Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Beistandschaft des Jugendamtes für Minderjährige soweit Prozessstandschaft des obhutsausübenden Elternteils vorgeschrieben
Leitsatz (amtlich)
1. Soweit für minderjährige Kinder gem. § 1629 Abs. 3 S. 1 BGB der obhuts-ausübende Elternteil als Prozessstandschafter tätig sein muss, ist eine Beistandschaft für die Kinder gem. § 1713 Abs. 1 BGB ausgeschlossen (Bestätigung AG Regensburg, Urteil vom 24.4.2003, JAmt 2003, 364; gegen OLG Stuttgart, Beschluss vom 24.11.2006, JAmt 2007, 40).
2. Macht das Jugendamt unter Berufung auf das Bestehen einer Beistandschaft im Namen minderjähriger Kinder Unterhaltsansprüche geltend, obwohl zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung die Voraussetzungen für eine Beistandschaft nicht vorliegen (hier: jedenfalls Wegfall des Obhutsverhältnisses des die Beistandschaft beantragenden Elternteils), haftet es als vollmachtloser Vertreter für die Verfahrenskosten.
Normenkette
BGB § 1629 Abs. 3 S. 1, § 1713 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Hannover (Aktenzeichen 603 FH 8360/11) |
Tenor
1. Der Verfahrenswert für die Beschwerdeinstanz wird auf 8.952 EUR festgesetzt (12 × 2 × 334 EUR + 936 EUR Rückstände).
2. Es wird erwogen, auf die Beschwerde des Antragsgegners den Beschluss vom 15.2.2012 nach § 117 Abs. 3 i.V.m. § 68 Abs. 3 FamFG ohne mündliche Verhandlung zu ändern und den Antrag der Antragstellerin abzuweisen. Der Antragstellerin wird Gelegenheit zur Stellungnahme und evtl. Rücknahme ihres Antrags auf Festsetzung von Unterhalt bis zum 30. April 2012 gegeben.
Gründe
I. Der Antragsgegner ist der Vater der beiden minderjährigen Kinder B. und F. J.. Die Eltern der Kinder leben getrennt, das Scheidungsverfahren ist bereits anhängig.
Die Kindesmutter wandte sich im Oktober 2011, als die Kinder noch in ihrem Haushalt lebten, an die Antragstellerin und beantragte eine Beistandschaft zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen der Kinder.
Ab 1.11.2011 lebten beide Kinder nicht mehr im Haushalt der Mutter, sondern jedes Kind war vorübergehend in den Haushalt einer Tante in H. gezogen.
Mit Antrag vom 19.12.2011, eingegangen beim AG am 21.12.2011, beantragte das Jugendamt als vermeintlicher Beistand für F. und B. die Festsetzung des Kindesunterhaltes auf 100 % des Mindestunterhaltes ab 1.11.2011.
Seit spätestens 1.3.2012 leben die Kinder beim Vater.
Das AG hat mit Beschluss vom 15.2.2012, der dem Antragsgegner am 21.2.2012 zugestellt worden ist, antragsgemäß den Unterhalt für beide Kinder festgesetzt.
Dagegen richtet sich die am 14.3.2012 erhobene Beschwerde des Antragsgegners. Er wendet ein, die Kindesmutter sei zur Alleinvertretung der Kinder nicht berechtigt gewesen, weil sie ab November 2011 nicht mehr bei ihr gelebt hätten. Das Unterhaltsfestsetzungsverfahren sei daher unzulässig gewesen. Der Antragstellerin sei wahrscheinlich bekannt gewesen, dass die Kinder nicht mehr bei der Mutter lebten, da die Adresse der Kinder im Festsetzungsantrag nicht genannt worden ist.
II. Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners dürfte begründet sein.
1. Der Antragsgegner und die Kindesmutter leben getrennt, sind noch nicht geschieden und üben die elterliche Sorge für ihre Kinder gemeinsam aus. Nach § 1629 Abs. 3 BGB können sie Unterhaltsansprüche gegen den anderen Elternteil nur im eigenen Namen, also in gesetzlicher Prozessstandschaft für die Kinder geltend machen.
Unabhängig vom Aufenthaltsort der Kinder ist daher zweifelhaft, ob die Kindesmutter überhaupt für die Kinder eine Beistandschaft wirksam errichten lassen konnte.
Das OLG Stuttgart vertritt zwar die Auffassung, dass Kinder getrennt lebender und gemeinsam sorgeberechtigter Eltern durch einen Beistand gerichtlich für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen vertreten werden dürfen und die insoweit einschränkende Vorschrift des § 1629 Abs. 3 BGB verdrängt wird (OLG Stuttgart, Beschl. v. 24.11.2006 - 17 UF 182/2006 - JAmt 2007, 40). Demgegenüber hält das AG Regensburg die Vertretung durch das Jugendamt als Beistand in diesen Fällen für unzulässig, da § 1629 Abs. 3 BGB anordnet, dass das Kind selbst den Anspruch nicht geltend machen darf. Hätte der Gesetzgeber die Beistandschaften nach § 1713 Abs. 1 S. 2 BGB auch auf den Fall des § 1629 Abs. 3 BGB anwenden wollen, hätte auch diese Norm entsprechend geändert werden müssen (vgl. AG Regensburg, Urt. v. 24.4.2003 - 2 F 1739/02 - JAmt 2003, 364).
Der Senat hält die Auffassung des AG Regensburg für zutreffend. Der Sinn der gesetzlichen Prozessstandschaft besteht darin, die Kinder während der Trennungszeit der Eltern oder einer anhängigen Ehesache aus den Streitigkeiten ihrer Eltern herauszuhalten. Dieser Zweck wird nicht erreicht, wenn die Kinder dennoch im eigenen Namen ihre Ansprüche geltend machen müssen, auch wenn sie dabei durch einen Beistand vertreten werden. Die Unterhaltsansprüche der Kinder sind oft eng verwoben mit den Unterhaltsansprüchen des betreuenden Elternteils, so dass es auch aus diesem Grund verfahrensökonomisch sinnvoller erscheint, alle Ansprüche von einer Person aus zu verfolg...