Entscheidungsstichwort (Thema)
Abänderungsmaßstab bei der Eingehung von Gesundheitsrisiken
Leitsatz (amtlich)
Triftige, das Wohl des Kindes nachhaltig berührende Gründe i.S.d. § 1696 Abs. 1 S. 1 BGB liegen nicht vor, wenn der allein sorgeberechtigte Elternteil das Kind gegen den Willen des nicht (mehr) sorgeberechtigten Elternteils einem vertretbaren Gesundheitsrisiko, wie z.B. dem Besuch einer Schule, an der ein drahtloser Internetzugang (WLAN) betrieben wird, aussetzt.
Normenkette
BGB §§ 1671, 1696 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
AG Bremen (Beschluss vom 22.02.2010) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Kindesvaters gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - Bremen vom 22.2.2010 (dort Ziff. 2 des Tenors) wird als unzulässig verworfen.
2. Die befristete Beschwerde des Kindesvaters gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - Bremen vom 22.2.2010 (dort Ziff. 1 des Tenors) wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kindesvater.
4. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird in der Hauptsache auf EUR 3.000 und im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf EUR 500 festgesetzt.
5. Dem Kindesvater wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt M. für das Beschwerdeverfahren in der Hauptsache bewilligt.
6. Der Antrag des Kindesvaters auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Beschwerdeinstanz im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Aus der geschiedenen Ehe der Kindeseltern stammt das Kind L. Der Kindesmutter ist im Rahmen des Scheidungsverfahrens die alleinige elterliche Sorge für L. übertragen worden. L. lebt bei der Kindesmutter und besucht das X-Gymnasium in B. In der Schule wird ein drahtloser Internetzugang im Wege eines Wireless Local Area Network (nachfolgend: WLAN) betrieben.
Der Kindesvater ist der Auffassung, die von einem WLAN-Zugang ausgehende elektromagnetische Strahlung sei gesundheitsgefährdend. Er beabsichtigt deshalb, im Namen seines Sohnes ein Gerichtsverfahren vor dem VG gegen die Schulbehörde zu führen, um einen Weiterbetrieb des WLAN-Zugangs im X-Gymnasium zu verhindern.
Er hat erstinstanzlich in der Hauptsache und im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zunächst beantragt, die Zustimmung der Kindesmutter zu einem entsprechenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu ersetzen. Zuletzt hat er beantragt, der Kindesmutter das Recht der Gesundheitsfürsorge zu entziehen und auf ihn zu übertragen.
Mit Beschluss vom 22.2.2010, der dem Kindesvater am 4.3.2010 zugestellt worden ist, hat das AG die Anträge des Kindesvaters zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kindesvater mit seiner am 5.3.2010 beim AG eingelegten und am 17.3.2010 beim OLG Bremen eingegangenen Beschwerde.
II. Mit seinem Rechtsmittel wendet sich der Kindesvater sowohl gegen die Entscheidung in der Hauptsache (befristete Beschwerde) als auch gegen die Zurückweisung seines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (sofortige Beschwerde).
1. Im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist die sofortige Beschwerde des Kindesvaters unstatthaft und damit unzulässig, denn der Beschluss des AG ist insofern unanfechtbar (§ 620c ZPO a.F. i.V.m. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG). Gemäß § 620c ZPO a.F. findet die sofortige Beschwerde in Sorgerechtsverfahren statt, wenn das Gericht des ersten Rechtszuges auf Grund mündlicher Verhandlung die elterliche Sorge für ein gemeinschaftliches Kind geregelt hat. Es genügt insofern nicht, wenn - wie hier - das erstinstanzliche Gericht die Änderung einer getroffenen Regelung abgelehnt hat (Hüsstege in Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl., § 620c Rz. 4 m.w.N.).
2. Im Hauptsacheverfahren ist das als befriststete Beschwerde auszulegende Rechtsmittel des Kindesvaters statthaft (§ 621e Abs. 1, 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO a.F. i.V.m. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden (§§ 621e Abs. 3 a.F., 517 ZPO). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
Zu Recht hat das AG die Anträge des Antragstellers zurückgewiesen.
Die Anträge des Kindesvaters sind so zu verstehen, dass er die Übertragung eines begrenzten Teils des Rechtes der Gesundheitsfürsorge, nämlich die Befugnis zur Führung eines Rechtsstreits gegen die Schulbehörde wegen des Betriebs des WLAN-Zugangs am X-Gymnasium, begehrt.
Da die elterliche Sorge durch eine familiengerichtliche Anordnung auf die Kindesmutter übertragen worden ist, richtet sich das Abänderungsbegehren des Antragstellers nach § 1696 Abs. 1 BGB a.F. i.V.m. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG, d.h. die Entscheidung wäre zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Kindeswohl nachhaltig berührenden Gründen erforderlich wäre. Der Abänderungsgrund muss so bedeutsam sein, dass er den Grundsatz der Kontinuität und die mit einer Abänderung verbundenen Umstände deutlich überwiegt (Palandt/Diederichsen, BGB, 68. Aufl., § 1696 Rz. 16). Hingegen kommt eine Abänderung nicht bereits dann in Betracht, wenn der (nicht mehr) sorgeberechtigte Elternteil im Hinb...