Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzung der Entscheidung über die Handelsregistereintragung der Zweigniederlassung einer nach ausländischem Recht gegründeten Gesellschaft

 

Leitsatz (amtlich)

Nach der so genannten Sitztheorie richtet sich die Frage, ob eine Gesellschaft rechtsfähig ist, nach demjenigen Recht, das am Ort des tatsächlichen Verwaltungssitzes gilt. Die Frage, ob die Sitztheorie gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt, liegt dem EuGH vor.

 

Normenkette

EGVtr Art. 43; EGV Art. 48

 

Verfahrensgang

AG Lüneburg (Aktenzeichen 20 AR 88/01)

LG Lüneburg (Aktenzeichen 11 T 1/01)

 

Tenor

Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften über die Fragen in dem Vorlagebeschluss des BGH vom 30.3.2000 (Az: VII ZR 370/98) ausgesetzt.

 

Gründe

Es gibt in der deutschen Rechtsordnung keine Kollisionsnormen für juristische Personen. Deren Personalstatut, also die Rechtsordnung, die für die Rechtsverhältnisse der juristischen Personen maßgebend ist, muss vielmehr durch Rechtsprechung und Rechtslehre bestimmt werden. Vertreten werden die Gründungstheorie, die für das Personalstatut die Rechtsordnung für maßgebend erklärt, nach der die juristische Person gegründet wurde, sowie die Sitztheorie, nach der hierfür die Rechtsordnung des tatsächlichen Verwaltungssitzes maßgebend ist.

Der Senat möchte mit dem angefochtenen Beschluss, dem BGH (BGH DB 2000, 1114 ff.) und dem BayObLG (BayObLG v. 26.8.1998 – 3Z BR 78/98, NJW-RR 1999, 401) der sog. Sitztheorie folgen. Danach beurteilt sich die Frage, ob eine Gesellschaft rechtsfähig ist, nach demjenigen Recht, das am Ort des tatsächlichen Verwaltungssitzes gilt, so dass eine nach (ausländischem Recht gegründete) Private Limited Company, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland nimmt, hier nicht als rechtsfähig anerkannt werden kann, weil das deutsche Recht keine Private Limited Company kennt. Eine solche Gesellschaft kann deshalb auch nicht als Inhaberin einer inländischen Zweigniederlassung in das Handelsregister eingetragen werden. Soll nämlich eine Zweigniederlassung einer ggf. auch ausländischen Kapitalgesellschaft (vgl. § 13e HGB) eingetragen werden, setzt dies voraus, dass die betreffende Gesellschaft rechtlich besteht, also rechtsfähig ist. Hat eine Gesellschaft aber im Ausland keinen Verwaltungssitz, sondern nur einen statutarischen Sitz, so kann sie nach dem Recht des Gründungsstatus zwar rechtsfähig sein. Aus der Sitztheorie folgt aber, dass sie im Inland nicht als rechtsfähig anerkannt werden kann.

Die Anknüpfung an den tatsächlichen Verwaltungssitz gewährleistet, dass Bestimmungen zum Schutze Dritter nicht durch eine Gründung im Ausland umgangen werden können. Wenn eine derart einfache Umgehungsmöglichkeit wie die Gründung einer Private Limited Company bestünde, liefen den Gründern unangenehme Schutzvorschriften im Ergebnis leer. Es ist zu befürchten, dass sich dann in einem „Wettbewerb der Rechtsordnungen” die Rechtsordnung mit dem schwächsten Schutz dritter Interessen durchsetzen würde („race to the bottom”; BGH DB 2000, 1114 ff.).

Schutzbedürftig sind insbesondere die Gläubiger der Gesellschaft. Das deutsche Gesellschaftsrecht gewährt diesen Schutz vor allem durch detaillierte Regelungen über das Gesellschaftskapital, d.h. darüber, wie die den Gläubigern zur Verfügung stehende Haftungsmasse bereitzustellen und zu erhalten ist (z.B. §§ 5, 7, 9, 19 ff., 24, 30 ff., 42 GmbHG). Schutzbedürftig sind weiter bei Verbindungen von Unternehmen die abhängigen Gesellschaften und deren Minderheitsgesellschafter. Diesem Schutz dienen in Deutschland die konzernrechtlichen Regelungen zu qualifizierten Zustimmungserfordernissen (§ 293 Abs. 1 und 2 AktG), zur Entschädigung (§ 304 Abs. 1 und 2 AktG) und zur Abfindung (§ 305 AktG) außenstehender Gesellschafter bei Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen. Dem Schutz der von der Gesellschaft beschäftigten Arbeitnehmer dienen die Vorschriften zur Mitbestimmung auf Unternehmensebene etwa nach dem Mitbestimmungsgesetz. Schutzbedürftig ist schließlich auch die Bevölkerung vor unbekannten Rechtsordnungen. Alle diese Gesichtspunkte hat der BGH in der zitierten Entscheidung mit Recht hervorgehoben.

Jedoch hat der EuGH in einem Urt. v. 9.3.1999 (EuGH EuZW 1999, 216 – „Centros”) die Weigerung einer dänischen Behörde beanstandet, die Zweigniederlassung einer Gesellschaft im Handelsregister einzutragen, die im Vereinigten Königreich nach den dortigen Bestimmungen wirksam gegründet worden war, dort aber keine geschäftliche Tätigkeit entfaltet und keinen tatsächlichen Verwaltungssitz begründet hatte. Ein Mitgliedsstaat, der die Eintragung der Zweigniederlassung verweigere, die in einem anderen Mitgliedsstaat, in dem sie ihren Sitz hat, rechtmäßig errichtet worden ist, aber keine Geschäftstätigkeit entfalte, verstoße, so hat der EuGH ausgeführt, gegen die durch die seinerzeitigen Art. 52 und 58 EGV gewährleistete Niederlassungsfreiheit, auch wenn die Zweigniederlassung es der Gesellschaft ermöglichen solle...

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