/25).

2. Gemäß Art. 6, 7, 12 der EG Richtlinie Nr. 115/2008 muss die zuständige Behörde eine schriftliche Rückkehrentscheidung treffen, in der in aller Regel dem betroffenen Ausländer eine angemessene Frist für seine freiwillige Ausreise zwischen 7 und 30 Tagen gesetzt werden muss.

3. Wenn die zuständige Ausländerbehörde die Rückführung und/oder Abschiebung eines betroffenen Ausländers beabsichtigt (vgl. dazu Art. 15 Abs. 1 der EG Richtlinie Nr. 115/2008), ist auf deren Antrag hin – wenn ein Haftgrund vorliegt – von dem zuständigen Gericht Sicherungshaft (§ 62 Abs. 2 S. 1 AufenthG) auch dann zu verhängen, wenn die schriftliche Rückführungsentscheidung noch nicht ergangen ist. Die Anordnung der Vorbereitungshaft (§ 62 Abs. 1 AufenthG) ist in diesem Fall nicht veranlasst.

 

Normenkette

EGRL 115/2008; AufenthG § 62 Abs. 2, § 50 Abs. 1; FamFG § 426 Abs. 2

 

Tenor

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird festgesetzt auf 3.000,– Euro.

 

Tatbestand

A.

Bei der Betroffenen handelt es sich um eine Ausländerin, deren Personalien und deren Herkunft nicht bekannt sind.

Die Betroffene wurde am 19.12.2010 auf der Bundesautobahn A 620 als Fußgängerin von der Polizei aufgegriffen. Sie führte keine Ausweispapiere mit sich und war der deutschen Sprache nicht mächtig. Eine Verständigung zwischen den handelnden Polizeibeamten und der Betroffenen war auch in einer anderen Sprache nicht möglich. Auf den Antrag der Landespolizeidirektion Saarbrücken hat das Amtsgericht Saarbrücken als Zentrales Bereitschaftgericht für das Saarland durch Beschluss vom 19.12.2010 die Fortdauer des polizeilichen Gewahrsams bis längstens zum 20.12.2010 um 24.00 Uhr angeordnet.

Auf den Antrag der Zentralen Ausländerbehörde des Saarlandes vom 20.12.2010 hat das Amtsgericht Saarbrücken nach vorheriger persönlicher Anhörung der Betroffenen durch Beschluss vom 20.12.2010 Abschiebungshaft bis zum 19.03.2011 und die sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung angeordnet.

Das Amtsgericht hat ausgeführt, der Haftantrag der Ausländerbehörde sei gemäß § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG gerechtfertigt. Die Betroffene sei unerlaubt eingereist, da sie weder über einen Pass noch einen Aufenthaltstitel verfüge.

Es sei zu befürchten, die Betroffene werde ohne Anordnung der Abschiebehaft untertauchen und Deutschland nicht freiwillig verlassen.

Bei der persönlichen Anhörung der Betroffenen durch den Richter des Amtsgerichts war eine Befragung in arabischer Sprache mittels eines Dolmetschers möglich. Die Betroffene hat auf die ihr gestellten Fragen geantwortet, sie heiße „Madame” und komme „von daher”.

Am 28.01.2011 hat die Betroffene durch ihre Verfahrensbevollmächtigte beantragt,

den Haftbeschluss des Amtsgerichts vom 20.12.2010 aufzuheben.

Die Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen hat ausgeführt, ihre Mandantin wirke äußerst verstört und ängstlich, bei der Einlieferung in die Haftanstalt seien Striemen auf ihrem Rücken festgestellt worden.

Die Betroffene habe sich auch gegenüber ihrer Verfahrensbevollmächtigten noch nicht soweit geöffnet, dass Angaben zu ihrer Identität und Herkunft möglich seien.

Der Haftbeschluss sei aufzuheben, da die Ausländerbehörde keine Bemühungen zur Beschaffung eines Passersatzpapiers unternommen habe.

Das Amtsgericht hat den Haftaufhebungsantrag durch Beschluss vom 31.11.2011 zurückgewiesen.

Dagegen hat die Betroffene am 01.02.2011 Beschwerde mit dem Antrag eingelegt,

festzustellen, dass die Inhaftierung der Betroffenen seit dem 24.12.2010 rechtswidrig ist.

Ihre Verfahrensbevollmächtigte hat ausgeführt, nach der EG-Richtlinie Nr. 115/2008 bedürfe es zum Vollzug einer Abschiebung einer Rückkehrentscheidung, die im vorliegenden Fall nicht ergangen sei.

Falls die Ausländerbehörde eine Ausweisung der Betroffenen beabsichtige, hätte anstelle der Sicherungshaft die Vorbereitungshaft angeordnet werden müssen; eine Umdeutung der Haft sei nicht zulässig.

Die Ausländerbehörde hat erklärt, die Betroffene sei am 20.01.2011 von einem Mitarbeiter der Clearingstelle des Landesverwaltungsamtes zusammen mit einer Dolmetscherin in der GfA … aufgesucht worden, um einen Fragebogen für die Passersatzpapierbeschaffung auszufüllen. Die Betroffene habe zwar die Fragen scheinbar verstanden, jedoch nicht auf jede Frage geantwortet und auf die Frage nach ihrem Namen und ihrer Nationalität lediglich mit „weiß ich nicht” geantwortet.

Nach der aktuellen Einschätzu...

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