Normenkette

EGVtr Art. 43; EGV Art. 48; HGB §§ 13d, 13e, 13g

 

Verfahrensgang

LG Lüneburg (Aktenzeichen 11 T 1/01)

AG Lüneburg (Aktenzeichen 20 AR 88/01)

 

Tenor

Die vorbezeichnete Entscheidung und der dieser zugrunde liegende Beschluss des AG Lüneburg vom 21.6.2001 werden aufgehoben.

Das AG wird angewiesen, über die Anmeldung nach Maßgabe dieses Beschlusses zu entscheiden.

Beschwerdewert: 2.500 Euro.

 

Gründe

Die Beschwerde ist begründet.

Hinsichtlich des Sachverhalts wird auf die Gründe des Beschlusses des AG verwiesen.

Die Gesellschaft hat zwischenzeitlich in einer Versammlung ihrer Direktoren am 2.7.2001 beschlossen, dass die Zweigniederlassung „ausschließlich die Ausführung von Handeln mit Fliesen, Bodenbelagsarbeiten, Laminat + Kork, Handel mit Waren aller Art, Verlegung von Wand- und Bodenfliesen und Bodenbelagsarbeiten zum Gegenstand hat”.

Beide Vorinstanzen haben die Ansicht vertreten, die Rechts- und Eintragungsfähigkeit einer juristischen Person beurteile sich nach demjenigen Recht, das am Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes gilt (sog. Sitztheorie). Die Anknüpfung an den tatsächlichen Verwaltungssitz führe dazu, dass eine im Ausland gegründete Gesellschaft ihre Rechtsfähigkeit verliere, wenn sie ihren ständigen Verwaltungssitz in der Bundesrepublik nehme. Die Gesellschaft übe in England keinerlei Geschäftstätigkeit aus; sie sei lediglich zur Umgehung der Gründungsvorschriften einer deutschen GmbH gegründet worden. Da sie in England keinerlei Geschäftstätigkeit entfalte, müsse sie sich an deutschem Recht messen lassen. Art. 43 und 48 des EG-Vertrages stünden der Sitztheorie nicht entgegen.

Der Senat, der den Vorinstanzen zu folgen beabsichtigt hatte, hat das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH über die Fragen in dem Vorlagebeschluss des BGH vom 30.3.2000 (BGH v. 30.3.2000 – VII ZR 370/98, AG 2000, 473) ausgesetzt. Auf den Senatsbeschluss vom 22.11.2001 wird Bezug genommen.

Der EuGH hat zwischenzeitlich durch ein Urt. v. 5.11.2002 über den Vorlagebeschluss entschieden (EuGH v. 5.11.2002 – Rs. C-208/00, ZIP 2002, 2037 ff.).

Danach gilt Folgendes:

Für die Eintragung einer inländischen Zweigniederlassung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Sitz oder Hauptniederlassung sich im Ausland befindet, finden die Vorschriften der §§ 13d Abs. 1 und 2, 13e und 13g HGB Anwendung. Diese sind im Licht der Bestimmungen des EG-Vertrages auszulegen. Nunmehr hat der EuGH entschieden, dass es gegen Art. 43 und 48 EG-Vertrag verstößt, wenn einer Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaates, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, gegründet worden ist und von der nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates angenommen wird, dass sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz dorthin verlegt hat, in diesem Mitgliedstaat die Rechtsfähigkeit abgesprochen wird (Rz. 94 des Urteils). Weiterhin hat der EuGH entschieden, dass ein Mitgliedsstaat, in dem eine nach dem Recht eines anderen Mitgliedsstaates gegründete Gesellschaft von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch macht, gem. Art. 43 und 48 EG-Vertrag zur Achtung ihrer Rechtsfähigkeit verpflichtet ist (Rz. 95). Aus Art. 43 EG-Vertrag folge unmittelbar das Recht der Gesellschaften, ihre Tätigkeit in einem anderen Mitgliedsstaat auszuüben; der satzungsmäßige Sitz und die Hauptverwaltung dienten nur der Bestimmung ihrer Zugehörigkeit zu einer Rechtsordnung eines Mitgliedsstaates (Rz. 57). Dies erfordere zwingend die Anerkennung dieser Gesellschaften durch alle Mitgliedsstaaten, in denen sie sich niederlassen wollen (Rz. 59). Eine Gesellschaft, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedsstaates als der Bundesrepublik Deutschland wirksam gegründet sei und in diesem anderen Mitgliedsstaat ihren satzungsmäßigen Sitz habe, habe nach deutschem Recht für ihre Anerkennung nur die Möglichkeit der Neugründung (Rz. 79). Dies widerspreche der in Art. 43, 48 EG-Vertrag bestimmten Möglichkeit, von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch machen zu können (Rz. 80, 82). Eine derartige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit sei nicht gerechtfertigt. Es lasse sich zwar nicht ausschließen, dass die Interessen von Gläubigern, Minderheitsgesellschaften, Arbeitnehmern oder des Fiskus Beschränkungen der, Niederlassungsfreiheit rechtfertigen könnten (Rz. 92). Dies dürfe aber nicht dazu führen, einer Gesellschaft, die in einem anderen Mitgliedsstaat ordnungsgemäß gegründet worden ist und die dort ihren satzungsmäßigen Sitz habe, die Rechts- und Parteifähigkeit abzusprechen, da dies einer Negierung der in Art. 43 und 48 EG-Vertrag zuerkannten Niederlassungsfreiheit gleichkomme (Rz. 93).

Im vorliegenden Fall geht es zwar nicht um eine Sitzverlegung; die Gesellschaft hat lediglich die Eintragung einer Zweigniederlassung angemeldet. Bereits in dem sog. Centros-Urteil (EuZW 1999, 216) hatte der EuGH indessen die Weigerung einer dänischen Behörde beanstandet, die Zweigniederlassung einer im Vereinigten Königreich wirksam gegründeten Gesellschaft in das Handelsregister einzutragen. Die...

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