Leitsatz (amtlich)

1. Das Stimmrecht in einer GmbH kann von einem Nichtgesellschafter für einen Gesellschafter ohne Verstoß gegen das Verbot der Stimmrechtsabspaltung nicht nur im Wege direkter Stellvertretung ausgeübt werden, sondern in Einzelfällen auch durch einen Nichtberechtigten, der im eigenen Namen mit Zustimmung des Berechtigten (Legitimationsübertragung) handelt.

2. Die Stimmabgabe durch einen nichtlegitimierten Nichtberechtigten wird durch Genehmigung des Berechtigten wirksam, jedoch zeitlich ohne Rückwirkung (hier: Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers einer Ein-Mann-GmbH).

3. Gilt die für den bisherigen alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführer bestehende Verfügungsbefugnis über das einzige Bankkonto der GmbH über den Zeitpunkt der Abberufung hinaus fort, ist allein in deren Ausnutzung kein ausreichendes Indiz für eine Stellung als faktischer Geschäftsführer zu sehen.

4. Die "Bestattung" einer überschuldeten GmbH unter vorheriger Ausplünderung ihres Restvermögens verstößt gegen § 826 BGB.

 

Verfahrensgang

LG Stade (Urteil vom 11.04.2006; Aktenzeichen 4 O 305/04)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Stade vom 11.4.2006 wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsrechtszuges.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern der Beklagte nicht zuvor Sicherheit i.H.v. 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages geleistet hat.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt als Insolvenzverwalter den Beklagten als Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin in Anspruch wegen Zahlungen, die der Beklagte für die Gemeinschuldnerin nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit vorgenommen habe.

Der Beklagte war ursprünglich Geschäftsführer und Alleingesellschafter der S. GmbH. Mit notarieller Urkunde Nr. 127/03, die der im vorliegenden Rechtsstreit zum Prozessbevollmächtigten des Beklagten bestellte Notar S.B. am 2.6.2003 errichtet hat, veräußerte der Beklagte seine Gesellschaftsanteile an Herrn W. zum Kaufpreis von 35.000 EUR. Die Wirksamkeit des Vertrages wurde in § 3 von der aufschiebenden Bedingung abhängig gemacht, dass der Erwerber einen Betrag i.H.v. 25.000 EUR an den Beklagten zahlte. Zu einer derartigen Zahlung kam es nicht. Gemäß Teil H derselben notariellen Urkunde hielt Herr W. als neuer Gesellschafter" (GA 148) sofort eine Gesellschafterversammlung ab und berief sich selbst anstelle des Beklagten zum neuen alleinigen Geschäftsführer.

In einem an den Erwerber gerichteten Brief vom 2.6.2003, der den Eingangsstempel des Notars S. vom 4.6.2003 trägt, heißt es:

"Übertragung der Gesellschaftsanteile an der S.L. GmbH

Sehr geehrter Herr W., hiermit genehmige ich sämtliche Erklärungen, die Sie in der Urkunde des Notars S. (UR-Nr. 127/2003) für mich als vollmachtloser Vertreter abgegeben haben. Ich genehmige insb. Ihre Erklärung zu Abschnitt II., in dem Sie als vollmachtloser Vertreter Ihre Geschäftsführerbestellung und meine Abberufung als Geschäftsführer beschlossen haben."

Am 15.9.2003 wurde der Geschäftsführerwechsel im Handelsregister eingetragen. In der Zeit vom 2.7.2003 bis zum 20.8.2003 nahm der Beklagte, der weiterhin alleinige Vollmacht über das Bankkonto der Gesellschaft besaß, für die Gemeinschuldnerin Auszahlungen i.H.v. 127.301,95 EUR vor. Am 15.9.2003 und danach nahm er weitere Auszahlungen i.H.v. 5.850,51 EUR vor.

Am 4.9.2003 vereinbarten die R.S. GmbH und der Beklagte, dass die ab diesem Zeitpunkt vom Beklagten durchgeführten Frachttransporte nicht mehr für die Gemeinschuldnerin, sondern für die R.S. GmbH zu erfolgen hatten. Aufgrund dieser Vereinbarung leistete die R.S. GmbH Zahlungen an den Beklagten i.H.v. 5.858 EUR.

Am 15.9.2003 beantragte der neue Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit. Mit Beschluss des AG vom 16.9.2003 wurde das vorläufige Insolvenzverfahren und mit Beschluss desselben Gerichts vom 1.12.2003 das Insolvenzverfahren eröffnet.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass der Beklagte gem. § 64 Abs. 2 GmbHG für die von ihm vorgenommenen Auszahlungen hafte, weil er weder durch die Gesellschafterversammlung am 2.6.2003 noch danach mangels Eintritts der aufschiebenden Bedingung als Geschäftsführer abberufen worden sei. Hinsichtlich der von der R.S. GmbH empfangenen Gelder hat der Kläger ein insolvenzrechtliches Anfechtungsrecht behauptet. Das LG hat der Klage hinsichtlich eines Teilbetrages stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Wegen des weitergehenden erstinstanzlichen Vorbringens und der Entscheidungsgründe des LG wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Der Kläger verfolgt mit seiner Berufung die abgewiesenen Zählungsansprüche weiter. Hinsichtlich des Anspruchs aus § 64 Abs. 2 GmbHG macht er geltend, das LG habe wesentliche Aspekte seines tatsächlichen Vortrags unberücksichtigt gelassen. Der ...

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