Leitsatz (amtlich)
1. Ein später hinzugezogener Nachbar ist nicht uneingeschränkt zur Duldung jeglicher Immission verpflichtet.
2. Die Lästigkeit eines Geräusches, die rechtlich für das Immissionsrecht entscheidend ist, hängt nicht allein von Messwerten, sondern von einer Reihe anderer Umstände ab, für die es auf das eigene Empfinden des Tatrichters ankommt.
3. Maßgebend für die Beurteilung der Wesentlichkeit ist eine wertende Betrachtung, wobei auch öffentliche Belange zu würdigen sind (hier: Wahrnehmung einer Aufgabe im öffentlichen Interesse durch das Verkehrsunternehmen).
Normenkette
BGB §§ 242, 906, 1004
Tenor
I. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Der Kläger nimmt die Beklagte, eine Verkehrsgesellschaft, auf Unterlassung von Geräuschimmissionen in Anspruch, die von den von ihr eingesetzten Omnibussen verursacht werden.
A. Der Kläger erwarb im Jahre 1997 das Hausgrundstück T. Str. 1e Ecke V. Weg in Bremerhaven. Die Beklagte betreibt mit behördlicher Genehmigung seit 1955 eine Omnibuslinie im Rahmen des öffentlichen Personennahverkehrs, die am Hause des Klägers vorbeiführt. Die Busse der Beklagten befahren die kopfsteingepflasterte T. Straße am Haus des Klägers vorbei und biegen in den geteerten V. Weg ein. Im August 2001 beschwerte sich der Kläger erstmals bei der Beklagten über die durch ihre Busse verursachten Geräusche.
Der Kläger betrieb wegen der Geräuschimmissionen beim LG Bremen ein selbständiges Beweisverfahren zum Geschäftszeichen 6 OH 24/03; insoweit wird insb. auf den Hinweis des Sachverständigen Bartels vom 23.8.2003 (Bl. 40 der beigezogenen Akte des LG Bremen zum Geschäftszeichen 6 OH 24/03, im Folgenden: BA), das Gutachten des Sachverständigen B. vom 22.11.2003 und das Ergänzungsgutachten vom 23.1.2004 sowie auf das Protokoll vom 1.4.2004 Bezug genommen (Bl. 70 ff. BA).
Der Kläger hat unter Bezugnahme auf das selbständige Beweisverfahren behauptet, die durch die Busse verursachten Geräusche seien so stark, dass er in seinem Schlafzimmer keinen Schlaf finden könne bzw. durch den Lärm aufwache. Durch angepasste Fahrweise, nämlich "außerordentlich langsame" Fahrt und "nur mäßige Beschleunigung" könne der Buslärm auf ein verträgliches Maß zurückgeführt werden.
Die Beklagte hat die vom Kläger im Einzelnen vorgetragenen Messwerte unter Hinweis des von ihr eingereichten Parteigutachtens der t. -GmbH vom 14.9.2004 bestritten. Eine andere Buslinienführung sei nicht möglich. Die Busse führen an der fraglichen Stelle ohnehin schon langsam. Soweit der Kläger die Einhaltung von Grenzwerten für den Zeitraum von 22 Uhr bis 6 Uhr fordere, fehlten entsprechende Messungen. Zudem hat sich die Beklagte auf Verwirkung berufen.
Das LG hat die Klage mit Urteil vom 13.7.2006 abgewiesen (Bl. 89 ff. d.A.). Es hat ausgeführt, etwaigen Ansprüchen aus §§ 1004, 906 BGB stünde der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Der Kläger sei wie ein später hinzugekommener Nachbar zu behandeln, der sich "sehenden Auges" einer Geräuscheinwirkung ausgesetzt habe. Ihn treffe eine gesteigerte Duldungspflicht. Zwar sei die Beklagte - anders als in der vom LG herangezogenen Entscheidung des BGH (BGH v. 6.7.2001 - V ZR 246/00, MDR 2001, 1233 = BGHReport 2001, 775 m. Anm. Lorenz = NJW 2001, 3119) - keine dem Kläger benachbarte Grundstückseigentümerin. Jedoch sei deren Verhältnis dem zweier Grundstücksnachbarn vergleichbar (wird ausgeführt, vgl. Bl. 92 d.A.). Der Einwand unzulässiger Rechtsausübung bringe es mit sich, dass dem Kläger auch der hilfsweise geltend gemachte Zahlungsanspruch nicht zustehe.
Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz und der Begründung der Entscheidung im Einzelnen wird auf das angefochtene Urteil des LG Bremen vom 13.7.2006 Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Der Kläger wendet mit seiner Berufung ein, das LG habe die Entscheidung des BGH aus dem Jahre 2001 nicht auf seinen Fall anwenden dürfen. Bei dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis handele es sich um ein Sonderverhältnis, dessen Voraussetzungen hier nicht vorlägen. Das LG habe sich auch über die Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1983 (NJW 1984, 1242) hinweggesetzt, der ein vergleichbarer Fall zugrunde gelegen habe. Dort sei der mit seiner Klage erfolgreiche Kläger erst zehn Jahre nach Inbetriebnahme der Haltestelle Eigentümer geworden. Gleichwohl habe der BGH keine unzulässige Rechtsausübung angenommen. Zudem habe das LG - anders als der BGH in der Entscheidung aus dem Jahre 2001 - keine Zumutbarkeitserwägungen angestellt. Selbst wenn man der Auffassung des LG folgen wollte, hätte es prüfen müssen, welche Maßnahmen zur Reduzierung von Immissionen von der Beklagten bereits ergriffen worden seien und ob eine Reduzierung der Geschwindigkeit der vorbeifahrenden Busse zu der gewünschten Reduzierung der Geräuschentwicklung führen würde.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Ur...